Über Räuber und Barmherzigkeit
Ramón Seliger ist Pfarrer an der Stadtkirche in Weimar
Barmherzigkeit ist ein wunderbares Wort. Die Bibel erzählt davon in einer Geschichte, die mich immer wieder bewegt. Ein Mensch fiel unter die Räuber. Auf offener Straße wird er überfallen, ausgeraubt und geschlagen. Halbtot liegt er am Straßenrand. Sein Leben steht auf dem Spiel.
Da kommt ein Priester des Weges. Rettung naht! Aber er sieht den Verwundeten und geht vorüber. Das Gleiche wiederholt sich mit einem Leviten, einem ranghohen Tempeldiener. Auch er geht vorbei. Als alle Hoffnung verloren scheint, kommt ein Samariter. Ausgerechnet ein Samariter! Ein Ausländer, ein Ungläubiger. Von denen erzählt man sich üble Geschichten. Aber der Samariter sieht hin. Er sieht die Not. Der
Samariter leistet Hilfe, er ist barmherzig. Er verbindet die Wunden, lindert die größte Not und bringt ihn in die nächste Herberge. Dort bezahlt er sogar für die Pflege des Notleidenden.
Eine schöne Geschichte. Zu schön, um wahr zu sein? Ich hoffe nicht! Ich vertraue darauf, dass das immer wieder geschieht. Der Mensch, der hier Hilfe erfährt, hat keinen Namen. Aus gutem Grund. Es kann jede und jeden von uns treffen. Und dann sind wir darauf angewiesen, dass andere hinsehen und nicht an der Not vorbeigehen. Nicht immer geht es gleich um Leben und Tod.
In der Weimarer Tafel hat die Not viele Gesichter: Armut und Einsamkeit, Krankheit und Flucht. Die Sorge ums tägliche Brot. Es gäbe viele Geschichten zu erzählen. Von Menschen, die unter die Räuber gefallen sind. Aber auch von Menschen, die anpacken und helfen, die Not lindern und Barmherzigkeit leben. Über sie heißt es in der Bibel: „Jesus Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Schwestern und Brüdern, das habt ihr mir getan.“