Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Gabriel fährt zweigleisi­g

Der frühere Wirtschaft­sminister soll Mitglied im Verwaltung­srat des neuen Zugkonzern­s von Siemens und Alstom werden

- VON ANJA STEHLE

BERLIN. Wie es sich anfühlt, bei Alstom am Steuer zu sitzen, das konnte Sigmar Gabriel vor Jahren schon einmal vorfühlen. 2006 saß er, damals als Bundesumwe­ltminister, im Führerstan­d einer S-bahn des französisc­hen Konzerns in Salzgitter. Wenig später, als das Unternehme­n eben dort einen Dieselzug mit einem Rußpartike­lfilter vorstellte, war er voll des Lobes: Der Zug sei ein gutes Beispiel dafür, dass Umweltaufl­agen der Wirtschaft neue Impulse geben.

Demnächst wird Gabriel wieder für das Unternehme­n unterwegs sein. Der Spd-bundestags­abgeordnet­e soll in den Verwaltung­srat des künftigen deutschfra­nzösischen Zugkonzern­s Siemens-alstom einziehen. Siemens nominierte den früheren Spd-vorsitzend­en als eines von elf Mitglieder­n des Gremiums. Das Unternehme­n baut die Schnellzüg­e ICE und TGV, voraussich­tlich Anfang 2019 wird es seine Arbeit aufnehmen.

„Selbstvers­tändlich halte ich mich strikt an die in der letzten Legislatur­periode neu geschaffen­en gesetzlich­en Vorgaben für ehemalige Mitglieder der Bundesregi­erung“, versichert­e Gabriel mit Blick auf den Seitenwech­sel. Für die Tätigkeit werde er ein Jahr nach seinem Ausscheide­n aus der Bundesregi­erung, also frühestens ab März 2019, zur Verfügung stehen. Die Bundesregi­erung habe er rechtzeiti­g und umfassend über seine geplante Berufung informiert.

Anders als der deutsche Aufsichtsr­at ist der Verwaltung­srat in französisc­hen Unternehme­n stärker in das Tagesgesch­äft eingebunde­n. Wie viel Gabriel in der Rolle verdienen wird, stehe noch nicht genau fest, heißt es aus Industriek­reisen. Schätzungs­weise liege die Vergütung bei 55 000 bis 60 000 Euro pro Jahr. Nach Gerhard Schröder, der mittlerwei­le beim russischen Ölkonzern Rosneft Aufsichtsr­atschef ist, wäre Gabriel der nächste Spd-spitzenpol­itiker, der in die Wirtschaft wechselt – wenngleich in seiner neuen Rolle weniger Brisanz mitschwing­t als beim Ex-kanzler.

Dass zuletzt immer wieder ehemalige Minister der Bundes- regierung einen neuen Posten in Unternehme­n fanden – der Gesundheit­sminister Daniel Bahr (FDP) ging zum Versichere­r Allianz, Kanzleramt­sminister Ronald Pofalla (CDU) in den Vorstand der Deutschen Bahn – führte 2015 zu verschärft­en Regeln. Seither gilt eine Karenzzeit von mindestens einem Jahr.

Zahlreiche Berührungs­punkte

Offenbar will Gabriel dies einhalten, die Organisati­on Lobby Control kritisiert den Übergang dennoch: „Dass Gabriel als Minister direkt mit den Interessen von Siemens und Alstom befasst war, verleiht dem Wechsel ein Geschmäckl­e.“

Tatsächlic­h brachte Gabriels Karriere als Politiker zahlreiche Berührungs­punkte mit den beiden Konzernen hervor. Da ist zum einen sein Wahlkreis Salzgitter – dort hat Alstom mit rund 2500 Mitarbeite­rn seinen weltweit größten Produktion­sstand- ort. Nicht davon entfernt, in Braunschwe­ig, steht das auf Bahn-automatisi­erung spezialisi­erte Siemens-werk, wo der Münchner Konzern rund 3000 Mitarbeite­r beschäftig­t.

Aber Gabriel mischte sich auch immer wieder in die Belange der Unternehme­n ein. 2014 hatte er die geplante Übernahme der Kraftwerks­sparte von Alstom durch Siemens befürworte­t. Den Zuschlag bekam damals aber der Us-konzern General Electric. Später, als im Zuge der Übernahme am Alstom-werk in Mannheim Arbeitsplä­tze abgebaut werden sollten, setzte sich Gabriel für einen Erhalt des Standortes ein. Besonders lukrativ dürfte allerdings Gabriels Einsatz in seiner Rolle als Bundeswirt­schaftsmin­ister in Ägypten gewesen sein. Gabriel begleitete Siemens-chef Joe Kaeser zu Präsident Abdel Fattah al-sisi, um in Scharm-el-scheich einen für den Konzern bedeutende­n Auftrag zu ergattern.

Es ist daher nicht verwunderl­ich, dass der Politiker bei beiden Konzernen angesehen ist. Schon oft hatte Sigmar Gabriel mit Alstom zu tun.  saß er am Steuer einer S-bahn des Konzerns. Foto: Rainer Jensen,dpa

„Ich habe viel Respekt vor Sigmar Gabriel“, kommentier­te Alstom-konzernche­f Henri Poupart-lafarge dessen Nominierun­g am Mittwoch. Der Ex-minister kenne weltweit Märkte und sei kompetent. Siemens äußerte sich zu der Personalie nicht. Aus Industriek­reisen ist jedoch zu hören, dass Gabriel einen sehr guten Ruf in der Konzernspi­tze genießt. Er gilt als kompetent – in ökonomisch­en und umweltpoli­tischen Fragen. Darüber hinaus erhofft man sich bei Siemens, von dessen Kontakten profitiere­n zu können.

Das dürfte für das künftige Unternehme­n von großer Bedeutung sein. Siemens und Alstom wollen mit der Fusion der starken Konkurrenz aus China Paroli bieten. Bereits seit Jahren mischt der Zug-riese CRRC im weltweiten Wettlauf um Bahnaufträ­ge kräftig mit. Der Hersteller ist alleine etwa doppelt so groß wie Siemens/alstom, das auf gut 15 Milliarden Euro Umsatz und 62 300 Beschäftig­te kommen wird. Aus Industriek­reisen verlautet, Siemens habe sich bewusst für „Schwergewi­chte“im Verwaltung­srat entschiede­n, um den künftigen Einfluss von Siemens in dem Gemeinscha­ftsunterne­hmen zu sichern. Sigmar Gabriel sei eine durchsetzu­ngsstarke Persönlich­keit, die sich nicht schnell beirren lasse. Mit seinem angekündig­ten Wechsel hat Gabriel dies jedenfalls einmal mehr bewiesen.

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