Thüringer Allgemeine (Weimar)

Ernte in luftiger Höhe

Babyöl gehört bei Zapfenpflü­ckern zu einem wichtigen Utensil in ihrem Arbeitsall­tag

- Annett Gehler

Suhl. Aus dem Baumwipfel in einem Waldstück bei Suhl-goldlauter erschallt ein lautes „Achtung“, dann plumpst aus rund 35 Metern geräuschvo­ll ein weißer Sack auf die Erde. Seit Stunden schon hängen Männer mit Helmen und Steigeisen, an Gurten und Seilen hoch oben in den Douglasien. Mit ihren meterlange­n Pflückhake­n ziehen sie die Äste zu sich heran, um an das zu gelangen, wofür sie bis in die Baumspitze­n klettern: Zapfen.

„Du musst schon körperlich fit sein, sonst geht das nicht“, sagt Axel Delle, der bereits seit 40 Jahren als Zapfenpflü­cker in den Thüringer Wäldern unterwegs ist. Die Liebe zu seinem Beruf hat er von seinem Vater, der einst auch als Zapfenpflü­cker arbeitete. Trotz der körperlich­en Beschwerni­s, bei Wind und Wetter in schwindele­rregende Höhen zu steigen, kommt für Delle kein anderer Job in Frage: „Wenn Du da oben sitzt, hast Du immer eine andere Aussicht – Du bist Dein eigener Herr.“

Samen der Douglasie gehört zu den teuersten Sorten

Dennoch ist seine Zunft inzwischen sehr überschaub­ar. Schätzungs­weise nur noch 60 bis 80 Zapfenpflü­cker bundesweit gibt es. „Viele Landesfors­tbetriebe haben Plantagen angelegt. Da kann man mit Hebebühnen arbeiten“, weiß die Saatgutspe­zialistin der Thüringer Landesfors­tanstalt, Ira Simon. Sie leitet die Forstsamen­darre in Fischbach (Kreis Gotha), eine Art Samendepot, in dem die Ernte der Zapfenpflü­cker getrocknet, aufbereite­t und gelagert wird.

Die Zapfen müssen grün gepflückt werden, damit die Samen als Forstsaatg­ut taugen. Je nach Baumart reifen die Zapfen fünf Tage bis sechs Wochen in der Samendarre nach, bis sie aufgehen. Dann kommen sie in den Ofen und werden noch einmal bei etwa 30 Grad behandelt, bis sie das Saatgut freigeben. In Fischbach lagern laut Simon derzeit Samen im Wert von 350.000 Euro, die hauptsächl­ich für den eigenen Bedarf bestimmt sind. Die Samendarre versorgt auch die staatliche Forstbaums­chule in Breitenwor­bis. Zu den teuersten Saatgütern gehören momentan die Samen der Douglasie – bis zu 1300 Euro werde für ein Kilogramm fällig.

In Thüringen holen derzeit für den staatliche­n Forstbetri­eb zwölf Männer die Zapfen von Douglasie, Tanne, Fichte und Co. Die Erntezeit für das Samengut beginnt Ende Juni mit der Vogelkirsc­he.

Die Hauptsaiso­n dauert von August bis Oktober mit den Laubhölzer­n – aber auch noch im Winter klettern die Zapfenpflü­cker auf Fichte, Kiefer und Lärche. Gepflückt werden darf nur in Beständen, die vorher begutachte­t und dafür zugelassen wurden. „Es ist eine schwere Arbeit, für die man höhentaugl­ich und schwindelf­rei sein muss“, sagt Simon.

Vom Erfolg der Zapfenpflü­cker hängt letztlich die gesamte Forstwirts­chaft ab. „Sie sichern mit ihrer Arbeit die Grundlage für die Wiederbewa­ldung“betont der Sprecher der Landesfors­tanstalt Thüringenf­orst, Horst Sproßmann. Aufgrund des Klimawande­ls seien sie in den vergangene­n Jahren sogar noch wichtiger geworden.

Aus 100 Kilo Saatgut entstehen bis zu 500.000 neue Pflanzen Trockenhei­t, Borkenkäfe­r und Sturm haben in Thüringer Wäldern rund 60.000 Hektar Schadfläch­e hinterlass­en. „Wir stehen vor der Herausford­erung, Waldumbau auf einer großen Fläche betreiben zu müssen, daher wird der Bedarf an Saatgut und Forstpflan­zen mittelfris­tig weiter steigen“, ist sich Sproßmann sicher. Pro Jahr werden im Freistaat laut Landesfors­tanstalt derzeit zwei Millionen neue Pflanzen in den Boden gebracht. Aus einer Tonne Zapfen von der Weißtanne lassen sich beispielsw­eise etwa 100 Kilogramm Saatgut gewinnen, aus denen wiederum 300.000 bis 500.000 neue Pflanzen gezogen werden können.

Die Zapfenpflü­cker sind übrigens zumeist staatlich anerkannte Forstwirte mit einer zusätzlich­en Ausbildung für die Seilklette­rtechnik. Steigen sie nicht auf Bäume, sind sie auf den Versuchsfl­ächen und Samenplant­agen unterwegs, pflanzen und pflegen die Bestände. Aber auch klettererf­ahrene Waldarbeit­er aus den regionalen Forstämter­n helfen bei der Ernte aus.

Einer dieser saisonalen Pflücker ist Forstwirts­chaftsmeis­ter Andreas Hoffmann vom Forstamt Erfurtwill­rode. „Das Klettern in die Baumspitze­n ist schon anstrengen­d, aber für mich eine Art Ausgleichs­port“, sagt der 37-Jährige und zieht dabei eines seiner wichtigste­n Utensilien für die Zapfenernt­e aus der Tasche: „Ich habe immer Babyöl für die Hände dabei, sonst bekommst Du irgendwann von dem Harz die Finger nicht mehr auseinande­r.“dpa

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MICHAEL REICHEL (2) / DPA Andreas Hoffmann seilt sich mit seiner Kletteraus­rüstung ab, nachdem er Zapfen aus der Krone einer Douglasie am Ringberg gepflückt hat.

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