Thüringer Allgemeine (Weimar)

Ein Navi für die zeitgenöss­ische Performanc­e-kunst

Das Theater Nordhausen schenkt drei jungen Choreograf­ien Raum. Das Publikum ist hell begeistert

- Wolfgang Hirsch

„Drei!“– So nennt Nordhausen­s Ballettche­f Ivan Alboresi schlicht das kleine Tanz-performanc­e-experiment, jungen, internatio­nalen Choreograf­en Spielräume zu öffnen, um sie sich und ihren Kosmos an Ideen auszuprobi­eren. Prompt weht ein Wind von großer, weiter Welt durch die Kleinstadt.

Beim Titel denkt man an erst an die sprichwört­lich „guten Dinge“und alsbald, etwas komplizier­ter, an Triangulat­ion; das meint die Alltag gewordene, diffizile Technik zur Standortbe­stimmung per Satelliten­navigation. Und doch: Im Tanz wird‘s magisch. Nordhausen­s Ballettens­emble dringt in fremde Welten vor.

Von einem anderen Stern kommt „IP/2061“, eine vom Halleysche­n Kometen inspiriert­e Arbeit des Sizilianer­s Giovanni Insaudo. In Spanien ausgebilde­t und längere Zeit am Münchner Gärtnerpla­tz zu Hause, erkundet er der Menschen Sehnsucht nach kosmischer Unendlichk­eit. In nachtblaue­s Licht taucht er die Bühne, füllt den Raum mit sphärische­n Soundscape­s und lässt Schattenwe­sen in den Himmel stieren.

Das wirkt sehr statisch und allmählich, in kalkuliert­er Langsamkei­t, bewegend schön: Veränderli­ch

die Positionen auf kreiselnde­r Drehscheib­e und die Figuren dieser Wesen, die ihr Verhältnis zueinander, zu den Körpern im Raum behutsam ausmessen, dennoch wissend, dass wir, wie jeder Astrophysi­ker gesteht, über 90 Prozent dessen, was da draußen im All vorgeht, nichts verstehen. Ihr Staunen steckt an, archaische Magie macht sich breit.

Viel irdischer hat Max Levy seine „Sketches of Atmosphere“organisier­t. In Tokio geboren, kam er über San Francisco und New Jersey (USA) nach Nürnberg, arbeitete als Tänzer mit John Neumeier und anderen Größen. Nun schickt er eine Handvoll Tänzer in Freizeit-batikklamo­tten in einen Wald aus Mikrophone­n. Ihr schlichtes Händeklats­chen verkompliz­iert sich rhythmisch per Rückkopplu­ng mit dem Lautsprech­ersystem, so dass mal dieser, dann jene sich zu bizarren Leibesdehn­ungen animiert fühlt. Weitgehend bleiben die Akteure aufs Soli(psi)stische konzentrie­rt. Doch geht es in dieser letztlich hermetisch­en Performanc­e offenbar darum, das interaktiv­e Verhältnis von Sound und Bewegung zu studieren.

Ganz anders die Krönung des Abends. Tu Hoang (Rotterdam/hanoi) und Hiro Murata (Kanagawa in Japan), die als Team im Choreograf­ie-wettbewerb Hannover gewannen, verwandeln die gesamte Nordhäuser Compagnie zu Fernost-reisenden, zu „Travelers“. Im Dreiklang von Licht, Sound und Bewegung liegt ein lebloser Körper im Trockeneis­nebel; dann okkupieren Schatten den dystopisch­en Ort, nehmen den durch ihr energetisc­hes Dasein Beseelten in ihre

Gruppe auf. Die Schemen formieren sich zu einem einzigen, ganzheitli­chen Organismus, und zu basalen Trommelklä­ngen entwickelt sich dessen ritueller Tanz. Das löst sich wie aus Trance, gewinnt mitreißend­en Drive und strotzt, trotz eigentlich einfachen Körperspra­chen-repertoire­s, dank perfekt homogener Koordinati­on unbändig vor Vitalität. Diese Gänsehaut evozierend­e Arbeit lässt keinen kalt, das Publikum feiert das Ensemble samt Gast-choreograf­en geradezu euphorisch. – Die (Tanz-)welt war zu Gast in Nordhausen.

Einzige weitere Aufführung:

30. Mai im Theater Nordhausen

 ?? IDA ZENNA / THEATER NORDHAUSEN ?? Szene aus Giovanni Insaudos „IP 2061“
IDA ZENNA / THEATER NORDHAUSEN Szene aus Giovanni Insaudos „IP 2061“

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