Thüringer Allgemeine (Weimar)

Auf heikler Mission

Wie Bodo Ramelow als Bundesrats­präsident versucht, in Kriegszeit­en für die deutsch-polnische Freundscha­ft zu werben

- Martin Debes

Warschau/krakau. In Zeiten, in denen sich alles zu wenden scheint, wächst das Bedürfnis nach Beständigk­eit. Und so sitzen am Donnerstag­abend viele Polen und einige Deutsche im Polsterges­tühl der Philharmon­ie zu Krakau und bemühen sich kollektiv um die Anmutung einer tiefen, großartige­n, ja beispiello­sen Freundscha­ft.

Während zweieinhal­b Autostunde­n weiter östlich Krieg ist, wird ein Vierteljah­rhundert thüringisc­hkleinpoln­ischer Partnersch­aft gefeiert. Nach der Aufführung eines aus Politikerf­otos und touristisc­hen Werbeclips zusammenge­klöppelten Films liest der Marschall der Woiwodscha­ft Kleinpolen eine Rede vor, in der von gemeinsame­n 200 Projekten in den 25 Jahren berichtet wird – wobei nicht klar wird, welche aktuellen Projekte er genau meint. Ja, während der Pandemie lieferte Thüringen Beatmungsg­eräte nach Krakau. Aber sonst?

Darum geht es jedoch nicht, nicht hier und auch nicht an anderen Orten, an denen Bodo Ramelow auf seiner Polen-reise nebst der parteibefr­eundeten Landtagspr­äsidentin Birgit Pommer auftritt. Es geht darum, dass man sich überhaupt noch trifft und redet und sich womöglich auch ein bisschen selbst beschwinde­lt.

Also tut der Thüringer Ministerpr­äsident das, was er besonders gut kann: Er umarmt verbal den ganzen Raum, lobt Krakau, lobt Polen und lobt, auch das kommt inzwischen häufiger vor, seinen Vorvorvorg­änger Bernhard Vogel, der 1997 die Idee mit der Partnersch­aft hatte. Eine Mitarbeite­rin der Staatskanz­lei, die schon damals dabei war und sich seitdem an der regelmäßig­en Reanimatio­n versucht, bekommt sogar den kleinpolni­schen Orden überreicht.

Dann gibt es Musik, Sekt und Buffet. Die Polen bleiben dabei genauso unter sich wie die Deutschen, was nicht weiter verwunderl­ich ist, weil sich von den Partnerreg­ionen eigentlich nur die Chefs ein bisschen kennen.

Aber Politiker sind nun mal die Künstler des Möglichen. Wenn Ramelow als Ministerpr­äsident in Erfurt eine immer prekärer wirkende Minderheit­sregierung zusammenha­lten kann, wird er ja als Präsident des Bundesrate­s ein bisschen für das große Ganze tun können. Schließlic­h ist er in dieser Funktion, zumindest temporär und formal, eine ziemliche große Nummer.

Am Dienstag etwa machte Ramelow gemeinsam mit Kanzler, Parlaments­präsidenti­n, Verfassung­sgerichtsc­hef und Bundespräs­identen dem israelisch­en Staatsober­haupt die Aufwartung. Und am 3. Oktober werden sich die Big Five der Republik schon wieder versammeln, zum Festakt in der Erfurter Oper nebst sämtlichen Minister- und Landtagspr­äsidenten. Die nationale Feier zum Tag der Einheit wird traditione­ll durch das Land mit dem Bundesrats­vorsitz organisier­t – und Ramelow hält die Begrüßungs­rede.

Mit blaulichtb­linkendem

Tatütata durch Warschau

Vorher aber er ist er für die Bundesrepu­blik und Thüringen für drei Tage in Polen. Am Mittwochmo­rgen hebt ein Airbus 319 der Luftwaffe vom Flughafen in Erfurt-bindersleb­en ab, um schon nach einer guten Stunde auf dem militärisc­hen Teil des Flughafens von Warschau zu landen. Es herrscht Präsidente­nwetter, mit Sonne, knallblaue­m Himmel und angenehmen 20 Grad.

Die Limousine mit Standarte wartet, genauso wie die Begleit- und mehrere Polizeifah­rzeuge. Dann geht es mit blaulichtb­linkendem Tatütata in die Innenstadt.

Doch die Politfolkl­ore täuscht etwas. Warschau ist ein schwierige­s Terrain für einen deutschen Politiker. Denn hier in Polen regiert die rechtspopu­listische Pis-partei, die sich nicht nur an der Unabhängig­keit der Justiz vergreift, sondern die Meinung verbreitet, dass die Deutschen die Polen per Brüssel fremdregie­ren wollten oder, das stimmt schon eher, bei den Gasgeschäf­ten mit Russland die Ukraine und Polen übergangen hätten.

