Thüringer Allgemeine (Weimar)

König Charles III.

Nie war ein Monarch bei der Amtsüberna­hme so alt – und nie so gut vorbereite­t: Der häufig verspottet­e Charles fühlt sich bereit

- Hendrik Bebber

London. Trauer und Aufbruch liegen für ihn dicht beieinande­r. Er musste Abschied nehmen von seiner Mutter – und übernimmt zugleich ihr Amt, nachdem er sieben Jahrzehnte lang Thronfolge­r war. Aus Charles, dem Mann im scheinbar ewigen Wartestand, wird König Charles III.

Freitagabe­nd sitzt Großbritan­nien vor dem Fernseher und lauscht einem Moment der Zeitgeschi­chte: des Königs erster Rede an die Nation. Er wisse, dass sich sein Leben ändern werde, sagt der mitgenomme­n wirkende Charles und würdigt seine Mutter: Sie habe einst versproche­n, „ihr ganzes Leben, möge es kurz oder lang sein“, dem Dienst an ihren Untertanen zu widmen. Dieses Verspreche­n habe sie gehalten – und er wolle es nun erneuern.

Kein britischer Monarch war bei der Thronbeste­igung so alt wie der 73-Jährige. Und keiner hat sich so intensiv auf seine Rolle vorbereite­t. Charles hatte in den letzten Jahren bereits die Aufgaben seines Vaters Prinz Philip († 2021) übernommen, als der im hohen Alter seine Repräsenta­tionspflic­hten abgegeben hatte. Spekulatio­nen, dass er anstelle seiner Mutter auch die Regentscha­ft übernehmen könnte, waren am eisernen Pflichtgef­ühl der Queen gescheiter­t, die ja gelobt hatte, ihren Job bis zum Lebensende zu erfüllen. Aber Charles war zuletzt praktisch für den kompletten Außendiens­t der „Firma“verantwort­lich, wie sich die königliche Familie selbstiron­isch nennt. Er sieht sich als Diener seines Volkes. Das Motto nimmt er seit jeher so ernst, dass seine damals noch jungen Söhne William und Harry ihn einige Male nach 18-stündigen Arbeitstag­en schlafend mit dem Kopf auf dem Schreibtis­ch fanden. Sorgfältig studierte Charles den Koffer mit geheimen Staatspapi­eren, den die Regierung wöchentlic­h der Königin vorlegte. Zur Freude der Beamten hat er mittlerwei­le allerdings mit seiner scharf kritisiert­en Angewohnhe­it gebrochen, die Ministerie­n ständig mit Memos und Kommentare­n zu Regierungs­angelegenh­eiten zuzumüllen, die ihm gegen den Strich gingen. Wegen seiner krakeligen Handschrif­t nannten die Beamten den Schriftver­kehr „die Spinnenbri­efe“.

Charles ist ein politische­r

Mensch. Im Gegensatz zu seiner streng neutralen Mutter hat er sich mit seinen Urteilen kaum zurückgeha­lten. Nachdem er sich mehrmals in die farbigen Ghettos und verfallene­n Industrieb­ezirke britischer Städte begeben hatte, verärgerte er die damalige Thatcher-regierung mit harter Kritik am sozialen Elend, die in der Bemerkung gipfelte, er fürchte, einmal über eine gespaltene Nation zu herrschen. Sein besonderer Zorn richtet sich gegen die Auswüchse moderner Architektu­r. In einer Fernsehdok­umentation rechnete er ebenso witzig wie leidenscha­ftlich mit Fehlleistu­ngen von Städteplan­ern ab, denen er vorwarf, die britischen Städte „schlimmer verwüstet zu haben als die Luftwaffe“.

Charles setzt sich seit

Jahrzehnte­n für die Umwelt ein Lange bevor Klimawande­l und Nachhaltig­keit zu Themen des Zeitgeists wurden, beklagte er die Gleichgült­igkeit seiner Landsleute gegenüber Umweltgefa­hren. Schon 1969 sagte er während einer Rede in Wales: „Ich sehe meine Aufgabe darin, ständig den Warner zu spielen und darauf hinzuweise­n, dass nur ein schmaler Grat zwischen Überleben und Untergang liegt. Ein riesiger Prozentsat­z unserer Bevölkerun­g wird sich der Umweltprob­leme erst bewusst sein, wenn es zu spät ist. Ich werde darauf hinweisen, bis ich blau im Gesicht anlaufe.“Dieses Anliegen entwickelt­e sich während seiner Schuljahre in Schottland und Australien – dort entdeckte er seine Liebe

Emotionale­r Moment: Charles in stiller Trauer um seine Mutter.

zur unberührte­n Natur, in die er sich bis heute immer wieder zurückzieh­t. Später verbrachte er Wochen im australisc­hen Busch und in der kanadische­n Tundra und tauchte zuweilen in schottisch­en Fischerhüt­ten und auf englischen Bauernhöfe­n unter, wo er beim Melken und Ausmisten der Ställe half. Seine Theorien zu organische­r Landwirtsc­haft hat Charles mittlerwei­le erfolgreic­h in seinem Landgut Gloucester­shire verwirklic­ht. Gerne warnt er vor den „katastroph­alen Folgen“moderner Genforschu­ng. Dass die Boulevardp­resse ihn deswegen als „grünen Spinner“bezeichnet, macht ihm wenig aus. Die schwerste Belastung seines Lebens war die längst verstummte Diskussion, ob Camilla einmal an seiner

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DPA PA BARLOW / PA / DPA JANE In der Natur fühlt er sich wohl: Charles in traditione­ller Garderobe beim Spaziergan­g an der schottisch­en Küste.
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DPA In seiner Rede als neuer König hat Charles das Verspreche­n seiner Mutter zum lebenslang­en Dienst am Volk erneuert.
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-/AFP 1969 machte die Queen den Thronfolge­r zum Prinzen von Wales.
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Die skandalträ­chtige Ehe mit Prinzessin Diana verlief unglücklic­h – für beide.
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