Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Linderung und Hilfe, wenn das Leben zu Ende geht
André Haas ist Ärztlicher Leiter des Ambulanten Palliativnetzwerks Nordthüringen, das Sterbende betreut
NEUSTADT/HARZ. Zu den Thüringer Hausärzten, die sich weit über das normale Maß hinaus engagieren, gehört Dr. André Haas. Der 47-Jährige Hesse kam vor elf Jahren nach Nordthüringen, nachdem seine Frau, die ebenfalls Ärztin ist, eine Stelle am Evangelischen Fachkrankenhaus für Atemwegserkrankungen in Neustadt/harz angetreten hatte. Der Allgemeinmediziner wechselte in den Freistaat, um eine Hausarzt-praxis im pittoresken Neustadt zu übernehmen, dessen Vorzüge er längst leidenschaftlicher zu preisen versteht als jeder Einheimische. Er kam aber auch, weil er Strukturen auf dem Gebiet der Palliativmedizin aufbauen wollte. Schließlich wurden damals die Weichen für das dann 2009 eröffnete Christliche Hospiz „Haus Geborgenheit“gestellt, das Haas‘ Vorstellungen ziemlich genau entsprach.
Zu oft hatte der Allgemeinmediziner in den Jahren davor, in denen er häufig als Notarzt unterwegs war, miterleben müssen, dass sterbenskranken und sterbenden Patienten keine Palliativbehandlung gewährt wurde. Dass viel zu selten Menschen die Möglichkeit hatten, in gewohnter Umgebung, zu versterben und ihr Leben angst- und schmerzfrei zu beschließen, weil es so etwas wie eine ambulante Palliativversorgung nicht gab.
Genau das aber wollte Haas ändern. Statt Patienten, die an einer nicht mehr heilbaren Erkrankung leiden, „überzutherapieren“, sollen sie durch die möglichst frühzeitige Einbindung der Palliativmedizin dabei unterstützt werden, ihren letzten Lebensabschnitt mit einer möglichst hohen Lebensqualität zu erleben, selbstbestimmt und ohne unnötiges Leid. Dass das in Nordthüringen heute in sehr vielen Fällen geschieht, ist auch ein Verdienst von André Haas: Unter seiner Initiative und Mitwirkung haben sich in der Region Akteure auf dem Gebiet der Palliativmedizin vernetzt, so dass vor sechseinhalb Jahren das Ambulante Palliativnetzwerk Nordthüringen, kurz: Apanor, aus der Taufe gehoben werden. Ein Team aus derzeit vier Vollzeitund zwei Teilzeitpflegekräften sowie insgesamt zehn Ärzten, das rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr in den Landkreisen Nordhausen und Kyffhäuser die sogenannte Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) anbietet. Das Nordthüringer SAPV-TEAM ist eines von 137 bundesweit.
André Haas ist Ärztlicher Leiter von Apanor und besonders Apanor-koordinator Mike Laschek vor der Karte, auf der die Einsatzorte markiert sind. Foto: Sibylle Göbel stolz darauf, dass dieses Netzwerk nicht erst „von oben“verordnet werden musste: „Apanor ist aus einem schon etablierten Netzwerk hervorgegangen“, betont er. Besonders wichtig ist ihm dabei auch die sektorenübergreifende Zusammenarbeit, die ausgezeichnet funktioniere: Neben Haus- und niedergelassenen Fachärzten gehören Klinikärzte zum Netzwerk. Auch diese Kooperation wuchs selbstverständlich und bedurfte nicht erst eines Anstoßes von außen. Geplant werden die Einsätze von Apanor von einem Büro in Haas‘ Haus in Ilfeld aus. Dort sitzt Koordinator Mike Laschek, als Palliativpflegefachkraft ein Mann vom Fach: „Unser Angebot, auf das seit 2007 jeder Versicherte das Recht hat, wird immer mehr in Anspruch genommen: Im Jahr 2015 haben wir in den beiden Landkreisen etwa 250 Familien betreut, im vergangenen waren es schon 300. Dabei legten die Pflegekräfte und die Ärzte insgesamt an die 140 000 Kilometer zurück.“Längst gebe es kaum noch weiße Flecken auf der Landkarte, sprich: Orte, an denen das Team nicht schon wenigstens einmal im Einsatz war.
Laschek spricht nicht zufällig von „Familien“. Denn die Ärzte und Pflegekräfte lassen die Bedürfnisse der Angehörigen nicht außen vor, kümmern sie sich auch um sie. Mitunter geht es dabei einfach ums Zuhören und Dasein.
Haas versorgt hauptsächlich das Hospiz, das über zwölf helle Einzelzimmer verfügt und Menschen in der letzten Lebensphase aufnimmt, wenn deren Betreuung zu Hause nicht möglich ist. „Ich bin fast jeden Tag hier“, sagt der Mediziner, der auch noch normale Sprechzeiten als Hausarzt in seiner Hauptpraxis in Neustadt und in der Zweigpraxis in Woffleben bei Ellrich hat. „Das funktioniert aber nur, weil ich einen Kollegen angestellt habe“, sagt er. Dass er obendrein Kurarzt ist und in Kooperation mit dem Krankenhaus Pneumokuren anbietet, erwähnt er nur am Rande.
Um dann aber darüber zu plaudern, wie wichtig Selbstpflege für alle ist, die in der Palliativversorgung arbeiten. Denn bei ihnen ist die Gefahr eines Burnouts besonders groß. André Haas spielt zum Ausgleich nicht nur Basketball mit seinen drei Söhnen. Er verzichtet auch aufs Fernsehen und aalt sich – wie jüngst am Montagabend – viel lieber in die Sauna.
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