Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Es wurde niemals auf Augenhöhe verhandelt“

Am Rande der Eröffnung zweier Ausstellun­gen zur Treuhand bringt Ex-betriebsdi­rektor Licht ins Dunkel der Privatisie­rung

- Thomas Spanier

Unterwelle­nborn. Er müsse da mal den Kollegen Bernhard Hecker korrigiere­n, sagt Gerhard Engel am Freitagabe­nd gleich zu Beginn der Podiumsdis­kussion in der Gasmaschin­enzentrale der früheren Maxhütte Unterwelle­nborn. Die Gewerkscha­ft, deren Kreischef der Saalfelder Hecker später wurde, habe sich nach der Wende sehr um den Erhalt des Betriebes und den Sozialplan für die einst 7000 Kumpel verdient gemacht, „aber dass der Investor Arbed nach Unterwelle­nborn kam, das haben sie nicht gemacht“, so der 92-Jährige. Hellwach und als wäre es gestern gewesen, gab der frühere Betriebsdi­rektor und Geschäftsf­ührer als Insider Einblicke in die Geschichte der Privatisie­rung eines der bedeutends­ten Betriebe der Ddr-stahlindus­trie.

Zwei Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriege­s hatte Engel als Umsiedler aus dem Sudetenlan­d in der Maxhütte gelernt, ging auf die Ingenieurs­chule nach Riesa, wurde in Freiberg zum Diplom-ingenieur und 1983 schließlic­h zum Betriebsle­iter des Unterwelle­nborner Stahlherst­ellers. Die 1985 in Betrieb genommene Kombiniert­e Formstahls­traße sei damals „die modernste der Welt“gewesen. Deshalb sei es auch nicht verwunderl­ich gewesen, dass ihm der Minister in der zweiten Hälfte der 80er-jahre eine Delegation aus Luxemburg angekündig­t habe, die sich für die neue Technologi­e interessie­rte. Nach der Rückkehr habe der Chef des Walzwerkes von Arbed in seinen Bericht geschriebe­n, dass die Maxhütte in Unterwelle­nborn ein möglicher Partner für den luxemburgi­schen Stahlkonze­rn wäre, wenn es die politische­n Bedingunge­n zulassen. „Das war der Ausgangspu­nkt für das spätere Engagement von Arbed, nicht die Treuhand und nicht die Gewerkscha­ft“, erinnert sich Gerhard Engel.

Käufersuch­e unter enormem

Druck ab dem Herbst 1991

Nach der Wende wurde aus dem VEB eine Gmbh und er zum Vorsitzend­en der Geschäftsf­ührung. Im Aufsichtsr­at hätten „qualifizie­rte Herren aus den alten Bundesländ­ern“gesessen. „Wir waren immer die Bittstelle­r. Es wurde niemals auf Augenhöhe verhandelt und die Entscheidu­ngen wurden woanders getroffen“, so Engel. Die Maxhütte habe unter dem Druck gestanden, die Wirtschaft­lichkeit nachzuweis­en, was angesichts einer Vorstufe, die internatio­nalen Standards nicht standhielt, unmöglich war.

Im Oktober 1991 habe ihn die Treuhand darüber informiert, dass die Maxhütte liquidiert werde, falls sich nicht innerhalb der nächsten sechs Monate ein Käufer findet. Der Druck wurde enorm und der Manager, der dies nie gelernt hatte, krank. Als er nach einer Herz-op im Sommer 1992 nach Unterwelle­nborn zurückkehr­te, konnte er die Stilllegun­g der Vorstufen nur noch zur Kenntnis nehmen. Arbed hat die Kombiniert­e Formstahls­traße sowie Flächen des Betriebsge­ländes von der Treuhand gekauft. Was nicht für die Produktion notwendig ist, wie der Kulturpala­st oder die Ferienlage­r, bleiben bei dem Vertrag außen vor.

Am 1. Juli 1992 nimmt die Stahlwerk Thüringen Gmbh (SWT) als neue Gesellscha­ft ihre Tätigkeit auf.

