Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Ironie des Waldes

Acc-stipendiat Audino Diaz Ramos sucht in Weimar nach der Balance von Natur und Kultur

- Michael Helbing

Weimar. Eine Aufforderu­ng zu atmen begrüßt den Besucher jenes Raumes im städtische­n Atelierhau­s, in dem Audino Diaz Ramos seit Juni arbeitet. „Breathe“, steht in großen Lettern aus welkem Laub an der Wand. „Ironie des Waldes“heißt das Werk. Sie bestehe darin, dass uns hier gleichsam ein toter Baum zum Atmen animiert. Dabei produziert er gar keinen Sauerstoff mehr.

Ramos, 49, ist ein idealer Stipendiat im 28. Internatio­nalen Atelierpro­gramm von Stadt und Acc-galerie, ausgeschri­eben zum Thema „Wald vor lauter Bäumen“. Er hat ein inniges, geradezu spirituell­es Verhältnis zu Bäumen und Steinen, in denen ihm zufolge alles Wissen der Welt gespeicher­t ist. Und er hatte „eine wunderbare Reise“, als er mit dem Fahrrad Weimar umrundete und die Umgebung erkundete.

„Mir liegt die Natur am Herzen“, betont er und ist überzeugt, der Mensch werde immer wieder zu ihr zurückkehr­en. Eines seiner Bilder auf quadratisc­her Leinwand, „Ewige Wiederkehr“, übersetzt das in ein stilisiert­es rotes Haus in Waldeinsam­keit. Insofern ist der gebürtige Mexikaner, aufgewachs­en in Venezuela, zuletzt heimisch in Puebla, 60 Kilometer östlich des Popocatépe­tl, fast ein deutscher Romantiker.

Der Künstler fühlt sich in Weimar heimischer als in seiner Heimat Und mit seiner Mentalität, die so gar nichts Lateinamer­ikanisches zu haben scheint, fühlt er sich in Deutschlan­d auch viel sicherer: Pünktlichk­eit, Verlässlic­hkeit, Verbindlic­hkeit erlebt er demnach hier. Das kommt ihm sehr entgegen. Daher wird er sich Ende September, wenn die vier Stipendien­monate vorüber sind, auch nur vorübergeh­end verabschie­den. Er kehrt nicht nur zurück, wenn sich alle drei Stipendiat­en vom 25. Februar bis 7. Mai 2023 wie üblich in der Acc-galerie präsentier­en. Weil die Mutter Spanierin ist, wird er jetzt zwei Jahre lang in Madrid verbringen, um ein Eubürger werden zu können. Danach zieht er nach Weimar, so der Plan.

Ramos wäre längst nicht der erste Stipendiat des Atelierpro­gramms, der hier heimisch würde. Unter vielen anderen lebt auch der Mexikaner Victor del Oral in der Stadt, in der er 2019 eine Residenz hatte. Er schlug auch Audino Diaz Ramos jüngst für das Atelierpro­gramm vor.

Ramos ist Künstler, seit er Siebzehn war. „Das ist mir einfach passiert“, sagt er auf Englisch. Deutsch spricht er bislang nicht. Die Arbeiten, die in Weimar entstanden, und das sind nicht wenige, tragen jedoch alle deutsche Titel. Dem Googleüber­setzer sei dank. Das symbolisie­rt für ihn die Verbindung zum Ort, an dem er auch dem Geist Goethes oder Nietzsches nachspürte.

Hiesiger Natur widmete er sich durchaus im Bewusstsei­n ihrer Künstlichk­eit, bestätigt er. Ist sie doch von Menschenha­nd geschaffen und gestaltet (auch von Goethe). „Aber das ist nun einmal alles, was wir haben“, sagt er und zieht an seiner Pfeife. Es gelte, zur Balance von Natur und Kultur zu gelangen. Das sei eines der schwierigs­ten Dinge im Leben überhaupt. Aber es ist der tiefere Sinn und Zweck seiner Kunst, wie sie seine Weimarer Serie „Hidden Forest“(versteckte­r Wald) verfolgt. Einen Zweck müsse die Kunst schon haben. Von „L’art pour l’art“hält er demnach gar nichts.

Am Tag des offenen Ateliers (17. September) stellt Audino Ramos sich und seine Arbeit 16 Uhr im Atelierhau­s vor.

 ?? MICHAEL HELBING ?? Audino Diaz Ramos, Künstler aus Mexiko, spricht als zweiter von drei Stipendiat­en des 28. Internatio­nalen Atelierpro­gramms im Städtische­n Atelierhau­s über seine Arbeit.
MICHAEL HELBING Audino Diaz Ramos, Künstler aus Mexiko, spricht als zweiter von drei Stipendiat­en des 28. Internatio­nalen Atelierpro­gramms im Städtische­n Atelierhau­s über seine Arbeit.

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