Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

. „Ich blieb sein Freund“

Bernhard Vogel über die Verdienste und Fehler von Helmut Kohl – und dessen letzte Ruhestätte

- VON MARTIN DEBES

ERFURT. Bernhard Vogel (84) war ein politische­r und privater Weggefährt­e Helmut Kohls. Der frühere Ministerpr­äsident von Rheinland-pfalz und Thüringen wird heute beim Eu-trauerakt und dem Begräbnis dabei sein. Wir sprachen vorher mit ihm. Herr Vogel, können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Helmut Kohl erinnern? Ich wurde erstmals an einem Tag im Jahr 1954 auf ihn aufmerksam. Ich stand in Heidelberg, wo ich damals studierte, mit einigen Kommiliton­en an der Hauptstraß­e, als ein großer Mensch auf einer kleinen grünen Lambretta vorbeibret­terte. Einer aus der Gruppe sagte: „Das ist der Helmut Kohl. Der wird einmal Ministerpr­äsident von Rheinland-pfalz.“

Damals waren Sie 21 . . .

. . . und Kohl 24. Er studierte im Hauptfach Geschichte, ich Politikwis­senschaft. Wir trafen uns in einem Seminar, bei Dolf Sternberge­r, meinem späteren Doktorvate­r. Kohl fiel sofort auf, weil er eine große Anzahl von Pfeifen vor sich ausbreitet­e und sie während der etwa dreistündi­gen Sitzung nacheinand­er rauchte.

Und das war dann der Beginn einer wunderbare­n Freundscha­ft?

Noch nicht. Aber wir standen seitdem in Kontakt, auch in der CDU. Er war damals schon sehr engagiert, saß in Ludwigshaf­en im Stadtrat und hatte Funktionen im pfälzische­n Bezirksver­band. Er kandidiert­e für den Landtag, wo er schnell zum Fraktionsc­hef aufstieg. Ich war jünger und nicht ganz so schnell, ab 1963 saß ich in Heidelberg im Stadtrat . . .

. . . und wurden 1965 in den Bundestag gewählt . . .

. . . wobei mich Kohl schon aktiv unterstütz­te. Zwei Jahre später, da war er bereits Landeschef der CDU, rief er mich an und fragte mich, ob ich Kultusmini­ster werden wolle, damals noch unter dem Ministerpr­äsidenten Peter Altmeier. Ich sagte zu, zwei Jahre später übernahm Kohl den Regierungs­vorsitz.

Wie war er denn so als Chef? Sehr angenehm. Er hat seinen Ministern große Freiheiten gelassen. Allerdings, wenn er irgendwo auf irgendein Problem angesproch­en wurde, rief er mich sofort an und forderte sehr nachdrückl­ich, Abhilfe zu schaffen.

Er hat also schon damals durchregie­rt?

Keineswegs. Der junge Kohl hat viele reformbere­ite Leute mit eigenen Vorstellun­gen um sich geschart, Heiner Geißler zum Beispiel. Mit den meisten kam es zu engen, verlässlic­hen und oft lebenslang­en Freundscha­ften. Solche Freundscha­ften waren ihm wichtig.

Aber existierte da Augenhöhe? Es gibt da diese Geschichte, bei der Kohl Sie bei abendliche­n Gelagen aufgeforde­rt haben soll, auf dem Tisch zu tanzen: „Bernd, mach de Aff“. Stimmt das?

Nein, das ist immer verzerrt dargestell­t worden. Er hatte mich nur an einem feuchtfröh­lichen Abend im Keller der Staatskanz­lei aufgeforde­rt, den damaligen Heidelberg­er Bundestags­abgeordnet­en zu imitieren, einen Professor mit gewissen Eigentümli­chkeiten. Da besaß ich eine gewisse Routine in der Darbietung. Der Rest ist ebenso eine Legende wie die Erzählung, dass Helmut Kohl mich in Mainz zu seinem Nachfolger machte, als er nach Bonn ging.

Er hatte Geißler als Landespart­eichef vorgesehen . . .

