Auf heikler Mission
Wie Bodo Ramelow als Bundesratspräsident versucht, in Kriegszeiten für die deutsch-polnische Freundschaft zu werben
Warschau/krakau. In Zeiten, in denen sich alles zu wenden scheint, wächst das Bedürfnis nach Beständigkeit. Und so sitzen am Donnerstagabend viele Polen und einige Deutsche im Polstergestühl der Philharmonie zu Krakau und bemühen sich kollektiv um die Anmutung einer tiefen, großartigen, ja beispiellosen Freundschaft.
Während zweieinhalb Autostunden weiter östlich Krieg ist, wird ein Vierteljahrhundert thüringischkleinpolnischer Partnerschaft gefeiert. Nach der Aufführung eines aus Politikerfotos und touristischen Werbeclips zusammengeklöppelten Films liest der Marschall der Woiwodschaft Kleinpolen eine Rede vor, in der von gemeinsamen 200 Projekten in den 25 Jahren berichtet wird – wobei nicht klar wird, welche aktuellen Projekte er genau meint. Ja, während der Pandemie lieferte Thüringen Beatmungsgeräte nach Krakau. Aber sonst?
Darum geht es jedoch nicht, nicht hier und auch nicht an anderen Orten, an denen Bodo Ramelow auf seiner Polen-reise nebst der parteibefreundeten Landtagspräsidentin Birgit Pommer auftritt. Es geht darum, dass man sich überhaupt noch trifft und redet und sich womöglich auch ein bisschen selbst beschwindelt.
Also tut der Thüringer Ministerpräsident das, was er besonders gut kann: Er umarmt verbal den ganzen Raum, lobt Krakau, lobt Polen und lobt, auch das kommt inzwischen häufiger vor, seinen Vorvorvorgänger Bernhard Vogel, der 1997 die Idee mit der Partnerschaft hatte. Eine Mitarbeiterin der Staatskanzlei, die schon damals dabei war und sich seitdem an der regelmäßigen Reanimation versucht, bekommt sogar den kleinpolnischen Orden überreicht.
Dann gibt es Musik, Sekt und Buffet. Die Polen bleiben dabei genauso unter sich wie die Deutschen, was nicht weiter verwunderlich ist, weil sich von den Partnerregionen eigentlich nur die Chefs ein bisschen kennen.
Aber Politiker sind nun mal die Künstler des Möglichen. Wenn Ramelow als Ministerpräsident in Erfurt eine immer prekärer wirkende Minderheitsregierung zusammenhalten kann, wird er ja als Präsident des Bundesrates ein bisschen für das große Ganze tun können. Schließlich ist er in dieser Funktion, zumindest temporär und formal, eine ziemliche große Nummer.
Am Dienstag etwa machte Ramelow gemeinsam mit Kanzler, Parlamentspräsidentin, Verfassungsgerichtschef und Bundespräsidenten dem israelischen Staatsoberhaupt die Aufwartung. Und am 3. Oktober werden sich die Big Five der Republik schon wieder versammeln, zum Festakt in der Erfurter Oper nebst sämtlichen Minister- und Landtagspräsidenten. Die nationale Feier zum Tag der Einheit wird traditionell durch das Land mit dem Bundesratsvorsitz organisiert – und Ramelow hält die Begrüßungsrede.
Mit blaulichtblinkendem
Tatütata durch Warschau
Vorher aber er ist er für die Bundesrepublik und Thüringen für drei Tage in Polen. Am Mittwochmorgen hebt ein Airbus 319 der Luftwaffe vom Flughafen in Erfurt-bindersleben ab, um schon nach einer guten Stunde auf dem militärischen Teil des Flughafens von Warschau zu landen. Es herrscht Präsidentenwetter, mit Sonne, knallblauem Himmel und angenehmen 20 Grad.
Die Limousine mit Standarte wartet, genauso wie die Begleit- und mehrere Polizeifahrzeuge. Dann geht es mit blaulichtblinkendem Tatütata in die Innenstadt.
Doch die Politfolklore täuscht etwas. Warschau ist ein schwieriges Terrain für einen deutschen Politiker. Denn hier in Polen regiert die rechtspopulistische Pis-partei, die sich nicht nur an der Unabhängigkeit der Justiz vergreift, sondern die Meinung verbreitet, dass die Deutschen die Polen per Brüssel fremdregieren wollten oder, das stimmt schon eher, bei den Gasgeschäften mit Russland die Ukraine und Polen übergangen hätten.
