„Es wurde niemals auf Augenhöhe verhandelt“
Am Rande der Eröffnung zweier Ausstellungen zur Treuhand bringt Ex-betriebsdirektor Licht ins Dunkel der Privatisierung
Unterwellenborn. Er müsse da mal den Kollegen Bernhard Hecker korrigieren, sagt Gerhard Engel am Freitagabend gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion in der Gasmaschinenzentrale der früheren Maxhütte Unterwellenborn. Die Gewerkschaft, deren Kreischef der Saalfelder Hecker später wurde, habe sich nach der Wende sehr um den Erhalt des Betriebes und den Sozialplan für die einst 7000 Kumpel verdient gemacht, „aber dass der Investor Arbed nach Unterwellenborn kam, das haben sie nicht gemacht“, so der 92-Jährige. Hellwach und als wäre es gestern gewesen, gab der frühere Betriebsdirektor und Geschäftsführer als Insider Einblicke in die Geschichte der Privatisierung eines der bedeutendsten Betriebe der Ddr-stahlindustrie.
Zwei Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges hatte Engel als Umsiedler aus dem Sudetenland in der Maxhütte gelernt, ging auf die Ingenieurschule nach Riesa, wurde in Freiberg zum Diplom-ingenieur und 1983 schließlich zum Betriebsleiter des Unterwellenborner Stahlherstellers. Die 1985 in Betrieb genommene Kombinierte Formstahlstraße sei damals „die modernste der Welt“gewesen. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich gewesen, dass ihm der Minister in der zweiten Hälfte der 80er-jahre eine Delegation aus Luxemburg angekündigt habe, die sich für die neue Technologie interessierte. Nach der Rückkehr habe der Chef des Walzwerkes von Arbed in seinen Bericht geschrieben, dass die Maxhütte in Unterwellenborn ein möglicher Partner für den luxemburgischen Stahlkonzern wäre, wenn es die politischen Bedingungen zulassen. „Das war der Ausgangspunkt für das spätere Engagement von Arbed, nicht die Treuhand und nicht die Gewerkschaft“, erinnert sich Gerhard Engel.
Käufersuche unter enormem
Druck ab dem Herbst 1991
Nach der Wende wurde aus dem VEB eine Gmbh und er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung. Im Aufsichtsrat hätten „qualifizierte Herren aus den alten Bundesländern“gesessen. „Wir waren immer die Bittsteller. Es wurde niemals auf Augenhöhe verhandelt und die Entscheidungen wurden woanders getroffen“, so Engel. Die Maxhütte habe unter dem Druck gestanden, die Wirtschaftlichkeit nachzuweisen, was angesichts einer Vorstufe, die internationalen Standards nicht standhielt, unmöglich war.
Im Oktober 1991 habe ihn die Treuhand darüber informiert, dass die Maxhütte liquidiert werde, falls sich nicht innerhalb der nächsten sechs Monate ein Käufer findet. Der Druck wurde enorm und der Manager, der dies nie gelernt hatte, krank. Als er nach einer Herz-op im Sommer 1992 nach Unterwellenborn zurückkehrte, konnte er die Stilllegung der Vorstufen nur noch zur Kenntnis nehmen. Arbed hat die Kombinierte Formstahlstraße sowie Flächen des Betriebsgeländes von der Treuhand gekauft. Was nicht für die Produktion notwendig ist, wie der Kulturpalast oder die Ferienlager, bleiben bei dem Vertrag außen vor.
Am 1. Juli 1992 nimmt die Stahlwerk Thüringen Gmbh (SWT) als neue Gesellschaft ihre Tätigkeit auf.
Die umfassende Modernisierung des Stahl-standortes Unterwellenborn beginnt. Die alten Hochöfen, das Blasstahlwerk und die Blockstraße werden stillgelegt. So wird der notwendige Platz für das neue Elektrostahlwerk mit Stranggießanlage geschaffen.
Drei Jahre später, im November 1995, wird in Unterwellenborn wieder Stahl geschmolzen. Im Fünfjahres-rhythmus folgen die Eigentümerwechsel zu Arcelor, Alfonso Gallardo aus Spanien und der brasilianischen Companhia Siderúrgica Nacional (CSN), die inzwischen seit zehn Jahren Eigentümer des Stahlwerkes Thüringen ist.
Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Maxhütte unter marktwirtschaftlichen Bedingungen einen sehr schweren Stand haben würde, erinnert sich auch Michael Goschütz, der den Mauerfall als Meister im Stahlwerk erlebte. Einer
Gerhard Engel bei der Podiumsdiskussion. Er war zur Wendezeit Betriebsdirektor und Geschäftsführer in der Maxhütte.
„Schicksal Treuhand – Treuhandschicksale“, heißt eine Wanderausstellung der Rosa-luxemburgstiftung, die bis Ende September während der Öffnungszeiten in der Gasmaschinenzentrale Unterwellenborn (Kreis Saalfeld-rudolstadt) zu sehen ist. Sie gibt einen Einblick in die Vielzahl der Lebenswege. Die 13 ausgewählten Branchen und Betriebe stehen exemplarisch für die ostdeutsche Wirtschaft.
Titel der zweiten Ausstellung, die sich mit dem Werdegang von vier hiesigen Betrieben befasst, ist
Die von vier ehemaligen Schülern des Saalfelder Heinrichböll-gymnasiums konzipierte Ausstellung war bereits 2021 im Stadtmuseum Saalfeld zu sehen.
der Treuhand-vorstände habe mal gefragt, was die im Thüringer Wald und ohne jeden Schiffsweg mit der Stahlproduktion wollen?
Spätestens nach dem Verkauf des Wälzlagerherstellers Rotasym Pößneck an FAG Kugelfischer – der neue Eigentümer verlagerte die modernen Maschinen an den Stammsitz nach Schweinfurt und schloss das Thüringer Werk mit 1000 Mitarbeitern – habe es auch in Unterwellenborn „eine aggressive Grundstimmung in der Belegschaft gegeben, wenn das Wort Treuhand fiel“, so Goschütz. Thyssen sei mal da gewesen, die Maxhütte im bayerischen Sulzbach-rosenheim wollte nur das Walzwerk übernehmen – was Gerhard Engel zu der Bemerkung veranlasste: „Dann hätte der Blinde den Lahmen übernommen.“
Mit der Entscheidung zum Verkauf an Arbed, so Goschütz, habe sich die Stimmung aber gewandelt. „Es war gut, dass die Maxhütte abgerissen und gleichzeitig auf der Fläche ein neues Stahlwerk gebaut wurde“, so der frühere Betriebszeitungsredakteur. In Unterwellenborn habe die Treuhand „keine Scheiße gebaut“. Dazu beigetragen habe auch der großzügige Sozialplan mit fünfstelligen Abfindungen.
Schon zuvor waren 800 Leute gut abgefedert in Vorruhestand gegangen und rund 1000 in eine Auffanggesellschaft gewechselt. Viele jüngere Leute hätten sich anderswo eine Arbeit gesucht und oft vorher noch die Abfindung mitgenommen. „Es gab nicht viele Härten“, so Goschütz.