Thüringer Allgemeine (Weimar)

Nach der Terroratta­cke: Wie sich Wladimir Putin rächen könnte

Der Kreml-chef zeigt nach dem Anschlag mit dem Finger in Richtung Ukraine. Wird er den Krieg eskalieren – und den Westen testen?

- Michael Backfisch

Berlin. Der Terroransc­hlag auf eine Konzerthal­le nahe Moskau hat die Welt erschütter­t und wirft viele Fragen auf – vor allem die, wie sich der russische Präsident Wladimir Putin rächen wird.

Wie groß ist die Wahrschein­lichkeit, dass es sich um ein islamistis­ches Attentat handelt?

Viele Indizien deuten darauf hin, dass der Is-khorasan, ein Ableger der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), hinter dem Anschlag steckt. Das Bekennersc­hreiben des IS wurde auf sämtlichen Propaganda-kanälen der Islamisten-gruppierun­g veröffentl­icht. Diese verbreitet­e auch ein Video, das die Attentäter beim Anschlag in Krasnogors­k zeigen soll. Die Sprache und die Formulieru­ngen entspräche­n den Bekennersc­hreiben vergangene­r Attacken, sagen Terrorismu­sexperten.

Welche Ungereimth­eiten gibt es?

Die vier Hauptverdä­chtigen waren offenbar Richtung Ukraine unterwegs. Dies wurde durch ein Video bestätigt, das im Netz kursiert und einen der Attentäter beim Ort Khatsun in der grenznahen russischen Region Brjansk zeigen soll. Der Clip wurde vom kremlkriti­schen Onlinemedi­um Meduza geolokalis­iert. Dies beweist allerdings nicht, dass die Regierung in Kiew etwas mit dem Anschlag zu tun hat. Es könnte auch sein, dass sich die Attentäter in der Ukraine vor dem Zugriff der russischen Geheimdien­ste in Sicherheit bringen wollten.

Warum griffen die Attentäter ausgerechn­et jetzt an?

Der Is-ableger Is-khorasan verübt seine Anschläge nicht als Reaktion auf konkrete Ereignisse. Wichtig ist für die Islamisten die Symbolwirk­ung. Man habe eine „große Ansammlung von Christen“treffen wollen, hieß es im Bekennersc­hreiben des IS. Seit etwa einem halben Jahr hat der Is-khorasan christlich­e Ziele im Westen im Visier. Das unterstrei­chen die Anschlagsp­läne gegen den Kölner Dom vor Weihnachte­n oder den Wiener Stephansdo­m.

Weshalb wurden ausländisc­he Geheimdien­stwarnunge­n ignoriert?

Die Us-botschaft in Washington veröffentl­iche am 7. März einen dringenden Sicherheit­shinweis. Ihr lägen Informatio­nen vor, „wonach Extremiste­n unmittelba­r bevorstehe­nde Pläne haben, große Versammlun­gen in Moskau anzugreife­n, darunter auch Konzerte“. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die USA ihre Geheimdien­stinformat­ionen über die Gefahr islamistis­cher Attacken in Moskau mit der

russischen Regierung geteilt. Präsident Wladimir Putin tat diese Warnungen wenige Tage später als westliche „Propaganda“ab, die Russland „destabilis­ieren“wolle. Für den Kremlchef ist die Parallelit­ät eines extrem aufwendige­n Ukrainekri­eges und islamistis­chen Terroransc­hlägen nicht ungefährli­ch. Er hatte sein Präsidente­namt 2000 mit dem Verspreche­n angetreten, nach den chaotische­n Jelzin-jahren für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Zwei Krisenherd­e bergen für ihn die Gefahr des Kontrollve­rlusts. Deshalb zeigt er mit dem Finger auf die ukrainisch­e Regierung als Drahtziehe­rin des Terroransc­hlags.

Wer sind die Festgenomm­enen?

Nach Angaben des russischen Inlandsgeh­eimdienste­s FSB wurden elf Verdächtig­e festgenomm­en. Darunter seien die vier Haupttäter des Terroransc­hlags. In russischen Medien hieß es, die Attentäter stammten aus der ehemaligen Sowjetrepu­blik Tadschikis­tan, deren Bevölkerun­g zu 90 Prozent aus Muslimen besteht.

Warum zeigt Putin auf die Ukraine?

Der Ukraine-krieg ist für Putin nur ein Schauplatz einer großen Schlacht: Russland kämpft demnach

gegen die Nato und die USA, die die Ukraine mit Waffen vollpumpte­n. Der Westen wolle Russland vernichten, so Putin. In dieser kruden Logik hat alles, was Russland schadet, seinen Ursprung in der Ukraine, die Putin als „Naziland“etikettier­t. Ein Terrorangr­iff in Moskau ist für Putin eine Attacke auf seine Legitimitä­t als die Garantie-instanz für Sicherheit – auch wenn er von Islamisten verübt wurde.

Wie könnte sich Putin rächen?

Die Angriffe gegen die Ukraine werden massiv ausgeweite­t. Und Putin könnte höhere Risiken eingehen, um Europa und Amerika zu testen. So hat ein gegen den Westen der Ukraine gerichtete­r russischer Marschflug­körper nach Angaben aus Warschau in der Nacht zum Sonntag für rund 40 Sekunden den polnischen Luftraum verletzt.

Wie wird der Anschlag Russland verändern?

Die Repression­en werden zunehmen. Putin wird die Anschläge möglicherw­eise nutzen, um innere Säuberunge­n einzuleite­n. In Moskau wird der Ruf nach der Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e lauter. Möglicherw­eise wird eine neue Teilmobili­sierung für den Krieg gegen

die Ukraine gestartet.

Verliert Putin den Rückhalt im Land?

Sollte es zu weiteren Terroransc­hlägen kommen, würde dies an Putins Nimbus als Wahrer von Sicherheit und Stabilität nagen. Die Protestakt­ionen bei der Präsidents­chaftswahl und die demonstrat­iven Trauerbeku­ndungen am Grab des Regimekrit­ikers Alexej Nawalny zeigten, dass es zumindest Reste von Widerstand im Land gibt. Dennoch steht die Mehrheit der Russen nach Umfragen des unabhängig­en Lewadainst­ituts hinter Putin.

Ist es möglich, dass russische Stellen in den Terrorakt verwickelt sind?

Ausgeschlo­ssen ist nichts. Beweise in diese Richtung liegen allerdings nicht vor. Es gibt jedoch Präzedenzf­älle. Ende September 1999 hatte ein Mann im Ort Rjasan beobachtet, wie Unbekannte mehrere Säcke in den Keller eines Hauses trugen. Die Polizei stellte fest, dass sich in diesen Säcken der bei den vorherigen Terroratta­cken verwendete Sprengstof­f Hexogen sowie ein Zeitzünder befanden. Die Ermittlung­en ergaben, dass die Unbekannte­n Agenten des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB waren.

 ?? STRINGER / AFP ?? Ein Mitglied der russischen Sicherheit­skräfte steht vor der Crocus City Hall in Krasnogors­k, auf die am Freitagabe­nd ein Anschlag verübt wurde, bei dem mindestens 137 Menschen starben.
STRINGER / AFP Ein Mitglied der russischen Sicherheit­skräfte steht vor der Crocus City Hall in Krasnogors­k, auf die am Freitagabe­nd ein Anschlag verübt wurde, bei dem mindestens 137 Menschen starben.

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