Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Ohne Risiko in die Selbstständigkeit
In Ilmenau startet eine junge Medizinerin mit einer „Niederlassungsfahrschule“als Hausärztin – Es ist die zweite in der Stadt
ILMENAU. Christin Grahmann sollte man, gerade weil sie locker auch als Abiturientin durchginge, nicht unterschätzen: Die zierliche 34-Jährige – streichholzkurzes Haar, kluger Blick durch randlose Brillengläser – hat zwei Facharztabschlüsse in der Tasche: den für Gynäkologie und den für Allgemeinmedizin. Dennoch fehlt es ihr ein wenig an Selbstvertrauen – an Selbstvertrauen vor allem im Hinblick auf die Gründung einer eigenen Hausarztpraxis.
Bei Dr. Rudolf Wolter in Camburg (Saale-holzland-kreis), in dessen Praxis sie während ihrer Weiterbildung für anderthalb Jahre tätig war, bekam sie zwar eine Menge Rüstzeug für eine Niederlassung mit. Sie lernte dort, wie der Praxisbetrieb funktioniert und organisiert wird. Doch vor allem das betriebswirtschaftliche Risiko einer eigenen Praxis erscheint ihr im Moment noch sehr groß.
Umso dankbarer ist sie für die Möglichkeit, die ihr die Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung in Thüringen bietet: Die junge Medizinerin darf als angestellte Ärztin in einer von der Stiftung neu geschaffenen Praxis in Ilmenau arbeiten und diese dann, wenn sie etwa in zwei, drei Jahren fest im Sattel sitzt, übernehmen.
Am kommenden Montag, 3. Juli, geht es los: Dann ist Christin Grahmanns erster Arbeitstag in der Praxis, die die Stiftung im ersten Obergeschoss der Lindenstraße 1 und damit direkt an der Fußgängerzone von Ilmenau in einem früheren Dialysezentrum einrichtete.
Alles ist neu: jeder Raum, die Elektrik, die Ausstattung. „Ist das nicht cool?“, freute sich die junge Ärztin, als sie am Freitag zur Eröffnung unter anderem Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) und Dr. Annette Rommel, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KVT) und auch des Stiftungsbeirates ihr künftiges Reich zeigte.
Ein würdiger Schlusspunkt unter die „Woche der ambulanten Versorgung“, mit der die KVT die Leistungsfähigkeit des vertragsärztlichen Bereichs demonstrierte.
Christin Grahmann weiß es zu schätzen, dass sie optimale Bedingungen für ihren Start vorfindet, auch eigene Ideen mit einbringen durfte. Und die KVT ist froh, dass sie in Ilmenau, wo aktuell sieben Hausarztsitze frei sind, die ambulante Versorgung weiter verbessern und die ansässigen Ärzte entlasten kann. Mit der Stiftungspraxis oder „Niederlassungsfahrschule“hat die Selbstverwaltung der niedergelassenen Thüringer Ärzte und Psychotherapeuten sehr gute Erfahrungen gemacht: Einsteiger müssen nicht gleich die volle Verantwortung schultern, sondern können allmählich und angstfrei hineinwachsen. Neun solcher Eigeneinrichtungen gibt es derzeit in Thüringen, in Ilmenau ist es nach der im Herbst 2016 in der Schwanitzstraße eröffneten die zweite.
Dabei ist Christin Grahmann auch für die KVT ein Glücksfall: Die junge Ärztin entschied sich aus freien Stücken für die Universitätsstadt, „weil hier meine Familie zuhause ist“. Als sie bei der KVT ihren Wunsch vorgebracht habe, sei sie mit offenen Armen empfangen worden.
Gewiss auch, weil sie dort keine Unbekannte war: Während der Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin kam sie – wie bislang fast 200 Nachwuchsmediziner – auch in den Genuss eines Thüringen-stipendiums von 250 Euro im Monat. Im Gegenzug verpflichtete sie sich, nach dem Abschluss für mindestens vier Jahre im Freistaat zu praktizieren. „Das ist ein tolles Beispiel dafür, wie gut die verschiedenen Förderinstrumente ineinandergreifen“, betonte die Ministerin. Landrätin Petra Enders adressierte ein dickes Dankeschön an die KVT für die erfolgreiche Zusammenarbeit, konnte ihrerseits aber auch Lob dafür einheimsen, dass die Kommunalpolitik gerade im Ilm-kreis die Ansiedlung junger Ärzte in der Region mit allen Kräften unterstützt.
Christin Grahmann fühlt sich für ihre neue Aufgabe gut gewappnet: Die räumlichen Bedingungen sind top, die Praxis verfügt über schnelles Internet, und mit Sandra Dippel und Simone Bock stehen ihr zwei versierte medizinische Fachangestellte zur Seite. Die 34-Jährige ist sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: Im Suhler Klinikum, wo die gebürtige Erfurterin nach ihrem Medizinstudium zur Frauenärztin ausgebildet wurde, war sie zwar sogar zur Oberärztin aufgestiegen. „Aber einfach nicht nah genug am Patienten“, wie sie im Rückblick sagt. Deshalb sattelte sie noch den Facharzt für Allgemeinmedizin drauf und fühlt sich nun „viel wohler“. Ihr gefällt die große Bandbreite dessen, womit sie es in der Praxis zu tun bekommt – und ihr gefällt, dass sie Einblick ins Umfeld der Patienten bekommt. „Ich bin Hausärztin mit Leib und Seele.“Der große Ansturm – er kann kommen.
„Viel näher dran an den Patienten“