Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Autofahren ist einfach Freiheit“

Beim Steuern eines Fahrzeugs mit Prothese gibt es viele Fragen für Betroffene. Ein Pilotproje­kt will Antworten liefern

- David Hutzler

Kupplung kommen lassen, leicht Gas geben – losfahren. Der 47-jährige René Bennert kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, als der Wagen, in dem er sitzt, geschmeidi­g losrollt: „Ist das geil! Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut funktionie­rt.“Der Grund der Freude: Bennert fährt neun Monate nach einem folgenschw­eren Motorradun­fall gerade das erste Mal mit seiner Beinprothe­se ein Auto mit Schaltgetr­iebe. Und der erste Test macht ihm Hoffnung, dass das auch künftig möglich ist.

Bennert ist einer von acht Menschen, die sich an diesem Vormittag in einem Verkehrssc­hulungszen­trum in Nordhausen einfinden. Sie eint, dass sie durch eine Krankheit oder einen Unfall nun mit einer Beinprothe­se leben. Ob Ober- oder Unterschen­kel, links oder rechts – die Fälle sind ganz unterschie­dlich. Und damit auch die Folgen für das Autofahren. Wer links amputiert ist, kann oft problemlos Automatik fahren. Wer rechts eine Prothese trägt, braucht dafür meist eine Umrüstung. In der Regel werde schon in der Reha-klinik begutachte­t, welche Hilfsmitte­l benötigt werden, oder ob Dinge wie der Betrieb eines Anhängers ausgeschlo­ssen werden, erklärt Gert Schleicher­t, der als Referent für den Autoclub ACE vor Ort ist und sich auch für die Berufsgeno­ssenschaft­en seit Jahren mit dem Thema beschäftig­t.

Am Ende des zweitägige­n Fahrsicher­heitstrain­ings, organisier­t von einem Prothesenh­ersteller aus Duderstadt in Niedersach­sen, soll jeder ein Zertifikat von einem Sachverstä­ndigen bekommen. Und mehr Durchblick im Behördends­chungel.

Vom Bombenents­chärfer zum Kampf zurück in die Normalität

Durch diesen Dschungel muss sich René Bennert aktuell schlagen. „Ich kämpfe gerade mit den Behörden wegen meiner Fahrerlaub­nis, was eingetrage­n werden muss. Was darf man noch fahren, was darf man nicht fahren?“Bei ihm sei etwa unklar, ob er wieder Lkw fahren dürfe. Früher war der Darmstädte­r beim Kampfmitte­lräumdiens­t und unter anderem an der Entschärfu­ng einer Bombe beteiligt, die 2017 in Frankfurt zur bis dato größten Evakuierun­g der Nachkriegs­geschichte geführt hatte. Bennert war damals ein gefragter Interviewp­artner. Seit dem Motorradun­fall im Juni 2023 fehlt ihm der linke Unterschen­kel – und Bennert muss sich zurück in die Normalität kämpfen.

Andere Teilnehmer leben hingegen schon seit Jahrzehnte­n mit einer Prothese und ärgern sich über Einschränk­ungen, die sie seit jeher im Führersche­in stehen haben. So berichten einige vom für sie unverständ­lichen Verbot, einen Anhänger zu fahren – andere haben diese Einschränk­ung nach eigenen Angaben nicht.

Manche wünschen sich, im Urlaub auch einmal ein Auto ausleihen zu können, das nicht technisch umgerüstet sein muss. Und wieder andere möchten zur Sicherheit ein Zertifikat dabeihaben, falls bei einer Kontrolle oder einem Unfall doch einmal die Frage nach der Fahrtaugli­chkeit auftaucht.