Vom polnischen Präsidenten wird Ramelow nicht empfangen. Auch der Ministerpräsident, auf den bis zuletzt gehofft wurde, lässt kurzfristig absagen: keine Zeit, leider.
Bleiben die protokollarischen Pflichttermine beim Parlament. Zuerst ist der Senat dran, die zweite Kammer, die funktional wie eine Mischung aus dem Us-senat und der deutschen Länderkammer wirkt. Er ist somit das Partnerorgan des Bundesrats, wobei es für Ramelow die Gespräche erleichtert, dass der Chef, Marschall Tomasz Grozdki, der Opposition angehört.
Als der Bundesratspräsident mit dem Amtskollegen vor die erstaunlich zahlreichen Fernsehkameras tritt, gibt er sich offensiv zerknirscht. Deutschland, sagt er, sollte sich unbedingt mit schlauen Ratschlägen zurückhalten. Denn Polen habe zu Recht vor Russland und den Nordstream-gasleitungen gewarnt. Jetzt sei es gut, dass dieser ökologische und politische Irrweg beendet werde.
Schließlich ist Ramelow bei dem letzten Krieg, den Deutschland gegen Polen führte. „Mein Vater ist in Uniform in dieses Land eingefallen“, sagt Ramelow. Deshalb betrachte er es auch immer wieder als ein Wunder, wie freundlich er hier empfangen werde.
Viele Kränze und noch mehr Geldforderungen
Die Worte bilden den Auftakt für etliche Kranzniederlegungen: am Denkmal des unbekannten Soldaten, am Denkmal des Warschauer Aufstands und am Denkmal der Helden des Ghettos. Dazwischen besucht Ramelow das Jüdische Historische Institut, in dem die Berichte aus dem Warschauer Ghetto gesammelt sind: Zeugnisse von Tod und Verzweiflung, aber auch von Mut und Überlebenswillen.
Danach folgt der Besuch beim Sejm, der ersten Parlamentskammer, die mit dem Bundestag vergleichbar ist. Hier empfängt ihn die Marschallin, die der PIS angehört, für eine Dreiviertelstunde; einen gemeinsamen Pressetermin gibt es danach lieber nicht. Denn Elżbieta Barbara Witek will nicht nur Demut, sondern auch Geld. Eine von ihr beauftragte Parlamentskommission legte am 1. September, zum 83. Jahrestag des Überfalls auf Polen, ein Gutachten vor, wonach die Bundesrepublik Polen 1,3 Billionen Euro an Reparationen schulde.
Auch wenn die Forderung als vorwahlkampfbedingte Symbolgeste gilt: Sie gestaltet die Mission noch heikler. Und so beschränkt sich Ramelow zumeist aufs Zuhören und zeigt allgemeines Verständnis. Die Polen, so sagt er es mehrfach, fühlten sich zuweilen gegenüber der Bundesrepublik ein wenig wie die Ostdeutschen gegenüber den Westdeutschen: Sie vermissten die Augenhöhe und reagierten allergisch auf hochmögende Besserwisserei.
Der Vergleich funktioniert auch deshalb, weil Warschau und Krakau, wohin Ramelow am Donnerstag weiterfliegt, mindestens so durchsaniert und modern wie deutsche Städte wirken. Wer hier lebt, muss sich nun wirklich nicht mehr als armer Nachbar fühlen.
Zum Festakt in der Philharmonie erzählt Ramelow, wie er kurz vor der Pandemie mit seiner Frau Urlaub in Krakau machte und wie ganz und gar großartig alles hier sei. Und er wiederholt seine Sätze aus Warschau, dass Deutschland selbstkritisch auf sich blicken müsse.
Während man friedlich und freundlich zusammensitzt, geht ein Gewitter über der Stadt nieder und ploppt auf den Handys die Nachricht von der nächsten Zeitenwende auf. Und plötzlich, nachdem sogar die ewige Elisabeth II. nicht mehr ist, wirkt die Vorstellung einer wunderbaren Partnerschaft zwischen zwei Regionen aus Polen und Deutschland irgendwie tröstlich. Auch wenn sie nicht ganz zur Realität passen mag. Der Präsident des Deutschen Bundesrates, der am Freitag zurück ins thüringische Zuhause flog, will es jedenfalls und offenkundig so sehen.