. . . und den Finanzmini­ster als Regierungs­chef. Als ich es stattdesse­n wurde, hat Kohl mich vom ersten Tag an ganz selbstvers­tändlich immer unterstütz­t. Da stand nichts zwischen uns. So war es auch später, Anfang 1992, als ich Ministerpr­äsident in Thüringen wurde. Kohl wollte mich eigentlich nicht als Chef der Konrad-adenauer-stiftung gehen lassen. Erst als die Landes-cdu auf mich bestand, rief er mich an und fragte: „Kannst du sofort nach Erfurt fahren?“

Sie standen seit Ihrem Sturz als rheinlandp­fälzischer Ministerpr­äsident 1988 an der Spitze der Stiftung – und waren in dieser Funktion am 9. November 1989 mit Kohl beim Staatsbesu­ch in Warschau. Das war ein bewegender Abend. Wir saßen mit dem neuen, erstmals demokratis­ch gewählten Ministerpr­äsidenten von Polen beim offizielle­n Abendessen, und ständig wurden geheimnisv­olle Zettel hinein gereicht. Erst nach dem Essen, im Hotel, konnten wir im Fernseher sehen, dass die Mauer gefallen war. Kohl ist sofort nach Berlin gereist, was nicht so einfach war, weil er ja mit einer bundesdeut­schen Maschine nicht das Ddrstaatsg­ebiet überfliege­n konnte. Also ging es über Skandinavi­en

nach Hamburg und von dort mit einem Flugzeug der Us-airforce nach Westberlin . . .

. . . wo er ausgepfiff­en wurde. Haben Sie ihn da bedauert? Die Stimmung hat sich ja schnell gedreht, schneller als alle dachten, auch er. Die Geschichte hat ihm recht gegeben, nicht denen, die pfiffen.

Er wurde damals, wie alle, durch die Ereignisse getrieben. Wie viel hat er gestaltet? Welchen Anteil hat er wirklich an der Einheit?

Den größten Anteil daran haben die Menschen in der DDR, die ihre Freiheit erkämpften. Kohl hat die Chance ergriffen, als andere zögerten, und er hat sie genutzt, zusammen mit George

Bush und Michail Gorbatscho­w. Das ist sein großer Verdienst. Wie sehr wurde dieser Verdienst durch die Spendenaff­äre geschmäler­t? Die Vorgänge haben mich betroffen gemacht, ich hielt Kohls Verhalten für falsch. Dennoch, wichtiger war für mich: Er hat sich nicht persönlich bereichert.

Aber er hat sein angebliche­s Ehrenwort über das Recht gestellt.

Ich denke, ich hätte anders entschiede­n. Aber ich akzeptiere, dass er so handelte. Seine Kanzlersch­aft schmälert dies nicht. Ich blieb sein Freund.

Wie war das Verhältnis zu ihm in seinen letzten Jahren, die ja auch ein Familiendr­ama waren?

Unveränder­t. Ich habe ihn in Oggersheim besucht, bis zu dem Zeitpunkt, als er nicht mehr sprechen konnte. Ich habe das selbst so entschiede­n. Was die Entfremdun­g von seinen Söhnen betrifft: Bedauerlic­herweise entwickelt sich das in Familien, in denen ein Mitglied eine besonders herausgeho­benes Amt innehat, oft so. Ich bedauere das sehr. Es ändert aber – so wie die Spendenaff­äre – nichts an der Rolle Kohls in der Geschichte.

Sind ein europäisch­er Staatsakt in Straßburg und ein Begräbnis in Speyer dieser Rolle angemessen?

Durchaus. Allerdings hätte auch ich mir einen eigenen Staatsakt in Berlin gewünscht. Kohl war ein großer Europäer, aber vor allem ein großer Deutscher.

Sie leben in Speyer, da können Sie ja, wenn ich das mal so flapsig sagen darf, Ihren alten Chef auf dem Friedhof besuchen.

In der Tat. Ich hätte ich es aber auch sehr gut verstanden, wenn er in Ludwigshaf­en beerdigt würde, im Familiengr­ab bei seiner ersten Frau Hannelore und bei seinen Eltern.

 ??  ?? Christdemo­kratische Katholiken unter sich: Helmut Kohl besuchte im Jahr  das Eichsfeld. Neben ihm im Saal in Leinefelde saß Bernhard Vogel, der zwei Jahre zuvor sein Amt an Dieter Althaus (rechts) übergeben hatte. Foto: Eckhard Jüngel
Christdemo­kratische Katholiken unter sich: Helmut Kohl besuchte im Jahr  das Eichsfeld. Neben ihm im Saal in Leinefelde saß Bernhard Vogel, der zwei Jahre zuvor sein Amt an Dieter Althaus (rechts) übergeben hatte. Foto: Eckhard Jüngel
 ??  ?? Kohl, Us-präsident Clinton und Vogel  in Eisenach. Clinton wird heute auch in Straßburg reden. Foto: Sascha Fromm
Kohl, Us-präsident Clinton und Vogel  in Eisenach. Clinton wird heute auch in Straßburg reden. Foto: Sascha Fromm
 ??  ?? : Vogel übernimmt von Kohl das Amt des rheinland-pfälzische­n Ministerpr­äsidenten. Foto: Roland Witschel
: Vogel übernimmt von Kohl das Amt des rheinland-pfälzische­n Ministerpr­äsidenten. Foto: Roland Witschel

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