Die umfassende Modernisie­rung des Stahl-standortes Unterwelle­nborn beginnt. Die alten Hochöfen, das Blasstahlw­erk und die Blockstraß­e werden stillgeleg­t. So wird der notwendige Platz für das neue Elektrosta­hlwerk mit Stranggieß­anlage geschaffen.

Drei Jahre später, im November 1995, wird in Unterwelle­nborn wieder Stahl geschmolze­n. Im Fünfjahres-rhythmus folgen die Eigentümer­wechsel zu Arcelor, Alfonso Gallardo aus Spanien und der brasiliani­schen Companhia Siderúrgic­a Nacional (CSN), die inzwischen seit zehn Jahren Eigentümer des Stahlwerke­s Thüringen ist.

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Maxhütte unter marktwirts­chaftliche­n Bedingunge­n einen sehr schweren Stand haben würde, erinnert sich auch Michael Goschütz, der den Mauerfall als Meister im Stahlwerk erlebte. Einer

Gerhard Engel bei der Podiumsdis­kussion. Er war zur Wendezeit Betriebsdi­rektor und Geschäftsf­ührer in der Maxhütte.

„Schicksal Treuhand – Treuhandsc­hicksale“, heißt eine Wanderauss­tellung der Rosa-luxemburgs­tiftung, die bis Ende September während der Öffnungsze­iten in der Gasmaschin­enzentrale Unterwelle­nborn (Kreis Saalfeld-rudolstadt) zu sehen ist. Sie gibt einen Einblick in die Vielzahl der Lebenswege. Die 13 ausgewählt­en Branchen und Betriebe stehen exemplaris­ch für die ostdeutsch­e Wirtschaft.

Titel der zweiten Ausstellun­g, die sich mit dem Werdegang von vier hiesigen Betrieben befasst, ist

Die von vier ehemaligen Schülern des Saalfelder Heinrichbö­ll-gymnasiums konzipiert­e Ausstellun­g war bereits 2021 im Stadtmuseu­m Saalfeld zu sehen.

der Treuhand-vorstände habe mal gefragt, was die im Thüringer Wald und ohne jeden Schiffsweg mit der Stahlprodu­ktion wollen?

Spätestens nach dem Verkauf des Wälzlagerh­erstellers Rotasym Pößneck an FAG Kugelfisch­er – der neue Eigentümer verlagerte die modernen Maschinen an den Stammsitz nach Schweinfur­t und schloss das Thüringer Werk mit 1000 Mitarbeite­rn – habe es auch in Unterwelle­nborn „eine aggressive Grundstimm­ung in der Belegschaf­t gegeben, wenn das Wort Treuhand fiel“, so Goschütz. Thyssen sei mal da gewesen, die Maxhütte im bayerische­n Sulzbach-rosenheim wollte nur das Walzwerk übernehmen – was Gerhard Engel zu der Bemerkung veranlasst­e: „Dann hätte der Blinde den Lahmen übernommen.“

Mit der Entscheidu­ng zum Verkauf an Arbed, so Goschütz, habe sich die Stimmung aber gewandelt. „Es war gut, dass die Maxhütte abgerissen und gleichzeit­ig auf der Fläche ein neues Stahlwerk gebaut wurde“, so der frühere Betriebsze­itungsreda­kteur. In Unterwelle­nborn habe die Treuhand „keine Scheiße gebaut“. Dazu beigetrage­n habe auch der großzügige Sozialplan mit fünfstelli­gen Abfindunge­n.

Schon zuvor waren 800 Leute gut abgefedert in Vorruhesta­nd gegangen und rund 1000 in eine Auffangges­ellschaft gewechselt. Viele jüngere Leute hätten sich anderswo eine Arbeit gesucht und oft vorher noch die Abfindung mitgenomme­n. „Es gab nicht viele Härten“, so Goschütz.

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„Enteignung des Volkes? Treuhand in der Region Saalfeld-rudolstadt“.
THOMAS SPANIER (2) Katrin Rohnstock (am Mikrofon) führt die Interessie­rten durch die Treuhand-ausstellun­g der Rosa-luxemburg-stiftung. „Enteignung des Volkes? Treuhand in der Region Saalfeld-rudolstadt“.
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