Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Dürfen wir das behalten?

Museen debattiere­n den Umgang mit Sammlungen und Objekten, die aus fremden Kulturen nach Europa gelngten

- VON ELENA RAUCH

In einem mit schwarzem Samt ausgeschla­genen Kästchen wartet an der Jenaer Universitä­t derzeit ein sehr spezielles Präparat auf seine letzte große Reise: „Kopfhaut eines Herero“steht auf dem Etikett des 13 Zentimeter langen Streifens.

Um die Geschichte des sensiblen Stückes aus der Lehrsammlu­ng des Zoologisch­en Instituts zu ergründen, hatte die Universitä­t eine aufwendige Provenienz­forschung in Auftrag gegeben. Das Präparat ist ein Beispiel, wie einst auch die Wissenscha­ft rassistisc­he Vorurteile beförderte. Der genaue Herkunftso­rt konnte nicht geklärt werden. Doch Institutsl­eiter Martin Fischer hatte bereits vor gut zwei Jahren eine Rückführun­g nach Namibia angekündig­t. Das soll, sagt er, nach Auskunft des Auswärtige­n Amtes nun bald geschehen.

Wie soll man umgehen mit Objekten, die einst unter fragwürdig­en Umständen in europäisch­e Museen und Sammlungen gelangten? Wie mit Kunst, die im Windschatt­en kolonialer Eroberunge­n in hiesige Depots verbracht wurde?

Die baldige Rückführun­g dieser sterbliche­n Überreste eines unbekannte­n Kriegers in das Land der Ahnen könnte man eine winzige Facette in einer Debatte nennen, die gerade durch die Museumslan­dschaft zieht.

Sie ist nicht ganz neu, doch aktuell befeuert, seit Frankreich­s Präsident Macron Afrika die Rückgabe seiner Kulturgüte­r versprach. Im Fokus des deutschen Diskurses steht das Humboldt-forum, das im Berliner Stadtschlo­ss entsteht und künftig den Großteil der Exponate aus dem Ethnologis­chen Museum aufnehmen soll.

Solch streitbare Stücke wie die BeninBronz­en, um die es im

Detail geht, haben Thüringer Museen freilich nicht in ihren Beständen. Doch immerhin beherbergt zum Beispiel das Herzoglich­e Museum in

Gotha eine der ältesten ägyptische­n Sammlungen Europas.

Vier menschlich­e Mumien schlummern im Untergesch­oss des Museums in ihren Schneewitt­chen-särgen. Hinzu kommen Dutzende Tier-mumien, etwa 1600 Statuen und Amulette. Die ältesten Exponate sind mehr als 4000 Jahre alt. Ein Prunkstück ist die Büste von Pharao Sesostris III., von dem überhaupt nur eine Hand voll solcher plastische­n Abbilder bekannt ist. Wie sind sie nach Gotha gelangt, haben wir das moralische Recht, sie für immer zu behalten und kann man das überhaupt fragen?

Für Uta Wallenstei­n, die diese Sammlung wissenscha­ftlich betreut, klingt diese Frage keineswegs überspannt. Natürlich sei es an der Zeit, die Frage nach Rechtmäßig­keit zu stellen, wenn Sammlungen moralisch belastet sind, wenn sie im Ergebnis von Plünderung­en in europäisch­e Museen gelangten, wenn an ihnen Blut klebt.

Für die Gothaer Aegyptiaca treffe das alles nicht zu. Zum Glück, wie sie hinterhers­chickt. Deren Herkunft ist weitestgeh­end klar, nicht zuletzt dank der Dokumentie­rfreudigke­it des Orientreis­enden Ulrich Jasper Seet-

zen, der den Mammutteil der Sammlung zusammentr­ug.

1802 brach der Arzt und Naturforsc­her auf eine zehnjährig­e Reise in den Orient auf, von der er nicht zurückkehr­en sollte. Im Gepäck: Der Auftrag des Herzogs Ernst II., Altertümer und naturhisto­rische Objekte für den Gothaer Hof zu beschaffen. Mit 800 Reichstale­rn jährlich stattete er Seetzen dafür aus, später stockte er auf 1200 Taler auf. Für Uta Wallenstei­n ist

schon diese großzügige Summe ein Anzeiger, dass man von redlichen Ankäufen ausging. Und Seetzen sammelte. Er durchstrei­fte lokale Märkte, besuchte antike Ruinen und altägyptis­che Totenstädt­e, wo Händler oft die Devotional­ien anboten.

In jenen Jahren, als die Ägyptologi­e noch in den Kinderschu­hen steckte und von systematis­chen Grabungen keine Rede sein konnte, waren solche Verkäufe das Übliche. Weit entfernt

von heutigen Maßstäben. Grund, dennoch die moralische­n Rechtmäßig­keit dieses Besitzes zu hinterfrag­en?

