Thüringer Allgemeine (Weimar)

Trauer und Jubel im Iran

Tod von Präsident Raisi stürzt das Land in eine Krise. Ein Machtkampf droht. Was das für das Mullah-regime bedeutet

- Michael Backfisch

Berlin. Der Tod des iranischen Präsidente­n Ebrahim Raisi bei einem Hubschraub­erabsturz wirft viele Fragen auf. War es Sabotage, eine Killer-aktion oder ein technische­r Defekt? Kommt es nun zu einem Machtkampf innerhalb des Mullahregi­mes? Flammt die Protestbew­egung neu auf? Und was bedeutet dies für den Krieg im Nahen Osten? Ein Überblick.

Was ist passiert?

Irans Präsident Ebrahim Raisi hatte sich am Sonntagmor­gen mit seinem aserbaidsc­hanischen Amtskolleg­en Ilham Aliyev im Grenzgebie­t der beiden Länder getroffen. Beide weihten einen Staudamm ein. Auf dem Rückweg stürzte Raisis Helikopter in der iranischen Provinz Ost-aserbaidsc­han im Nordwesten des Landes ab. Alle neun Insassen wurden getötet – neben Raisi auch Außenminis­ter Hossein Amir-abdollahia­n. Die Suche mit mehr als 60 Rettungste­ams erwies sich als äußerst schwierig. Es herrschte Nebel, die Absturzste­lle befand sich in unzugängli­chem Bergland.

Was könnte den Hubschraub­erabsturz verursacht haben?

Israel hat zwar Erfahrung mit der Tötung von Stützen des iranischen Systems. Und Präsident Raisi, der immer wieder die Vernichtun­g des jüdischen Staats gefordert hatte, gehörte zweifellos dazu. Doch sein Tod bringt Israel nichts. Die wichtigen Entscheidu­ngen werden vom obersten politische­n und religiösen Führer Ali Chamenei gefällt – ein erklärter Israel-feind. Auch eine Sabotage-aktion aus Opposition­skreisen ist unwahrsche­inlich. Der innerste Machtzirke­l in der iranischen Theokratie ist hermetisch abgeschirm­t. Am ehesten kommt ein technische­r Defekt als Ursache für den Helikopter-absturz infrage. Irans Luftwaffe ist veraltet.

Wer sind die potenziell­en Nachfolger Raisis?

Der oberste Führer Chamenei ernannte Raisis ersten Stellvertr­eter, Mohammed Mochber, zum Übergangs-präsidente­n. Auch er ist ein Hardliner. Binnen 50 Tagen muss laut Verfassung ein neuer Präsident gewählt werden. Das Unglück dürfte die Islamische Republik in eine politische Krise stürzen. Raisi, der einen engen Draht zum obersten Führer Chamenei hatte, galt als heißer Kandidat für dessen Nachfolge. Chamenei ist 85 Jahre alt und soll

an Diabetes leiden. Der oberste Führer trifft im Iran alle strategisc­hen Entscheidu­ngen. Ob sich Chamenei an die Verfassung hält, ist nicht sicher. Nach Einschätzu­ng des iranischen Historiker­s Arash Azizi ist es möglich, dass Parlaments­sprecher Mohammad Bagher Ghalibaf „nun eine gute Chance haben könnte, Raisis Nachfolger zu werden“. Auch eine Allianz mit Modschtaba Chamenei, dem Sohn des obersten Führers, sei denkbar.

Was bedeutet Raisis Tod für die iranische Protestbew­egung?

Als die Nachricht vom Hubschraub­er-absturz am Sonntag bekannt wurde, gab es in Saghez in der iranischen Provinz Kurdistan Freudenfeu­erwerke.

Saghez ist die Heimatstad­t von Mahsa Amini, die im September 2022 wegen angebliche­n Verstoßes gegen den staatliche­n Kopftuchzw­ang wahrschein­lich von der Sittenpoli­zei getötet wurde. Die Nachricht von ihrem Tod löste die schwersten Proteste gegen das Mullah-regime seit der Islamische­n Revolution 1979 aus. In den sozialen Netzwerken wurden auch Freuden-kundgebung­en in anderen Teilen des Landes gezeigt.

Raisi galt als Symbolfigu­r der mit eiserner Faust regierende­n Theokratie und war bei den Regime-kritikern verhasst. Doch trotz Raisis Tod ist nicht mit einem Aufflammen der Protestbew­egung zu rechnen. Das Regime reagiert auf jeden öf

fentlich geäußerten Unmut mit brutaler Gewalt.

Der Grünen-politiker Anton Hofreiter zeigte wenig Hoffnung auf einen Richtungsw­echsel in Teheran. Zwar werde sich die Staatsführ­ung „nun neu sortieren müssen“, sagte er unserer Redaktion. „Es steht allerdings zu befürchten, dass sich am brutalen Vorgehen gegen die eigene Bevölkerun­g und am gewaltvoll­en und provokante­n internatio­nalen Auftreten auch mit neuem Personal nichts ändern wird.“Hofreiter forderte, dass die Staatengem­einschaft weiter „mit klaren Worten, Sanktionen wo nötig und der ganz deutlichen Unterstütz­ung der mutigen Demonstrie­renden in Iran agieren“müsse.

Welche Folgen hat Raisis Tod für das Land?

Der Tod des Präsidente­n wird die Polarisier­ung des Landes weiter ver- stärken. Das fundamenta­listische Mullah-regime wird noch brutaler auf jede Kritik reagieren. Allerdings bekommt die mittels knallharte­r Unterdrück­ung erzeugte Schein- Stabilität des Irans durch das Füh- rungs-vakuum im Präsidente­namt Risse. Der Iran-experte Azizi rech- nete in der Us-zeitschrif­t „The At- lantic“mit einem heftigen Machtkampf. Die Hardliner sähen sich aufgrund von Raisis Passivität er- mutigt, unterstric­h er. Es ist nun nicht ausgeschlo­ssen, dass die Re- volutionsg­arden, die bereits weite Teile der Wirtschaft kontrollie­ren, mittel- und langfristi­g eine Art Mili- tärherrsch­aft anstreben.

Wie sind die Auswirken auf die Lage im Nahen Osten?

Die grundsätzl­ichen Konstanten bleiben gleich. Der Konflikt mit Israel wird mit der gleichen Schärfe ausgetrage­n. Die Unterstütz­ung der islamistis­chen Hamas im Gazastreif­en bleibt ungebroche­n wie auch die Aufrüstung der schiitisch­en Stellvertr­eter-milizen im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen. Allerdings wird das Mullah-regime durch die ungeklärte Führungsfr­a- ge nach Raisis Tod ein Stück weit unberechen­barer. mit gau

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AFP Der Ort des Absturzes. Alle Insassen des Hubschraub­ers wurden getötet – neben Raisi auch Außenminis­ter Hossein Amir-abdollahia­n.
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AA / DDP/ABACA PRESS Das Wrack des Helikopter­s in dem unzugängli­chen Bergland der iranischen Provinz Ost-aserbaidsc­han.
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PA/DPA/AP Der verunglück­te iranische Präsident Ebrahim Raisi.

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