„Jeder will sein Ego durchsetzen“
Die Weimarer Paarberaterin Grit Heyse verrät, warum heutzutage viele Beziehungen nicht funktionieren
Weimar. Im Hinblick auf den Valentinstag und die Illusion, dass überall nur glückliche Paare unterwegs sind, fühlen sich viele Menschen einsam. Familien- und Paarberaterin Grit Heyse spricht im Interview darüber, was Einsamkeit ist, und warum heutzutage so viele Beziehungen in die Brüche gehen.
Was ist Einsamkeit?
Ich möchte zwischen Einsamkeit und Alleinsein unterscheiden. Alleinsein hat eine positive Komponente: Ich möchte mal für mich sein. Das impliziert nicht unbedingt Einsamkeit. Einsamkeit dagegen empfinden wir als etwas Negatives, als ein Gefühl von Mangel, wenn jemand beispielsweise niemanden mehr hat. Das muss noch nicht heißen, dass derjenige überhaupt keine Menschen mehr um sich hat. Trotzdem kann er sich einsam fühlen. Derjenige hat vielleicht Menschen um sich, aber niemanden, mit dem er so reden könnte, dass ihm das Gefühl der Einsamkeit nehmen würde.
Würden Sie sagen, dass es eine psychische Erkrankung ist?
Einsamkeit ist keine psychische Erkrankung, aber kann zu einer führen. Es kann zu Depressionen oder auch zu Süchten führen. Die Sucht äußert sich dabei unterschiedlich, wie beispielsweise als Alkohol- oder Arbeitssucht. Zudem ist der Körper bei einer psychischen Erkrankung anfälliger für alle möglichen Krankheiten.
Gibt es Anlaufstellen, wo Betroffene Hilfe bekommen können?
Es gibt beispielsweise Familien- und Paarberatungsstellen, psychologische Beratungen, aber auch die Telefonseelsorge. Ich denke, Anlaufstellen gibt es genug. Es stellt sich eher die Frage, ob derjenige sich in der Lage fühlt, Unterstützung zu holen, oder ob er jemanden im Umfeld hat, der ihm da heraushilft.
Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass Beziehungen nicht funktionieren?
Bis in die 60er-jahre war die Beziehung eine von der Gesellschaft klar definierte Institution. Der gesellschaftliche Druck war hoch, denn auch damals haben viele in der Ehe gelitten, doch man blieb aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung zusammen. Die Rollenverteilung unterlag klaren Regeln. Ab 1968 kam mit der freien sexuellen Entwicklung eine grundlegende Veränderung. Die Ehe wurde als patriarchal und nicht mehr erstrebenswert angesehen. Die Frauen fingen an zu arbeiten, und es kamen viele neue Herausforderungen auf die Familien
zu. Scheidungen stiegen rasant an, und in den 80er- und 90er-jahren wurde es normal, sich scheiden zu lassen.
Viele wollen die Verantwortung nicht übernehmen und werfen die Flinte zu früh ins Korn. Heute ist es völlig normal, nicht zu heiraten oder sich schnell wieder scheiden zu lassen. Damit will ich nicht sagen, dass man sich nicht scheiden lassen soll. Es gibt Momente, da ist die Beziehung dermaßen auf dem Boden aufgekommen, dass es das Beste für die ganze Familie ist. Aber grundsätzlich geben die Partner zu schnell auf und schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Nirgendwo wird gelehrt, dass das Zusammenleben in einer Familie auch Arbeit an sich selbst bedeutet.
Außerdem sind wir zu sehr auf das „Außen“konzentriert. Die Eltern gehen arbeiten und die Kinder in den Kindergarten und in die Schule. Abends kommen alle erschöpft nach Hause, und der Streit ist unvermeidbar. Wie reagieren wir jetzt aufeinander, ohne aggressiv zu werden? Wir haben nicht gelernt, gewaltfrei zu kommunizieren. Zudem will jeder sein Ego durchsetzen. Bei Auseinandersetzungen streiten die kleinen Kinder in uns, die in der Kindheit zu kurz gekommen sind und jetzt als Erwachsene nicht mehr auf sich herumtrampeln lassen.
