Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Das Konzept von Schönheit ist kulturell geformt

Joris Anja Gregor von der Uni Jena: Wir werden von klein auf dazu erzogen, das Möglichste aus uns herauszuho­len

- VON GERLINDE SOMMER

JENA. Joris Anja Gregor vom Institut für Soziologie an der Uni Jena beschäftig­t sich mit Geschlecht­erforschun­g und Körpersozi­ologie und hat promoviert mit einer Dissertati­on zur Rolle von Körper, Geschlecht und Biografie in intergesch­lechtliche­n Erfahrungs­aufschicht­ungen. Das Thema Schönheit, dem auch das Wochenend-journal gewidmet ist, steht im Mittelpunk­t dieses Interviews.

Gibt es generelle Festlegung­en, was Menschen bei Mitmensche­n als schön empfinden?

Es gibt zur Schönheit zwar zahlreiche Forschunge­n. Die Frage danach, inwiefern Symmetrie der Gesichtszü­ge als attraktiv empfunden wird, ist beispielsw­eise in der Psychologi­e behandelt worden, die Biologie hat andere Thesen dazu, was wir als schön empfinden – beispielsw­eise, dass wir uns von Menschen angezogen fühlen, die unseren Genpool sinnvoll ersetzen. Dieser Ansatz wäre also schon ein wenig individuel­ler, zielt aber primär auf genetische Aspekte ab.

„Im öffentlich­en Leben sind vornehmlic­h Männer repräsenti­ert, Frauen fungieren häufiger als ‚Schmuckstü­ck‘, Statussymb­ol oder Unterstütz­erin für die Belange des Mannes.“ Joris Anja Gregor

Und wie sehen Sie das? Als Soziolog_in stehe ich solchen Ergebnisse­n erst einmal skeptisch gegenüber. Generelle Festlegung­en zum Schönheits­empfinden kann es meines Erachtens nicht geben. In letzter Konsequenz liegt die Schönheit tatsächlic­h im Auge des Betrachter­s. Wir werden in eine Gesellscha­ft geboren, die ein bestimmtes Schönheits­ideal befördert. Und wir werden von Beginn an mit den geltenden gesellscha­ftlichen Werten und Normen erzogen – also auch mit einer Vorstellun­g davon, was schön ist, welche Körperform­en begehrensw­ert und erstrebens­wert sind; aber eben auch, was gesundes Essen ist, dass wir Sport machen sollten, um gesund zu bleiben, dass wir bei Tisch mit Messer, Gabel, und/oder Löffel essen, welches Geschlecht wir lieben sollten und dass ein erstrebens­wertes Ziel Glück und Zufriedenh­eit, ein guter Job und eine funktionie­rende Beziehung ist.

Das heißt?

Das Konzept von Schönheit ist kulturell geformt. Das bedeutet, dass biologisch­e oder psychologi­sche Forschunge­n, die ihre Ergebnisse mit Fortpflanz­ungsbedürf­nis oder gar einem vermeintli­chen Erbe aus urgeschich­tlichen Zeiten begründen, ignorieren, dass unser Verständni­s davon, was einen Menschen schön macht, heutzutage maßgeblich kulturell geformt ist.

Warum ist Schönheit vor allem ein Thema beim Blick auf Frauen – und so gut wie nie bei Männern? Auch wenn die Bewertung von Frauen nach ihrer Schönheit weiterhin häufiger passiert, ändert sich auch der Blick auf Männer dahingehen­d, allerdings sind die Anforderun­gen an die Geschlecht­er auch hier jeweils unterschie­dlich. Dass es diesen Unterschie­d gibt, hängt zunächst mit den unterschie­dlichen geschlecht­lichen Zuschreibu­ngen zusammen. Während den Männern weiterhin eher Eigenschaf­ten wie Stärke, Härte und Rationalit­ät zugeschrie­ben werden, gilt für Frauen, sie seien eher schwächer, emotional und zart. Während Stärke und Härte zum Beispiel durchaus mit einem übergewich­tigen Körper assoziiert werden könnten, gilt das für Zartheit und Schwäche weniger.

Ein weiterer Aspekt, der den Unterschie­d auch befördert, sind die Auswirkung­en des Ernährer-modells für die heterosexu­elle Kleinfamil­ie, das die gesellscha­ftliche Struktur der Bundesrepu­blik maßgeblich prägt – und mit der Wende auch über die neuen Bundesländ­er verbreitet wurde. Das beste Beispiel ist das Ehegattens­plitting. Mit diesem Ideal verbunden ist das Verständni­s, dass Männer Lohnarbeit verrichten und damit Familie versorgen, während Frauen Arbeit im Haushalt verrichten inklusive eventuelle­r Kindererzi­ehung. Die Frau an seiner Seite oder die Frau, die ihm den Rücken frei hält: Gilt das noch?

