Der Kaiser in Bestform
Beim zweiten Open-air-konzert am Fuße des Erfurter Doms verzaubert er das Publikum
Erfurt. „Schlafzimmerblick, dazu ein Spitzenrosé / Du triffst mich immer da, wo’s wehtut…“– Mit der ersten Zeile des ersten Songs („Kurios“) macht Roland, der Kaiser, am Samstagabend in Erfurt klar, worum es hier geht: um das Spiel mit der Erotik, um das Was-wäre-wenn, um Liebe, Lust und Leidenschaft. Genau das erwarten die Fans von ihrem Schlageridol, genau darauf haben sie mehr als drei Jahre sehnsüchtig gewartet.
Denn es war im Juni 2019, als der Kaiser zum ersten und wegen der Pandemie auch vorerst letzten Mal zu Füßen des Erfurter Doms Hof hielt. Eine lange Zeit des Wartens liegt also hinter seinen Fans, die wohl auch deshalb an diesem lauen Sommerabend in bester Feierlaune sind. Das großartige Konzert, das der Kaiser im Herbst in der Messehalle gab – mithin in dem schmalen Zeitfenster zwischen Noch- und Schon-wieder-geschlossen –, konnte allenfalls ein Vorgeschmack auf die besondere Atmosphäre sein, die so eine Freiluft-party der Gutgelaunten nun einmal hat: Man tanzt Discofox oder schunkelt, trägt Pailletten-hütchen oder blinkende Plastik-krönchen, verstopft zu Tausenden als Zaungast die Straßen rings um das Veranstaltungsgelände – und singt bei fast jedem der gut zwei Dutzend Songs mit. Die Kaiser-fans sind, das ist Ehrensache, enorm textsicher.
Fans jubeln dem 70-Jährigen von Beginn an zu
Von der ersten Sekunde an jubelt das Publikum dem inzwischen 70Jährigen zu – und auch seiner fabelhaften Band. Denn die sorgt dafür, dass der mittlerweile ergraute Sänger mit dem Schwerenöter-image, dem nach schwerer Krankheit und Lungentransplantation das Comeback gelang, zu Höchstform aufläuft. Dem Mann im stilvollen Dreiteiler gelingt an diesem Abend einfach alles: Es gibt nicht den winzigsten intonatorischen Makel, dafür aber genau die richtigen verbalen Streicheleinheiten für die 14.000 vor der Bühne, die ihn euphorisch feiern. Ein winziger Texthänger gleich im ersten Song – geschenkt.
Im Rückblick auf sein Leben und seine Ausnahmekarriere (500 Titel, mehr als 30 Alben) bereut Roland Kaiser nichts, wie er in seiner Version des Willie-nelson-klassikers „To All The Girls…“im gefühlvollen Duett mit Background-sänger Billy King deutlich macht. Auch nicht die Zeit, in der ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen war und er sich mit Goldschmuck behängt in einer Marmorbadewanne ablichten ließ. Tempi passati: Mit dem Ekel, in das er sich Anfang der Achtzigerjahre verwandelt hatte, will der Kaiser von heute nichts mehr zu tun haben. Und weil Liebe nachsichtig ist, hält ihm sein Publikum diese Jugendsünde nicht vor. Oder um es mit Kaisers Worten zu sagen: „Gegen die Liebe kommt man nicht an.“
„Santa Maria“, „Amore Mio“, „Die Gefühle sind frei“, „Sag ihm, dass ich dich liebe“und natürlich auch „Joana“– Roland Kaiser singt Hit auf Hit. Die Arrangements sind modern und oft überraschend: Wenn sich etwa bei „Schach matt“ rockige Gitarrenriffe mit Brahms „Ungarischem Tanz Nr. 5“vermählen, dann ist das ganz großes Kino. Und Ausdruck der Klasse seiner handverlesenen Musiker: Beispielsweise der von Gitarrist Jörg Weißelberg, der sonst nicht nur zusammen mit seiner Frau Jeanette Biedermann auftritt, sondern auch schon mit den Rocklegenden tourte. Oder von Saxofonistin und Akkordeonistin Tina Tandler:
In Thüringen geboren und aufgewachsen, war sie schon zu Ddrzeiten als freischaffende Künstlerin unterwegs. Und nicht zuletzt der von Background-sängerin Gaby Goldberg, die kurzerhand für die an Brustkrebs erkrankte Stammsängerin Christiane Eiben eingesprungen ist.
Wie heißt es in „Kurios“? „Heute Nacht spielen wir wieder erste Liga“. Der Kaiser und seine Band haben dieses Versprechen rund zweieinhalb Stunden lang eingelöst. Na, dann: „Bis zum nächsten Mal…“Am 10. November gibt es im Rahmen der Geburtstagstournee ein Wiedersehen in der Messe Erfurt.