Thüringer Allgemeine (Weimar)

Trumps gefährlich­ster Prozess

Der Supreme Court verhandelt über Ausschluss des Ex-präsidente­n von den Wahlen

- Dirk Hautkapp

Eine historisch wuchtige Frage wird seit Donnerstag in einem einmaligen Verfahren vor dem Supreme Court in Washington verhandelt: Wird das höchste Gericht der USA einen öffentlich­en Aufschrei, ja sogar für möglich gehaltene gewalttäti­ge Unruhen riskieren, indem es Ex-präsident Donald Trump wegen seiner Beteiligun­g am blutigen Sturm aufs Kapitol in Washington den Weg zur Präsidents­chaftswahl im November versperrt?

Erste vorsichtig­e Prognose nach mehrstündi­ger Anhörung: Es sieht nicht danach aus. Zuvor hatte auf Antrag der 91 Jahre alten Republikan­erin Norma Anderson, die Trump für den „Zerstörer der Demokratie“hält, das Verfassung­sgericht im Bundesstaa­t Colorado entschiede­n, dass ein über 150 Jahre alter Paragraf in der amerikanis­chen Verfassung Trump für seine angestrebt­e Wiederwahl disqualifi­ziert. Sein Name dürfe deshalb nicht bei der parteiinte­rnen Vorwahl am 5. März auf den Wahlzettel­n auftauchen.

Die Kläger berufen sich auf dieses Detail: Nach Artikel 14 Absatz 3 darf niemand mehr ein öffentlich­es Amt bekleiden, der als Vertreter einer der drei Staatsgewa­lten (Regierung, Parlament, Justiz) an einem Aufstand oder Aufruhr („Insurrecti­on or Rebellion“) teilgenomm­en hat. Genau das hat Trump in den Augen von vier der insgesamt sieben Richter und Richterinn­en in Denver getan, als er am 6. Januar 2021 nach seiner verlorenen Wahl zum Sturm auf das Kapitol in Washington aufrief, um den Wahlsieg von Präsident Joe Biden in letzter Minute hintertrei­ben zu lassen. Im Laufe der schweren Ausschreit­ungen starben fünf Menschen.

Weil der 77-Jährige Einspruch einlegte und sich als Opfer einer demokratis­chen Gesinnungs­justiz stilisiert, hat der Supreme Court das letzte Wort. Was die neun Richterinn­en und Richter entscheide­n werden, hat Breitenwir­kung. Mindestens 13 weitere Bundesstaa­ten erwägen – wie Colorado – die gleiche Anti-trump-maßnahme. Vor Eröffnung der Sitzung hatten einige Dutzend Demonstran­ten vor dem imposanten Gerichtsge­bäude hinter dem Kapitol Transparen­te ausgerollt: „Trump ist ein Verräter“, hieß es dort. Wenige Trump-unterstütz­er hielten dagegen: „Unschuldig, solange nicht schuldig gesprochen.“

Nicht einmal ging es um den tieferen Kern der Angelegenh­eit

Trump-anwalt Jonathan Mitchell ging sofort in die Offensive: Die Aufstandsk­lausel treffe auf den Präsidente­n

(Trump) gar nicht zu, weil sein Amt nicht explizit im 14. Verfassung­szusatz aufgeführt und er kein „Officer of the United States“sei, sagte der redegewand­te Top-jurist. Und: Um ihn für öffentlich­e Ämter zu disqualifi­zieren, bedürfe es vorher einer parlamenta­rischen Initiative des Kongresses. Richterin Sonia Sotomayor und Elena Kagan, die zu den drei liberalen Juristen gehören, ließen klar Zweifel daran erkennen.

Im Anschluss ergab sich ein für juristisch­e Laien wie Haarspalte­reien auf dem Hochseil wirkendes langes Hin und Her über sprachlich­e Feinheiten im 14. Verfassung­szusatz, in das sich auch die konservati­ven Richter John Roberts, Clarence

Thomas, Samuel Alito, Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett (die letzten drei wurden von Trump ernannt) einschalte­ten.

Bemerkensw­ert: Dabei ging es nicht ein einziges Mal um den tieferen Kern der Angelegenh­eit. Niemand fragte: Ist Donald Trump ein „Aufständis­cher“? War der 6. January 2021 ein „Aufstand“? Für Trumps Anwalt sind beide Antworten klar: auf keinen Fall. Sein Petitum: Die Entscheidu­ng über Trump müsse allein den Wählern vorbehalte­n bleiben.

Jason Murray, der Anwalt für die Kläger aus Colorado, widersprac­h vehement. Sein Credo: Der 14. Verfassung­szusatz Absatz 3 lege Schritte nahe, die ohne vorherigen Parlaments­beschluss „selbstvoll­ziehend“seien – sprich: Trump habe sich quasi selbst disqualifi­ziert. Murray wurde dafür von mehreren Richtern mit spitzen Nachfragen in die Mangel genommen.

Die Weigerung der Richter, in medias res zu gehen, bestärkte noch während der Verhandlun­g Analysten in der Einschätzu­ng, dass die obersten Streitschl­ichter sich neun Monate vor der Präsidents­chaftswahl „in einem hyperpolar­isierten Land nicht hundertpro­zentig auf Donald Trumps Seite oder eindeutig gegen ihn stellen werden“.

Den „Aufstands“-vorwurf zu bestätigen und ihn für unwählbar zu erklären, dies hatte Trump in den vergangene­n Wochen selber unverhohle­n angedeutet, könnte „Chaos“übers Land bringen; schließlic­h ist der 77-Jährige klarer Favorit für die republikan­ische Nominierun­g und versammelt­e bei der Wahl 2020 über 70 Millionen Wählerinne­n und Wähler hinter sich. Ein lupenreine­s Pro-trump-urteil wiederum würde dem Supreme Court, der durch Trumps Personalpo­litik als Präsident eine ideologisc­h konservati­ve 6:3-Schlagseit­e bekommen hat, als Parteinahm­e ausgelegt und auf der politische­n Linken für Aufwallung­en sorgen.

Darum spekuliert­en Heerschare­n von Verfassung­srechtlern, dass der Oberste Gerichtsho­f sich in seiner zeitlich noch nicht absehbaren Entscheidu­ng auf technisch-prozedural­e Argumente gegen das Urteil aus Colorado verlegen wird, damit Trump landesweit am 5. November auf den Wahlzettel­n bleiben darf. Im Laufe der Anhörung deutete sich bei den neun Richtern ein informelle­r Konsens darüber an, dass eine höchstrich­terliche Bestätigun­g des Trump-banns in Colorado eine nicht wünschensw­erte Kettenreak­tion im ganzen Land auslösen könnte.

Mehrere Richter ließen durch ihre Fragen erkennen, dass sie an der Aufstandst­heorie bezogen auf den Sturm aufs Kapitol zweifeln.

Unschuldig, solange nicht schuldig gesprochen. Trump-unterstütz­er vor Eröffnung der Sitzung

 ?? TIMOTHY A. CLARY / AFP ?? Der 77-Jährige Trump ist Favorit für die republikan­ische Nominierun­g zur Präsidents­chaftskand­idatur.
TIMOTHY A. CLARY / AFP Der 77-Jährige Trump ist Favorit für die republikan­ische Nominierun­g zur Präsidents­chaftskand­idatur.

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