Sind die Ansprüche der Menschen heutzutage zu hoch?
Die Messlatte ist zu hochgelegt, weil wir einem Hollywood-klischee unterliegen. Wir gucken alle diese Filme, sogar sehr gerne, denn am Ende wird alles gut, und es ist eigentlich wie im Märchen. Es wird immer kurz vor der Hochzeit oder mit der Hochzeit abgeblenrucksack det, aber was ist danach? Da geht es ja überhaupt erst los. Wir haben alle das Bild im Kopf: Ich finde den einen oder die eine und ab jetzt wird alles gut – und das ist ein Trugschluss.
Am Anfang ist der Partner immer toll. Da sagt die Frau zum Beispiel: ,Mein Partner ist ausgeglichen, ruhig. Wie ein Fels in der Brandung.‘ Drei Jahre später kommt das Paar zu mir und die Frau sagt: ,Es steht mir bis hier. Er bekommt den Hintern nicht hoch.‘ Er hat sich nicht verändert. Er ist noch genau derselbe Mensch wie vor drei Jahren, aber die Wahrnehmung ist eine and ere.
Wir alle tragen einen Rucksack mit uns herum. Paare lernen sich in jungen Jahren
kennen und sehen den des anderen nicht und können am Anfang auch gar nicht einschätzen, wie groß der Rucksack ist. Meistens haben sie sich noch gar nicht mit ihrem eigenen beschäftigt.
Gibt es den einen perfekten Partner, ganz nach dem Motto: Es gibt für jeden Topf einen Deckel?
Ja, es gibt sogar mehrere Deckel. Es wäre schlimm, wenn es nur einen gäbe, wäre die Suche eine echte Herausforderung. Ich hatte ein Paar in der Beratung, das sich auf einem großen Event gesehen und kennengelernt hat. Meine provokative Aussage ist: Wir sind nie die falschen füreinander. Wenn wir die falschen füreinander wären, würden wir aneinander vorbeigehen. Das Paar hat sich zwischen Tausenden von Leuten gesehen. Sie haben sich noch nicht angefasst, noch nicht miteinander gesprochen, aber da ist schon klar: Passt es oder passt es nicht.
Was raten Sie Menschen, die gar nicht erst in eine Beziehung kommen?
Nicht jeder muss oder will mit einem Partner durch das Leben gehen. Jeder stellt sich irgendwann mal die Frage: Was ist der Sinn des Lebens? Es gibt nicht den einen Weg. Wir müssen nicht alle Familie bekommen. Viele Paare wollen keine Kinder, und mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass es viele Frauen gibt, die allein bleiben und auch keine Partnerschaft wollen. Und das ist ok, wenn diejenigen damit glücklich sind.
Sind die jungen Leute heutzutage beziehungsunfähig? Man spricht immer von der „Generation beziehungsunfähig“.
Ich würde nicht sagen, dass die Generation heute beziehungsunfähig ist, aber sie hat es schwerer. Alles ist möglich, und das macht es so schwierig, den eigenen Weg zu finden. Was möchte ich bei diesem ganzen Überangebot, und was ist der richtige Weg? Und das ist mit 20 Jahren ja auch noch alles im Werden.
Ich stehe der heutigen Generation voller Hochachtung gegenüber, weil sich viele rechtzeitig Hilfe suchen und zum Beispiel zu mir in die Paarberatung kommen. Als ich 20 war, war das sehr unüblich. Ich habe hier 16-Jährige sitzen, die sagen: Wir wollen das Aufarbeiten bevor wir eine Familie gründen. Und es ist toll, dass sie sich damit auseinandersetzen.
In meiner Generation schaute ein Paar erst einmal längere Zeit durch die rosarote Brille, bevor der erste Knall kam. Die jetzige Generation setzt sich schneller mit den anstehenden Fragen auseinander. Zumindest soweit ich das in meinem Umfeld überschaue. Meiner Ansicht nach sucht jede Generation nach ihrem persönlichen Glück.