Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Junger Pakistani darf sich nicht gegen Abschiebung zur Wehr setzen
Jugendamt des Kreises Sömmerda verweigert ihm den Widerspruch – Behörde beschwert sich über Spdabgeordneten
SÖMMERDA. Seit Monaten leben die jungen Pakistanis in Sömmerda als Flüchtlinge. Einer ist 19 Jahre alt und darf deshalb selbst seine rechtlichen Dinge regeln. Sein Bruder aber kann das mit 16 Jahren nicht.
Für ihn liegt ein Ablehnungsbescheid des Bamf vor, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Bedeutet: Er müsste bald in seine Heimat zurück.
Die beiden Brüder sprechen bereits Deutsch. Verstehen, was hier gerade mit ihnen passiert, das können sie nicht. Denn das Sömmerdaer Jugendamt erlaubt ihnen nicht, gegen den Ablehnungsbescheid für den Jüngeren Widerspruch einzulegen. Schon seit Monaten geht das bereits. In der Ungewissheit zu leben, belastet die beiden Brüder.
Deren Mutter lebt weiterhin in Pakistan. Mit dem kleinsten Geschwisterkind. Immer neue Nachrichten belasten die Brüder. Denn sie sind Ahmadiyya-muslime. Eine Gemeinschaft, die in Pakistan verfolgt wird. „Deren Situation hat sich dort von Monat zu Monat verschlimmert“, sagt Suleman Malik, der für die muslimische Gemeinde in Erfurt spricht. Er selbst kennt die Situation in seinem Heimatland – kam als 14-Jähriger nach Erfurt. Beiden Jugendlichen geht es wie ihm dereinst. Das Jugendamt aber wolle nicht anerkennen, dass sie um ihr Leben fürchten müssten, schickte man sie zurück nach Pakistan. Dort werden die Ahmadiyya-muslime nicht als anerkannt als islamische Glaubensgemeinschaft. Sie seien es, die den Propheten beleidigen – woraus sich eine massive Verfolgung ergebe. Suleman Malik versucht seit Mo- naten, das dem Sömmerdaer Jugendamt begreiflich zu machen. Unterstützt wird er vom SPDLandtagsabgeordneten Oscar Helmerich. Auch dieser sprach im Landratsamt in Sömmerda vor – ohne Erfolg. Stattdessen bekam Landtagspräsident Christian Carius einen Brief aus Sömmerda, der dieser Zeitung vorliegt, mit einer Beschwerde über den Abgeordneten der sich daraufhin vor seiner Fraktion erklären musste.
Das Problem der beiden Jugendlichen lösen derlei Scharmützel freilich nicht. Im Landratsamt Sömmerda will über den konkreten Fall niemand wirklich reden. Eine Anfrage dieser Zeitung wird von der behördlichen Presseabteilung mit dem Verweis beantwortet, dass man zu Einzelfällen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellung nehme. Garniert mit einigen Allgemeinplätzen klingt das dann so: „Grundsätzlich gilt, dass alle Kinder und Jugendlichen, die sich in einer gesetzlichen Amtsvormundschaft des Jugendamts Sömmerda befinden, individuell im Rahmen des je-
weiligen rechtlichen Wirkungskreises betreut werden.“Dazu gehöre unter anderem die Entscheidung im Rahmen des Anerkennungsverfahrens des Bamf. Alle anstehenden rechtlichen regelungsbedürftigen Angelegenheiten würden am Kind orientiert geregelt. „Dies gilt für alle Personenkreise – deutsche Kinder und Jugendliche so- wie unbegleitete minderjährige ausländische Kinder und Jugendliche“, heißt es in der Stellungnahme aus dem Landratsamt.
Suleman Malik zieht diese Deutungsweise in Zweifel. Denn aus seiner Sicht würde dem Jugendlichen dann die Möglichkeit gegeben, dem Bamf-beschluss zu widersprechen. „Das Verhalten des Jugendamtes entspricht nicht der Verantwortung, die es für die Jugendlichen hat.“Stattdessen, so Malik, könne noch nicht mal ein Anwalt den jungen Pakistani betreuen. Das würde die muslimische Gemeinde in Erfurt nicht nur übernehmen – sie könnte aus Sicht von Suleman Malik auch helfen, die Anerkennung des Jugendlichen zu legitimieren. „Solange er aber nicht Gemeindemitglied ist, können wir keine Bescheinigung ausstellen, dass er verfolgt wird“, sagt der Sprecher der Er- furter Gemeinde. Die Zustimmung, der Gemeinde beizutreten, wird dem Jugendlichen aber vom Jugendamt verweigert. Als Begründung nennt die Sprecherin auf Anfrage: „Die Entscheidung zur Religionszugehörigkeit kann der Jugendliche mit Eintritt in die Volljährigkeit selbstbestimmt für sich treffen.“Für Suleman Malik sind das Ausflüchte. „95 bis 99 Prozent der Ahmadis werden in Pakistan verfolgt“, sagt er. Die Verfolgungssituation verschärfe sich jeden Tag weiter. Deshalb habe auch die Mutter der beiden Land verkauft – „um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen“. Der Vater sei bereits verstorben.
Jetzt stehen sie in Deutschland vor einer ungewissen Zukunft. Sie leben beide in Sömmerda. Aber nicht gemeinsam. Denn auch die Übernahme der Vormundschaft des Volljährigen für seinen Bruder gibt es bisher nicht.
„95 bis 99 Prozent der Ahmadis werden verfolgt.“Suleman Malik, Ahmadiyyagemeinde Erfurt