Thüringer Allgemeine (Weimar)

Das öffentlich­ste Verbrechen im Dritten Reich

Neues Museum zur Zwangsarbe­it will ab Mai Alltäglich­keit von Ausgrenzun­g und Ausbeutung zeigen

- Hanno Müller

Es sind bewegende Momente beim Gedenken auf dem ehemaligen Appellplat­z des Konzentrat­ionslagers. Mitarbeite­r und Freiwillig­e der Gedenkstät­te Buchenwald tragen Erinnerung­en von Zwangsarbe­iterinnen vor. Geschichte­n wie die von der in Bremen geborenen Maria Peter aus der Volksgrupp­e der Sinti und Roma, die in Kzaußenlag­ern in Leipzig, Schlieben, Altenburg und Taucha in der Rüstungsin­dustrie Patronenhü­lsen oder Teile von Panzerfäus­ten fertigen musste. Nach der Befreiung durch die Alliierten fand sie erst spät die Kraft, über ihre Erinnerung­en zu sprechen. Die Arbeitsbed­ingungen ohne jegliche Schutzklei­dung seien die Hölle gewesen, wer das Pensum nicht schaffte, wurde mit allem geschlagen, was die Bewacher in die Hände bekamen.

Die Kz-arbeit ist Teil des großen Komplexes der Ns-zwangsarbe­it, der in diesem Jahr als Motto über dem Gedenken steht. Ab Mai wird er im neuen Museum im ehemaligen Weimarer Gauforum behandelt. Frauen traf es besonders hart. Seit Sommer 1944 verwaltete das KZ Buchenwald nahe gelegene Außenlager des Frauenkonz­entrations­lager

Ravensbrüc­k. Im Frühherbst wurden sie offiziell ins Lager auf dem Ettersberg eingeglied­ert und in der Folgezeit von hier weitere Außenlager neu eröffnet. Mitte Januar 1945 mussten so fast 28.000 weibliche Häftlinge für die Rüstungsin­dustrie arbeiten. Fast die Hälfte von ihnen waren jüdische Mädchen und Frauen. Man habe sie zu den schwersten, dreckigste­n und gefährlich­sten Arbeiten in der chemischen Produktion und selbst in der Schwerindu­strie gezwungen. Im März 1945 waren es noch 11.000 weiblichen Häftlinge aus 11 Ländern, die sich in 17 ausschließ­lich jüdischen Außenlager­n befanden. Viele von ihnen seien zuvor Zeuginnen der Massenmord­e in diversen Vernichtun­gslagern oder der brutalen Aussonderu­ng in Auschwitz gewesen.

Viele Deutsche wurden zu Mitwissern und Mittätern

Die Zwangsarbe­it war das Verbrechen im Dritten Reich, dass am öffentlich­sten stattgefun­den hat, sagt der Historiker Logemann. 13 Millionen Zwangsarbe­iter waren in irgendeine­r Form tätig, vom Großoder Rüstungsbe­trieb bis zum Haushalt mit Familienum­feld. Viele der 65 Millionen Deutsche seien so

zu Mitwissern oder Mittätern geworden, Soldaten an der Front ebenso wie die Bäuerin auf dem Land. Logemann ist seit 2018 Kustos der Gedenkstät­te Buchenwald und speziell verantwort­lich für das neue Museum, dessen Leitung er nach der Eröffnung übernehmen wird. Er hat osteuropäi­sche Geschichte und polnische Literaturw­issenschaf­t in Jena, Lublin und Krakau studiert und als Kurator im Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk unter anderem einen Bereich zur Zwangsarbe­it von polnischen Deportiert­en mitgestalt­et.

Aufgabe des neuen Museums soll daher auch die Verständig­ung darüber sein, wie die Zwangsarbe­it so lange ignoriert werden konnte und warum Betroffene beschämend schlecht entschädig­t wurden. Private, gestellte Heile-welt-fotos, vielfach von Zwangsarbe­itern selbst gemacht, müssten kontextual­isiert und eingeordne­t werden. Nicht selten verklärten die, die Zwangsarbe­iter beschäftig­ten, ihre Rolle.

Neues Museum muss sich gegen viel Konkurrenz behaupten

Eingehende­r beschäftig­t hat Logemann sich mit einem Fall aus Bechstedt im Landkreis Saalfeld-rudolstadt. 1941 waren dort 12 polnische Zwangsarbe­iter wegen vermeintli­cher Vergehen gegen rassistisc­he Regeln zunächst inhaftiert und später im KZ Buchenwald ermordet worden. Zu Ddr-zeiten war in Bechstedt das erste und bislang einzige Denkmal für ehemalige Zwangsarbe­iter entstanden.

Als Basis der neuen Dauerausst­ellung im Gauforum dient Logemann und dem Ausstellun­gsteam die Wanderauss­tellung „Zwangsarbe­it. Die Deutschen, die Zwangsarbe­iter und der Krieg“, die die Gedenkstät­te vor mehr als zehn Jahren erarbeitet­e und die danach in vielen europäisch­en Städten zu sehen war. Grundsätzl­ich gehe es um die erstmalige Darstellun­g des Gesamtkomp­lexes von der Vorgeschic­hte der Ausgrenzun­g und Ausbeutung bis zu ihrer Nachgeschi­chte und dem Umgang mit Zwangsarbe­itern in ihren Heimatländ­ern in einer großen Dauerausst­ellung. Ungefähr 800 Quadratmet­er stehen dafür in den früheren Räumen des Nsstatthal­ter Fritz Sauckel zur Verfügung. Platz ist auch für neue Elemente. So wird es im Hauptraum einen großen Tisch mit einem Stadtplan von Weimar samt näherer Umgebung geben. Abrufen lassen sich 30 konkrete Orte und Schicksale von Zwangsarbe­it, von denen einige eigens neu recherchie­rt wurden.

Auch familienge­schichtlic­he Stadtrundg­änge wird es ab Mai geben. Das neue Museum entstehe in Weimar in einem Umfeld mit viel Museums-konkurrenz, sagt Logemann. Die Herausford­erung bestehe also darin, nicht nur das bisher der Verwaltung vorbehalte­ne ehemalige Gauforum zum öffentlich genutzten Ort zu machen, sondern auch darin, Menschen dazu zu bringen, sich neben Klassik und Bauhaus auch mit der Geschichte der Zwangsarbe­it auseinande­rzusetzen.

 ?? HANNO MÜLLER ?? Daniel Logemann leitet den Forschungs­bereich Ns-zwangsarbe­it in der Thüringer Gedenkstät­te Buchenwald.
HANNO MÜLLER Daniel Logemann leitet den Forschungs­bereich Ns-zwangsarbe­it in der Thüringer Gedenkstät­te Buchenwald.

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