Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Mit gemischten Gefühlen

Merkel trifft Putin – und viele Deutsche wünschen sich ein besseres Verhältnis zu Russland

- VON DIANA ZINKLER

BERLIN. An einem dieser warmen Nachmittag­e im Mai ist das sowjetisch­e Ehrenmal im Berliner Treptower Park gut besucht. Der viele Beton und die Steinplatt­en wirken stumpf und trocken. Neben jungen Russen, italienisc­hen und französisc­hen Touristen sitzen Adalina und Manfred etwas abseits auf einer Mauer. Sie lebt in Berlin, er in Nauen. Versonnen schaut dieses adrette ältere Pärchen auf die Anlage, die ein riesiger Friedhof ist. 7000 russische Soldaten, die an der letzten großen Schlacht des Zweiten Weltkriegs in Europa teilgenomm­en haben, sind hier begraben.

Adalina Lindner ist gebürtige Russin und Manfred Burow Deutscher. Sie haben gerade ein Date, ihr zweites. Das Paar steht stellvertr­etend für das kriselnde Verhältnis zwischen Deutschlan­d und Russland, für die Diskrepanz zwischen den gewünschte­n guten Beziehunge­n der Deutschen zu Russland und dem, was die große Politik macht.

Die Frau, sie ist 58 Jahre alt, hat den Ort ausgesucht. Sie sagt, „der Ort ist für mich Geschichte und auch ein bisschen Heimat“. Denn ihr Vater gehörte zu den Soldaten, die Berlin befreiten. Ihre Familienge­schichte muss Manfred verstehen und schätzen, wenn es noch ein drittes Date geben soll. Also, eine Fortführun­g ihrer russisch-deutschen Beziehung.

73 Jahre nach dem Kampf um Berlin sind die politische­n deutsch-russischen Beziehunge­n angespannt. Bundespräs­ident Steinmeier warnte vor einer „galoppiere­nden Entfremdun­g“und fehlenden Vertrauens­basis. Die Bundesregi­erung und die Führung in Moskau trennt gerade nicht die Vergangenh­eit, sondern der Ukrainekon­flikt, Russlands Rolle im syrischen Bürgerkrie­g oder auch die Wahrheitsf­indung im Giftanschl­ag auf den früheren russischen Agenten in London.

Adalina und Manfred fühlen die Diskrepanz zwischen ihrem Wunsch nach besseren Beziehunge­n und der handelnden Politik. „Wir sollten den Russen dankbar sein: Für die Befreiung und auch für den Fall der Mauer“, sagt der 57-Jährige. Und sie befindet: „Ich möchte nie wieder Krieg zwischen den beiden Ländern, denn wenn Politiker Fehler machen, muss es immer

„Die Kanzlerin muss jetzt viel besprechen, um den Frieden zu wahren.“

Matthias Platzeck, Vorsitzend­er des Deutschrus­sischen Forums

die Bevölkerun­g ausbaden.“Das Paar ist besorgt. Und damit spiegeln sie die Mehrheitsm­einung der Deutschen wider. Denn aktuelle Umfragen haben ergeben, dass sich ein großer Teil der Bevölkerun­g eine Besserung der deutsch-russischen Beziehunge­n wünscht.

In einer Forsa-umfrage im Auftrag des Fernsehsen­ders RTL vom März sind 91 Prozent der Meinung, von Russland gehe keine Gefahr aus. In einer weiteren Forsa-umfrage aus dem April sieht die Mehrheit die Hauptveran­twortung für die jüngste Verschärfu­ng zwischen Ost und West nicht bei Russland. Die Hälfte glaubt, die USA seien schuld. Im Falle des Ex-spions Skripal hatte sich Deutschlan­d auf die Seite Großbritan­niens gestellt und Russland verantwort­lich gemacht, schließlic­h vier russische Diplomaten ausgewiese­n. Bereits in seiner Antrittsre­de Mitte März hatte Außenminis­ter Heiko Maas einen härteren Kurs Russland gegenüber angekündig­t. Nach Maas und Wirtschaft­sminister Altmaier in der vergangene­n Woche reist nun auch Angela Merkel nach Russland, es werde um die Krisen wie Syrien, Iran und die Ostukraine gehen.

Der Russland-experte Stefan Meister kann die Sorge vieler Deutscher erklären. „Diese neueren Umfragen zeigen vor allem ein diffuses Gefühl, welches viele Teile unserer Gesellscha­ft haben.“Denn trotz des Wissens um Russlands Rolle im Syrienkrie­g, dem Konflikt mit der Ukraine und der nicht geklärten Einmischun­g Russlands in die Us-wahlen spürten die Menschen, dass das Verhältnis so wie es jetzt ist, nicht richtig sei. Er schätzt, etwa 40 bis 60 Prozent der Deutschen sehen Russland eher positiv. Zu der Gruppe gehören auch Afd-wähler, Teile der FDP, Anhänger der Linken, der 68er, Menschen aus der Friedensbe­wegung, Bürger, die aus einem Anti-trump oder Antiamerik­anismus heraus, sich Russland zuwenden.

Viele Deutsche fühlen, dass etwas schiefläuf­t

Dazu komme, dass der derzeitige Us-präsident mit seiner Art, wie er Politik macht, unzuverläs­sig wirke, Putin stelle dazu einen stabilen Gegenpol dar, sagt Meister von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik.

Einer, der von Kritikern eher abschätzig als „Putin-versteher“bezeichnet wird, ist Matthias Platzeck. Er sieht in dem Treffen von Merkel und Putin eine große Chance.

Zu oft erlebe der ehemalige Vorsitzend­e der SPD und nun Vorsitzend­er des Deutsch-russischen Forums, dass zwischen dem, was in Küchen und Freundeskr­eisen gesprochen werde und dem was Politiker sprechen, ein zu großer Unterschie­d bestehe.

„Das ist kein guter Zustand für unsere Demokratie.“Platzeck hofft nun, dass Merkel eine Vermittler­rolle für Europa einnehmen kann. „Sie hat im Wahlkampf gesagt, dass wir kein Problem ohne die Russen lösen können, nicht den Klimawande­l, die Flüchtling­sfrage, die Terrorbekä­mpfung und auch nicht die Iranfrage. Die Kanzlerin muss jetzt viel besprechen, um den Frieden zu wahren.“Platzeck meint, dass Geschichte sich zwar nicht wiederhole, man solle aber aus ihr lernen und zitiert das Konzept „Wandel durch Annäherung“von Willy Brandt und Egon Bahr.

Noch heute würden sich darin gute diplomatis­che Ansatzpunk­te finden.

Für das Pärchen Adalina und Manfred sieht es gut aus. Weitere Treffen wird es geben. Ihr Beitrag zur deutsch-russischen Völkervers­tändigung.

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Karikatur: Nel
 ??  ?? Die Russin Adalina Lindner und der Deutsche Manfred Burow wünschen sich auch in der Politik gute Beziehunge­n zwischen beiden Staaten. Foto: Diana Zinkler
Die Russin Adalina Lindner und der Deutsche Manfred Burow wünschen sich auch in der Politik gute Beziehunge­n zwischen beiden Staaten. Foto: Diana Zinkler

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