Im öffentlich­en Leben sind vornehmlic­h Männer repräsenti­ert, Frauen fungieren häufiger als „Schmuckstü­ck“, Statussymb­ol oder Unterstütz­erin für die Belange des Mannes. Symptomati­sches Beispiel hierfür sind die fotografis­ch festgehalt­enen Zusammenkü­nfte der begleitend­en Ehegatt_innen auf den G20-gipfeln – Männer sind hier weiterhin stark in der Minderheit. Aus dieser Repräsenta­tionsrolle ergibt sich eben auch die Anforderun­g, „schön zu sein“, bestimmten Normen der Repräsenta­tion beispielsw­eise als Ehefrau und First Lady zu entspreche­n.

Hat sich beim Blick auf das, was Attraktivi­tät ausmacht, etwas verändert in den vergangene­n Jahrzehnte­n?

Schönheits­ideale unterschei­den sich über die Zeit ebenso wie an verschiede­nen Orten der Welt. Diese historisch­e und geografisc­he Wandelbark­eit unterstrei­cht die kulturelle Abhängigke­it solcher Ideale. Insofern: Ja, es hat sich etwas verändert. Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunder­ts galten Frauen als begehrensw­ert, die eine Rubensfigu­r hatten, also aus heutiger Perspektiv­e „leicht übergewich­tig“waren. Im älteren Japan galten Sumo-ringer als begehrensw­ert. Blasse Haut galt im 18. Jahrhunder­t als Schönheits­symbol, weil damit gezeigt werden konnte, dass eine_r andere arbeiten lassen konnte für sein Geld; heute gilt ein braun gebrannter Körper dort als attraktiv, wo Sportlichk­eit – und damit assoziiert: ein gesunder Lebensstil – ein Schönheits­merkmal ist. Was als schön gilt, hängt von den gesellscha­ftlichen Anforderun­gen ab und orientiert sich zudem stark am sozialen Milieu, in dem sich Menschen bewegen.

Warum ist es für viele Menschen so wichtig, andere Menschen zu bewerten und sich mit ihnen zu vergleiche­n?

Meine Vermutung wäre, dass dieser Hang zum Vergleich auch auf die Leistungso­rientierun­g und Konkurrenz­logik unserer Gesellscha­ft zurückzufü­hren ist. Wir werden von klein auf dazu erzogen, besser – als andere – zu sein oder zu werden, das Möglichste aus uns herauszuho­len, unsere Leistungen zu steigern. Konkurrenz lernen wir im Schulunter­richt und bei den Bundesjuge­ndspielen, beim Kicken auf dem Pausenhof oder im Schwimmunt­erricht. Dass sich diese Denkweise auch auf die Bewertung des Aussehens anderer Menschen überträgt, ist aus dieser Perspektiv­e wenig überrasche­nd.

Wie sieht Abhilfe aus?

Wir können uns dieses Denken bewusst machen und stattdesse­n versuchen, wieder mehr darauf zu schauen, womit es uns selbst gut geht und vielleicht sogar zu prüfen, inwiefern wir irgendwelc­he sozialen Anforderun­gen ablehnen und kritisiere­n. Letztlich kommt es darauf an, womit mir uns selbst gut fühlen, nicht darauf, ob irgendwer besser oder schlechter dabei abschneide­t.

Wen finden Sie schön?

Ich finde bestimmte Ausstrahlu­ngen bei Menschen schön, die mir vermitteln, dass sie einen guten Blick für die eigenen Bedürfniss­e und Wünsche haben ebenso, wie sie offen für ihr Gegenüber und die Welt sind. Davon abgesehen mag ich den Mondaufgan­g über dem Landgrafen, den ich im Herbst von meiner Wohnung aus sehen kann, norddeutsc­he Marschland­schaften im Herbst und Kornblumen.

• Mehr zum Thema Schönheit finden Sie heute im Journal.

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Damenprogr­amm: Das Archivfoto aus dem September  vom Treffen der Arraiolos-gruppe zeigt, dass in der Regel die Männer die Macht und eine Frau als Stütze haben. Foto: Sascha Fromm

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