Thüringer Allgemeine (Weimar)

Markt regelt Moral

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Britta Hinkel zögert schon mal beim Geldausgeb­en

Neulich fragt mich meine beste Freundin Pia: „Muss man sich eigentlich schämen, wenn man sich in Zeiten wie diesen etwas gönnt?“

„Du meinst, wenn man trotz Energiekri­se zum Inder essen oder trotz Krieg in der Ukraine shoppen geht?“, sag ich.

„Ja, ist es dekadent, sich jetzt um seine neue Herbstgard­erobe zu kümmern?“, sagt Pia.

„Neulich schrieb ein Kollege, man muss die Feste feiern, wie sie fallen; das hat mich auch nachdenkli­ch gemacht… Muss man das wirklich? Darf man das?“, sag ich.

„Anderersei­ts hab ich immer das abschrecke­nde Beispiel meines Liebsten vor Augen, der sich gern mal ein hippes T-shirt leistete, aber alle Neuanschaf­fungen erstmal nicht trug und im T-shirt-stapel ganz nach unten gepackt hat. ,Für gut’, wie er immer scherzhaft meinte“, sagt Pia.

„Hat dich das nicht amüsiert?“, sag ich.

„Klar, bis ich die über die Jahre hübsch angewachse­ne T-shirtsamml­ung mal genauer inspiziert­e. Die waren alle vom Schnitt her mittlerwei­le total aus der Mode gekommen! So viel zum Sparfuchs-motto ,für gut’...“, sagt Pia.

„Da bringts du mich auf eine Idee. Ich hab eine bunte Kollektion an 50-Cent-gutscheine­n von diversen Raststätte­n-toiletten. Die hab ich auch nach dem Motto ,heb ich mir auf für später’ gebunkert. Wahrschein­lich sollte ich die langsam mal eintausche­n“, sag ich.

„So lange du dich überhaupt noch traust, so weite Strecken zu fahren, dass du an einer Autobahnra­ststätte vorbei kommst. Bei den Spritpreis­en ist ja inzwischen eher Laufen angesagt“, sagt Pia.

„Womit wir wieder beim Thema wären. Am Ende diktiert uns wohl doch der Markt, was wir dürfen und können und sollten. Der Markt hat unsere Moral fest im Griff. Und wenn ich so überlege, hat mein Kollege nicht ganz unrecht...“, sag ich.

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