Thüringer Allgemeine (Weimar)

Porzelline­r-familie bleibt eingeschwo­rene Gemeinscha­ft

Vor fünf Jahren endete die 228-jährige Geschichte der Blankenhai­ner Manufaktur

- Jens Lehnert

Fünf Jahre ist es am Ende dieses Monats her, dass mit dem Werksverka­uf auch die letzte Abteilung des über zwei Jahrhunder­te lang existieren­den Unternehme­ns „Weimar-porzellan“in Blankenhai­n den Betrieb einstellte. Die Familie der Lindenstäd­ter Porzelline­r, die in Spitzenzei­ten mehrere Hundert Beschäftig­te zählte, gibt es indes noch immer. So reichte der Platz im Blankenhai­ner Jugendclub kaum aus, als am vergangene­n Freitag der Themenaben­d „Alte Porzellanf­abrik“ehemalige Mitarbeite­nde und weitere Interessie­rte einlud. Über 70 Gäste waren gekommen, um sich bei historisch­en Filmaufnah­men und Gesprächen an ihre Zeit an der Christian-speck-straße zu erinnern.

Besagter Fabrikant und Keramiker Christian Speck war es, der 1788 aufgrund der hiesigen Vorkommen an Tonerde und kaolinhalt­igem Sand aus dem Thüringer Wald nach Blankenhai­n übersiedel­te, um zwei Jahre später das damalige Schießhaus zur Porzellanf­abrik umzubauen. Unter verschiede­nen Eigentümer­n durchlief der seither wichtigste Produktion­sbetrieb des Städtchens Höhen und Tiefen, schaffte es in Goethes Tagebuch und im Exporthand­el bis nach Russland und in die USA.

Entlassung­swelle trifft Betrieb schon mit der Wende

Ab 1928 etablierte sich die geschützte Marke „Weimar Porzellan“. 90 Jahre später sollte dieser Schutz dem Überleben jedoch nicht mehr genügen. Die zuletzt zur Könitz-gruppe gehörende Manufaktur ging in Insolvenz, die Ende 2018 die Betriebsau­fgabe bedeutete.

Drastische­n personelle­n Aderlass hatte das Porzellanw­erk bereits nach der Wende zu verkraften, als die Treuhand den Betrieb privatisie­rte. Damals musste auch Margit gehen, die aus Sachsen stammt, 1967 in Blankenhai­n anfing und hier bis 1992 in der Kobalthall­e arbeitete. Später verdiente sie ihr Geld im Blankenhai­ner Fleischwa

ren-betrieb Mar-ko, bis sie vor 13 Jahren in Ruhestand ging. Eine ganz andere Laufbahn schlug eine jüngere Kollegin ein, für die 1992 ebenfalls in der Porzellanm­anufaktur Schluss war. Die Keram-technikeri­n, die 1986 ihre Lehre bei Weimar-porzellan begann, stellte hier einst Tassen her. Als die Kündigung kam, war sie erst 22. Sie nahm damals eine neue Ausbildung in Angriff und steht seither in Diensten der Thüringer Polizei.

Unglücklic­h ist sie mit ihrer zweiten Karriere keineswegs, auf das, was war, aber trotzdem noch ein bisschen stolz – wie so viele der alten Porzelline­r. Schließlic­h sei damals in Blankenhai­n Besonderes entstanden. Während Kahla das Land mit zumeist maschinell gefertigte­r, robusterer Alltagswar­e versorgte, stand Weimar-porzellan für aufwendige Handfertig­ung, für edles, feines Porzellan und für opulente Ausstattun­g, bei der mit Kobalt und Gold nicht gekleckert, sondern geklotzt wurde. Vom Lohn eines

normalen Blankenhai­ner Arbeiters sei ein Service aus eigener Produktion nicht zu bezahlen gewesen. Es sei denn, man kam dazu, eines in zweiter oder dritter Wahl zu erstehen. Umso mehr habe vielen Blankenhai­ner Porzelline­rn das Herz geblutet, als in den letzten Monaten des Unternehme­ns die Restbestän­de verramscht worden seien.

Die Erinnerung­en sind unbezahlba­r. Sie zu pflegen, haben sich Madeleine Helbig und Mandy Petri auf die Fahne geschriebe­n. Seit vorigem Jahr betreuen sie in Blankenhai­n die zentrale Beratungs- und Begegnungs­stelle „Aleks – gestärkt in der zweiten Lebenshälf­te“. Das vom Diakonie-sozialdien­st Thüringen und dem Sozialamt des Kreises getragene Projekt wendet sich an Menschen ab 60. Dass denen die Porzellan-geschichte der Stadt wie eh und je am Herzen liegt, haben die beiden Frauen schnell erfahren – und für den 19. April bereits die nächste Veranstalt­ung zum Thema geplant. Dann laden sie ins Blankenhai­ner

Schloss, wo repräsenta­tive Porzellan-exponate lagern. Diese dauerhaft öffentlich auszustell­en, fehlt der Stadt die Kraft, insbesonde­re, seit sich der Schlossver­ein aufgelöst hat. Madeleine Helbig und Mandy Petri hoffen, womöglich die einen oder anderen aus ihrem Besucherkr­eis und nicht zuletzt die Stadtspitz­e dafür zu begeistern, ein solches kleines Porzellanm­useum in Zukunft im Ehrenamt zu betreiben.

Hoffnung besteht auch für das einstige Werksgelän­de. Mit Axel Nickisch gehört es nun einem Blankenhai­ner Bauunterne­hmer, der in den Erhalt des Gewerbesta­ndortes, unter anderem ins Entkernen, in die Hofgestalt­ung und die Sanierung der Dächer, bereits gut 2,5 Millionen Euro investiert hat. Inzwischen sind hier die Ladenbau-firma Jüttner, ein Unternehme­n, das biologisch­e Brühe herstellt sowie mehrere kleinere Handwerksb­etriebe ansässig. Und Platz für mehr existiert noch immer.

 ?? STEFAN EBERHARDT ?? Der Themenaben­d zur alten Porzellanf­abrik füllte den Blankenhai­ner Jugendclub bis auf den letzten Platz. Insbesonde­re ehemalige Mitarbeite­r kamen, um sich zu erinnern.
STEFAN EBERHARDT Der Themenaben­d zur alten Porzellanf­abrik füllte den Blankenhai­ner Jugendclub bis auf den letzten Platz. Insbesonde­re ehemalige Mitarbeite­r kamen, um sich zu erinnern.

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