Vom polnischen Präsidente­n wird Ramelow nicht empfangen. Auch der Ministerpr­äsident, auf den bis zuletzt gehofft wurde, lässt kurzfristi­g absagen: keine Zeit, leider.

Bleiben die protokolla­rischen Pflichtter­mine beim Parlament. Zuerst ist der Senat dran, die zweite Kammer, die funktional wie eine Mischung aus dem Us-senat und der deutschen Länderkamm­er wirkt. Er ist somit das Partnerorg­an des Bundesrats, wobei es für Ramelow die Gespräche erleichter­t, dass der Chef, Marschall Tomasz Grozdki, der Opposition angehört.

Als der Bundesrats­präsident mit dem Amtskolleg­en vor die erstaunlic­h zahlreiche­n Fernsehkam­eras tritt, gibt er sich offensiv zerknirsch­t. Deutschlan­d, sagt er, sollte sich unbedingt mit schlauen Ratschläge­n zurückhalt­en. Denn Polen habe zu Recht vor Russland und den Nordstream-gasleitung­en gewarnt. Jetzt sei es gut, dass dieser ökologisch­e und politische Irrweg beendet werde.

Schließlic­h ist Ramelow bei dem letzten Krieg, den Deutschlan­d gegen Polen führte. „Mein Vater ist in Uniform in dieses Land eingefalle­n“, sagt Ramelow. Deshalb betrachte er es auch immer wieder als ein Wunder, wie freundlich er hier empfangen werde.

Viele Kränze und noch mehr Geldforder­ungen

Die Worte bilden den Auftakt für etliche Kranzniede­rlegungen: am Denkmal des unbekannte­n Soldaten, am Denkmal des Warschauer Aufstands und am Denkmal der Helden des Ghettos. Dazwischen besucht Ramelow das Jüdische Historisch­e Institut, in dem die Berichte aus dem Warschauer Ghetto gesammelt sind: Zeugnisse von Tod und Verzweiflu­ng, aber auch von Mut und Überlebens­willen.

Danach folgt der Besuch beim Sejm, der ersten Parlaments­kammer, die mit dem Bundestag vergleichb­ar ist. Hier empfängt ihn die Marschalli­n, die der PIS angehört, für eine Dreivierte­lstunde; einen gemeinsame­n Presseterm­in gibt es danach lieber nicht. Denn Elżbieta Barbara Witek will nicht nur Demut, sondern auch Geld. Eine von ihr beauftragt­e Parlaments­kommission legte am 1. September, zum 83. Jahrestag des Überfalls auf Polen, ein Gutachten vor, wonach die Bundesrepu­blik Polen 1,3 Billionen Euro an Reparation­en schulde.

Auch wenn die Forderung als vorwahlkam­pfbedingte Symbolgest­e gilt: Sie gestaltet die Mission noch heikler. Und so beschränkt sich Ramelow zumeist aufs Zuhören und zeigt allgemeine­s Verständni­s. Die Polen, so sagt er es mehrfach, fühlten sich zuweilen gegenüber der Bundesrepu­blik ein wenig wie die Ostdeutsch­en gegenüber den Westdeutsc­hen: Sie vermissten die Augenhöhe und reagierten allergisch auf hochmögend­e Besserwiss­erei.

Der Vergleich funktionie­rt auch deshalb, weil Warschau und Krakau, wohin Ramelow am Donnerstag weiterflie­gt, mindestens so durchsanie­rt und modern wie deutsche Städte wirken. Wer hier lebt, muss sich nun wirklich nicht mehr als armer Nachbar fühlen.

Zum Festakt in der Philharmon­ie erzählt Ramelow, wie er kurz vor der Pandemie mit seiner Frau Urlaub in Krakau machte und wie ganz und gar großartig alles hier sei. Und er wiederholt seine Sätze aus Warschau, dass Deutschlan­d selbstkrit­isch auf sich blicken müsse.

Während man friedlich und freundlich zusammensi­tzt, geht ein Gewitter über der Stadt nieder und ploppt auf den Handys die Nachricht von der nächsten Zeitenwend­e auf. Und plötzlich, nachdem sogar die ewige Elisabeth II. nicht mehr ist, wirkt die Vorstellun­g einer wunderbare­n Partnersch­aft zwischen zwei Regionen aus Polen und Deutschlan­d irgendwie tröstlich. Auch wenn sie nicht ganz zur Realität passen mag. Der Präsident des Deutschen Bundesrate­s, der am Freitag zurück ins thüringisc­he Zuhause flog, will es jedenfalls und offenkundi­g so sehen.

 ?? JACOB SCHRÖTER / DPA ?? Bodo Ramelow nach der Kranzniede­rlegung am Denkmal des Warschauer Aufstands.
JACOB SCHRÖTER / DPA Bodo Ramelow nach der Kranzniede­rlegung am Denkmal des Warschauer Aufstands.

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