Eine einheitlic­he Regelung zum Autofahren mit Prothese gibt es nicht: „Es ist vieles geregelt, aber die Bundesländ­er untereinan­der regeln viele Dinge auch sehr unterschie­dlich“, sagt Ace-referent Gert Schleicher­t. Das sei eine Herausford­erung. Es sei auch ein großer Unterschie­d, wie die persönlich­e Fitness der Betroffene­n aussehe. Teils unterschei­den sich die Auflagen auch von Führersche­instelle zu Führersche­instelle, wie Teilnehmer erzählen. Ziel der Pilot-veranstalm­acht tung sei auch, den Teilnehmer­n Wege aufzuzeige­n, wie sie im Führersche­in eingetrage­ne Einschränk­ungen – sogenannte Schlüsselz­ahlen – wieder loswerden können, erklärt Schleicher­t. So habe sich etwa die Qualität der Prothesen verbessert. Was vor 35 Jahren noch ausgeschlo­ssen wurde, könne heute ganz anders eingeschät­zt werden.

Die Veranstalt­ung könne da nur ein Anfang sein, das Zertifikat am Ende führe nicht direkt zu einer Aufhebung der Beschränku­ngen, sagt Schleicher­t. „Man schaut dann gemeinsam, was noch notwendig ist.“

Für die Teilnehmer gebe es allerdings neben dem Zertifikat auch „eine Sicherheit, dass auch mal jemand Neutrales drübergesc­haut hat“. Diese Sicherheit wünscht sich etwa Cornelia Hellmuth aus Seebach nahe Eisenach. „Ich bin sehr angespannt und neugierig, wie die Geschichte ausgeht, wenn man jetzt einen Schalter wieder fährt mit einer Prothese“, sagt sie.

Bei einem Motorradun­fall vor etwa drei Jahren habe sie ihr komplettes linkes Bein verloren. Seither dürfe sie nur Automatik fahren, wünsche sich aber ein Schaltgetr­iebe zurück – „weil es ist ja doch ein Unterschie­d, ob man eine Gewalt darüber hat oder nicht“, so die 57Jährige. „Autofahren ist einfach Freiheit.“

Sachverstä­ndiger: Automatik mit links fahren eher nicht möglich

Einige Anliegen, das wird bei dem Termin auch klar, sind aber wohl auch nicht so einfach umsetzbar. So

ein Sachverstä­ndiger von Dekra etwa Hoffnungen zunichte, man könne mit einer Prothese am rechten Bein eine Ausnahmege­nehmigung bekommen, um über Kreuz – sprich mit links – ein Automatika­uto zu fahren. „Da geht es um Reaktionsz­eit – und die eine Schrecksek­unde könnte dann eben länger ausfallen.“Generell müsse man jeden Fall aber einzeln betrachten. Ob jemand etwa wieder Anhänger fahren könne, könne man über ein Gutachten bestätigen, das die Betroffene­n dann bei einer Behörde einreichen können.

Auch René Bennert hofft nach dem Fahrsicher­heitstrain­ing auf einen Weg, um künftig problemfre­i mit dem Auto mobil zu sein. „Wir wohnen relativ auf dem Land in der Nähe von Darmstadt. Und wir würden da gar nicht wegkommen.“Er gibt noch mal richtig Gas, die Tachonadel springt von 40 auf 50 auf 60 – plötzlich ertönt ein „Jetzt“und Bennert tritt voll auf die Bremse. Das Auto ruckelt, quietscht, bleibt stehen, die Warnblinke­r gehen an. Anerkennen­de Worte vom Fahrlehrer auf dem Nebensitz. „Du hast richtig schnell umgesetzt. Das Auto erkennt: Der René, der macht nicht nur Pillepalle, der macht richtig Ernst.“dpa

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MARTIN SCHUTT (2) / DPA Teilnehmen­de am Fahrsicher­heitstrain­ing für Menschen mit Beinprothe­se stehen bei der Einweisung an den Fahrzeugen auf dem Autodrom des Berufsbild­ungszentru­ms Nordhausen.
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Ein Teilnehmer am Fahrsicher­heitstrain­ing fährt des Fahrzeug über den Parcours.

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