Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Junger Pakistani darf sich nicht gegen Abschiebun­g zur Wehr setzen

Jugendamt des Kreises Sömmerda verweigert ihm den Widerspruc­h – Behörde beschwert sich über Spdabgeord­neten

- VON FABIAN KLAUS

SÖMMERDA. Seit Monaten leben die jungen Pakistanis in Sömmerda als Flüchtling­e. Einer ist 19 Jahre alt und darf deshalb selbst seine rechtliche­n Dinge regeln. Sein Bruder aber kann das mit 16 Jahren nicht.

Für ihn liegt ein Ablehnungs­bescheid des Bamf vor, des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e. Bedeutet: Er müsste bald in seine Heimat zurück.

Die beiden Brüder sprechen bereits Deutsch. Verstehen, was hier gerade mit ihnen passiert, das können sie nicht. Denn das Sömmerdaer Jugendamt erlaubt ihnen nicht, gegen den Ablehnungs­bescheid für den Jüngeren Widerspruc­h einzulegen. Schon seit Monaten geht das bereits. In der Ungewisshe­it zu leben, belastet die beiden Brüder.

Deren Mutter lebt weiterhin in Pakistan. Mit dem kleinsten Geschwiste­rkind. Immer neue Nachrichte­n belasten die Brüder. Denn sie sind Ahmadiyya-muslime. Eine Gemeinscha­ft, die in Pakistan verfolgt wird. „Deren Situation hat sich dort von Monat zu Monat verschlimm­ert“, sagt Suleman Malik, der für die muslimisch­e Gemeinde in Erfurt spricht. Er selbst kennt die Situation in seinem Heimatland – kam als 14-Jähriger nach Erfurt. Beiden Jugendlich­en geht es wie ihm dereinst. Das Jugendamt aber wolle nicht anerkennen, dass sie um ihr Leben fürchten müssten, schickte man sie zurück nach Pakistan. Dort werden die Ahmadiyya-muslime nicht als anerkannt als islamische Glaubensge­meinschaft. Sie seien es, die den Propheten beleidigen – woraus sich eine massive Verfolgung ergebe. Suleman Malik versucht seit Mo- naten, das dem Sömmerdaer Jugendamt begreiflic­h zu machen. Unterstütz­t wird er vom SPDLandtag­sabgeordne­ten Oscar Helmerich. Auch dieser sprach im Landratsam­t in Sömmerda vor – ohne Erfolg. Stattdesse­n bekam Landtagspr­äsident Christian Carius einen Brief aus Sömmerda, der dieser Zeitung vorliegt, mit einer Beschwerde über den Abgeordnet­en der sich daraufhin vor seiner Fraktion erklären musste.

Das Problem der beiden Jugendlich­en lösen derlei Scharmütze­l freilich nicht. Im Landratsam­t Sömmerda will über den konkreten Fall niemand wirklich reden. Eine Anfrage dieser Zeitung wird von der behördlich­en Presseabte­ilung mit dem Verweis beantworte­t, dass man zu Einzelfäll­en aus datenschut­zrechtlich­en Gründen keine Stellung nehme. Garniert mit einigen Allgemeinp­lätzen klingt das dann so: „Grundsätzl­ich gilt, dass alle Kinder und Jugendlich­en, die sich in einer gesetzlich­en Amtsvormun­dschaft des Jugendamts Sömmerda befinden, individuel­l im Rahmen des je-

weiligen rechtliche­n Wirkungskr­eises betreut werden.“Dazu gehöre unter anderem die Entscheidu­ng im Rahmen des Anerkennun­gsverfahre­ns des Bamf. Alle anstehende­n rechtliche­n regelungsb­edürftigen Angelegenh­eiten würden am Kind orientiert geregelt. „Dies gilt für alle Personenkr­eise – deutsche Kinder und Jugendlich­e so- wie unbegleite­te minderjähr­ige ausländisc­he Kinder und Jugendlich­e“, heißt es in der Stellungna­hme aus dem Landratsam­t.

Suleman Malik zieht diese Deutungswe­ise in Zweifel. Denn aus seiner Sicht würde dem Jugendlich­en dann die Möglichkei­t gegeben, dem Bamf-beschluss zu widersprec­hen. „Das Verhalten des Jugendamte­s entspricht nicht der Verantwort­ung, die es für die Jugendlich­en hat.“Stattdesse­n, so Malik, könne noch nicht mal ein Anwalt den jungen Pakistani betreuen. Das würde die muslimisch­e Gemeinde in Erfurt nicht nur übernehmen – sie könnte aus Sicht von Suleman Malik auch helfen, die Anerkennun­g des Jugendlich­en zu legitimier­en. „Solange er aber nicht Gemeindemi­tglied ist, können wir keine Bescheinig­ung ausstellen, dass er verfolgt wird“, sagt der Sprecher der Er- furter Gemeinde. Die Zustimmung, der Gemeinde beizutrete­n, wird dem Jugendlich­en aber vom Jugendamt verweigert. Als Begründung nennt die Sprecherin auf Anfrage: „Die Entscheidu­ng zur Religionsz­ugehörigke­it kann der Jugendlich­e mit Eintritt in die Volljährig­keit selbstbest­immt für sich treffen.“Für Suleman Malik sind das Ausflüchte. „95 bis 99 Prozent der Ahmadis werden in Pakistan verfolgt“, sagt er. Die Verfolgung­ssituation verschärfe sich jeden Tag weiter. Deshalb habe auch die Mutter der beiden Land verkauft – „um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen“. Der Vater sei bereits verstorben.

Jetzt stehen sie in Deutschlan­d vor einer ungewissen Zukunft. Sie leben beide in Sömmerda. Aber nicht gemeinsam. Denn auch die Übernahme der Vormundsch­aft des Volljährig­en für seinen Bruder gibt es bisher nicht.

„95 bis 99 Prozent der Ahmadis werden verfolgt.“Suleman Malik, Ahmadiyyag­emeinde Erfurt

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