Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Neue Chance für Bildungsbürger
Thea Dorn und Jens Bisky sprechen auf Schloss Ettersburg über Patriotismus und gemeinsame Gegner
ETTERSBURG. Thea Dorn und Jens Bisky kommen aus verschiedenen Richtungen: aus dem West- und Ostteil Berlins. Sie treffen sich am „Südkreuz“, um sich mit dem Zug gen Ettersburg zu nähern. Dort stellen sie fest, dass sie sich ihrem Thema, dem Patriotismus, aus verschiedenen Richtungen nähern: aus dem Westen und Osten eines einst geteilten Landes. Bisky (51) bringt aus der DDR patriotischen Überdruss mit, fürchtet „Bekenntniszwang“, will sich „Distanz und Freiheit bewahren“. Dorn (47) erlebte in der alten Bundesrepublik das Gegenteil und hätte, eine Generation älter, einst „wahrscheinlich zu denen gehört, die diesem Land skeptisch gegenüber stehen.“So aber will sie Us-präsident Kennedy für ein einstmals furchtbares Deutschland fruchtbar machen: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst!“Gleichsam daran entlang spinnt die Autorin ihren Leitfaden für aufgeklärte Patrioten, wie ihr Buch „Deutsch, nicht dumpf“im Untertitel heißt, mit dem sie jetzt zum Pfingstfestival Schloss Ettersburg kam. Bisky, Feuilletonist bei der Süddeutschen Zeitung, besprach’s tags zuvor wohlwollend-skeptisch. Dorn spricht nicht vom schwarz-rotgoldenen „Partyiotismus“für die Fußball-nationalmannschaft, deren Spieler ihr sonst ohnehin Sinnbilder globalisierter Märkte sind. Aber sie kommt zur „paradoxen Vermutung, dass ein eher im konservativen, wenn nicht gar reaktionären Lager traditionell angesiedelter Begriff wie der Patriotismus heute ein brauchbarer ist, um sich gegen eine freidrehende Globalisierung zu wehren.“
Sie verteidigt freiheitliche, offene Gesellschaften, laut Bisky historisch ja eher „unwahrscheinliche Ereignisse“. Es geht ihr um Werte. Verfassungspatriotismus hält sie für notwendig, nicht für hinreichend. Sie will ihn bildungsbürgerlich grundiert wissen – wohlwissend, wie Bildungsbürger vor und nach 1933 ebenso versagten wie nach 1945.
Ihre Ausnahme: Thomas Mann, für den Goethe ein „kerndeutscher Unpatriot“war, dem aber nach 1918, so Dorn, die „demokratisch-republikanische Wende“gelungen war. Dorn und Bisky entdecken gemeinsame Gegner: Gleichgültige, Egozentriker, kosmopolitische „Rosinenpicker“(die unsere komplizierte Geschichte nur auszugsweise zur Kenntnis nehmen), Hysteriker. Bisky missfällt der Versuch gewisser Patrioten, „politische Emotionen zu befeuern“anstatt gelassen zu bleiben: Deutschland schafft sich ab, steht am Abgrund, geht unter.
Dorn ist „in Sorge um das Land“, hält aber Migration nicht für die Bedrohung, eher Bildungsarmut. Und psychotherapeutische Trends. „Es tut verdammt gut, wenn man ein Ziel und eine Aufgabe hat, die über die eigene Befindlichkeit hinausgeht.“Hier verrennt sie sich. Man trifft selten weniger Ich-bezogenheit als in psychotherapeutischer Umgebung. Dort geht man erste Schritte, nicht zum Ego (siehe Beitrag oben), es heißt vielmehr: Erkenne dich selbst!
„In Sorge um das Land“