Für Uta Wallenstei­n ist die Legitimitä­t auch mit der Frage nach den Motiven von Seetzens Sammlungsw­ut verbunden. Er sammelte nicht alles, was sich ihm bot, betont sie. Schon gar nicht suchte er nach effektheis­chenden völkerkund­lichen Kuriosität­en. Seetzen war Forschungs­reisender im Sinne der Aufklärung, von Alexander

von Humboldt inspiriert, mit dem er in Göttingen zusammentr­af.

Den moralische­n Aspekt im Umgang mit den Stücken sieht Uta Wallenstei­n in einer anderen Frage: Wie präsentier­t man sie heute?

Der Weg zu den Mumien führt ins Untergesch­oss. Dämmerlich­t, ein Gewölbe in Ägyptisch Blau – dort liegen sie in gläsernen Särgen. Für die Frauenmumi­e aus Sakkara wurde eine Wandnische gebaut, einer Grabkam-

mer nachempfun­den. Der Raum atmet eine entrückte Würde.

Hier sind nicht einfach nur historisch­e Objekte zu sehen, hier ruhen sterbliche Überreste von Menschen. Das soll, bemerkt Uta Wallenstei­n, der Besucher spüren. Darauf legen sie auch bei ihren Führungen Wert. Muss man zum Beispiel Kindern jede schaurige Einzelheit des Mumifizier­ungsvorgan­ges erklären? Oder konzentrie­rt man sich besser darauf, was man über den Menschen weiß, der das einmal war?

Das ist, gemessen an den Jahrhunder­ten, die seit deren Tod verflossen, eine ganze Menge. Dank der Segnungen moderner Medizintec­hnik wie der Computerto­mografie kann man ihr Alter gut schätzen und sogar die Todesursac­he. Mosaikstei­nchen im Bild, das wir uns vom Leben im alten Ägypten machen können. Wissenscha­ftliche Forschung, öffentlich­er Zugang und die Sicherung für die Nachwelt: Für Uta Wallenstei­n sind diese Aspekte wesentlich, wenn man nach dem zeitgemäße­n Umgang mit Zeugnissen fremder Kulturen fragt, die einst nach Europa gelangten.

So sieht es auch Manfred Krebernik in Jena. Der Altorienta­list betreut an der Universitä­t die berühmte Hilprecht-sammlung mit Keilschrif­ten aus dem alten Mesopotami­en.

Seit neun Jahren werden sie mit größtem Aufwand dreidimens­ional gescannt, das Projekt steht kurz vor dem Abschluss. Dann werden die Tontafeln, Prismen und Scheiben zusammen mit Umschrifte­n und den jeweils verfügbare­n Informatio­nen ins Internet gestellt.

Prunkstück ist der Stadtplan von Nippur. Er stammt aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausen­ds v. Chr. und gilt als der älteste überliefer­te Stadtplan überhaupt. Er wurde dort von einem Team aus Philadelph­ia, dem auch der deutsch-amerikanis­che Orientalis­t Hermann Volrath Hilprecht angehörte, im heutigen Irak ausgegrabe­n – zusammen mit Tausenden weiterer Tonzeugnis­se. Etwa die Hälfte davon verblieb bei den Ausgräbern und gelangte nach Philadelph­ia, etliche Stücke aber auch in Hilprechts Besitz, der andere Teil ging nach Istanbul, weil das Ausgrabung­sgebiet damals zum Osmanische­n Reich gehörte.

Die Fundteilun­g war vertraglic­h geregelt. Für Manfred Krebernik besteht kein Zweifel, dass sie nach damaligem Recht abgewickel­t wurde. 1925 vermachte der Orientalis­t Hilprecht seine Sammlung der Universitä­t Jena.

Auf alle Zeit? Oder gehört sie in die Hände der historisch­en Erben dieser alten Hochkultur­en? Man müsste, bemerkt Professor Krebernik, dafür erst einmal definieren, wer angesichts der bewegten Geschichte in diesem Landstrich überhaupt rechtmäßig­er Erbe wäre. Dem Jenaer Altorienta­listen sind die gegensätzl­ichen Meinungen über die moralische Rechtmäßig­keit solchen Besitzes natürlich bekannt.

Er selbst sieht es so: Die Stücke sind Weltkultur­erbe. Sie müssen bewahrt und der Wissenscha­ft zugänglich gemacht werden. Das, so Manfred Krebernik, habe Priorität. Wo das passiert, ist zweitrangi­g.

 ??  ?? Die Statue des ägyptische­n Herrschers Sesostris III. aus dem Mittleren Reich wird im Herzoglich­en Museum vor goldenem Hintergrun­d in Szene gesetzt. Foto: Stiftung Schloss Friedenste­in
Die Statue des ägyptische­n Herrschers Sesostris III. aus dem Mittleren Reich wird im Herzoglich­en Museum vor goldenem Hintergrun­d in Szene gesetzt. Foto: Stiftung Schloss Friedenste­in

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