Fünf Beispiele für irre Bürokratie
Egal ob Führerschein, Schulbücher oder Arbeitsschutz: Für alles gibt es Vorschriften – über viele kann man streiten
Berlin. Es kommt eher selten vor, dass sich die zerstrittene Ampelkoalition selbst auf die Schulter klopft. Vor ein paar Tagen aber war es mal wieder so weit: Da verständigten sich SPD, Grüne und FDP darauf, dass es in Deutschland künftig möglich sein soll, Arbeitsverträge per Email abzuschließen. Statt der bisher verbindlichen Schriftform auf Papier soll künftig die elektronische Textform ausreichen. Willkommen im 21. Jahrhundert!
„Das ist ein großer Schritt zur Vereinfachung für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen“, jubelte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-bundestagsfraktion, Irene Mihalic. Ihr Fdpkollege Johannes Vogel ergänzte: „Das ist ein wesentlicher Schritt zu mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie.“Die Regelung soll einfließen in ein Gesetz zum Bürokratie-abbau, das sich gerade im parlamentarischen Verfahren befindet. Seit jeher ist der deutsche Staat besonders stark darin, Bürger und Betriebe mit Papierkram und Vorschriften zu behelligen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und die Deutsche Industrieund Handelskammer (DIHK) haben für unsere Redaktion ein paar besonders krasse Bürokratie-beispiele herausgesucht. Sie illustrieren aus Sicht der Wirtschaft, wie stark die Bürokratie überhandgenommen hat:
1. Die verpflichtende Arbeitsschutzbeurteilung:
Das Handwerk klagt darüber, dass für jeden Arbeitsplatz mit Blick auf Schwangere eine spezifische Arbeitsschutzbeurteilung notwendig ist. „Diese umfangreiche Dokumentationspflicht zur Gefahrenlage für Schwangere besteht selbst dann, wenn die Stelle gar nicht von einer Frau besetzt ist“, so der ZDH.
2. Fahrerlaubnis für ausländische Fachkräfte:
Den Industrieund Handelskammern sind Fälle bekannt, in denen ausländische Mitarbeiter deutscher Betriebe plötzlich ohne gültigen Führerschein dastehen. Und das, obwohl es erklärtes Ziel der Politik ist, Deutschland attraktiver für Fachkräfte aus anderen Ländern zu machen. So stellte eine Unternehmerin aus Niedersachsen einen Mitarbeiter aus Mexiko ein, der über 30 Jahre Fahrerfahrung in seiner Heimat verfügte. Mit einem Touristenvisum legte er noch einmal eine Fahrprüfung in Deutschland ab. „Der Führerschein verliert sofort die Gültigkeit, sobald die Aufenthaltsgenehmigung sich ändert“, berichtet die DIHK. Der Mann muss noch einmal die theoretische und die praktische Prüfung nachholen, für seine
Frau gilt dasselbe. Kosten für beide: etwa 6000 bis 7000 Euro. Die Firma befindet sich im ländlichen Raum, ein Leben und Arbeiten ohne Auto ist dort kaum möglich.
3. Grenzausgleich für Kohlendioxid:
Die EU will den Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid massiv senken und verhindern, dass Firmen verstärkt Waren aus Drittstaaten mit laxeren Klimagesetzen kaufen oder ihre eigene Produktion gleich dorthin verlagern. Für jede importierte Tonne CO2 müssen deshalb im Rahmen des Eu-grenzausgleichssystems (CBAM, Carbon Border Adjustment Mechanism) eigene Zertifikate gekauft werden. Die DIHK berichtet, dass jeder, der etwa in Drittstaaten Schrauben über einem Wert von 150 Euro einkauft, sich als Cbam-importeur registrieren und mehr als 200 Datenfelder fristgerecht ausfüllen muss. „In Deutschland wurde das entsprechende Cbam-portal erst einige Tage vor der ersten Abgabefrist Ende Januar aktiviert“, heißt es – obwohl CBAM bereits seit Anfang Oktober 2023 in Kraft ist.
4. Statistik im Güterverkehr:
Das Bundesamt für Logistik und Mobilität erhebt regelmäßig Daten in Bezug auf den Transport von Gütern auf der Straße. Abgefragt werden Informationen über die Transportleistung einzelner Fahrzeuge (nach Kennzeichen). Die Betreiber müssen sehr detaillierte Fragebögen ausfüllen und unter anderem angeben, wo auf der Route Stopps eingelegt wurden (Postleitzahlen und Orte), welche Staaten durchquert wurden, welche Fahrzeugdaten maßgeblich sind und wie groß der Anhänger ist. Außerdem müssen sie die Gütermenge in Kilogramm angeben sowie Auskunft darüber geben, ob die Ladung flüssig oder fest war. „Die Informationen sind nur mit einem enormen Zeitaufwand nachzuhalten“, heißt es bei der DIHK.
5. per
Schulbuchbestellung Ausschreibung: Öffentliche Aufträge müssen ab einer bestimmten Summe ausgeschrieben werden. Das soll dazu beitragen, dass die öffentliche Hand sparsam mit Geld der Steuerzahler umgeht. In
Rheinland-pfalz gelten seit anderthalb Jahren neue Vorschriften für die Beschaffung von Schulbüchern: Wenn etwa eine Kommune oder ein Landkreis für die örtlichen Schulen Bücher kauft, muss der Auftrag ab einem Gesamtwert von 10.000 Euro ausgeschrieben werden, ab 215.000 Euro sogar Eu-weit. Eine freihändige Vergabe an die lokalen Buchhändler ist nicht mehr möglich. Allerdings gilt in Deutschland die Buchpreisbindung, auch Schulbücher haben überall den identischen Preis. Das bedeutet, dass auch alle Angebote identisch sind. „Daher entscheidet das Los, welche Buchhandlung den Zuschlag erhält, und der Kauf in der Buchhandlung vor Ort wird unterbunden, obwohl hier langjährige Partnerschaften aufgebaut wurden“, kritisieren die Industrie- und Handelskammern. Die örtlichen Händler gehen also unter Umständen leer aus. Die Kommunen und Kreise aber – die ansonsten Mühe haben, den lokalen Einzelhandel am Leben zu halten – müssen aufwendige Vergabeverfahren abwickeln, ohne am Ende Geld zu sparen.