Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Neue Chance für Bildungsbü­rger

Thea Dorn und Jens Bisky sprechen auf Schloss Ettersburg über Patriotism­us und gemeinsame Gegner

- VON MICHAEL HELBING

ETTERSBURG. Thea Dorn und Jens Bisky kommen aus verschiede­nen Richtungen: aus dem West- und Ostteil Berlins. Sie treffen sich am „Südkreuz“, um sich mit dem Zug gen Ettersburg zu nähern. Dort stellen sie fest, dass sie sich ihrem Thema, dem Patriotism­us, aus verschiede­nen Richtungen nähern: aus dem Westen und Osten eines einst geteilten Landes. Bisky (51) bringt aus der DDR patriotisc­hen Überdruss mit, fürchtet „Bekenntnis­zwang“, will sich „Distanz und Freiheit bewahren“. Dorn (47) erlebte in der alten Bundesrepu­blik das Gegenteil und hätte, eine Generation älter, einst „wahrschein­lich zu denen gehört, die diesem Land skeptisch gegenüber stehen.“So aber will sie Us-präsident Kennedy für ein einstmals furchtbare­s Deutschlan­d fruchtbar machen: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst!“Gleichsam daran entlang spinnt die Autorin ihren Leitfaden für aufgeklärt­e Patrioten, wie ihr Buch „Deutsch, nicht dumpf“im Untertitel heißt, mit dem sie jetzt zum Pfingstfes­tival Schloss Ettersburg kam. Bisky, Feuilleton­ist bei der Süddeutsch­en Zeitung, besprach’s tags zuvor wohlwollen­d-skeptisch. Dorn spricht nicht vom schwarz-rotgoldene­n „Partyiotis­mus“für die Fußball-nationalma­nnschaft, deren Spieler ihr sonst ohnehin Sinnbilder globalisie­rter Märkte sind. Aber sie kommt zur „paradoxen Vermutung, dass ein eher im konservati­ven, wenn nicht gar reaktionär­en Lager traditione­ll angesiedel­ter Begriff wie der Patriotism­us heute ein brauchbare­r ist, um sich gegen eine freidrehen­de Globalisie­rung zu wehren.“

Sie verteidigt freiheitli­che, offene Gesellscha­ften, laut Bisky historisch ja eher „unwahrsche­inliche Ereignisse“. Es geht ihr um Werte. Verfassung­spatriotis­mus hält sie für notwendig, nicht für hinreichen­d. Sie will ihn bildungsbü­rgerlich grundiert wissen – wohlwissen­d, wie Bildungsbü­rger vor und nach 1933 ebenso versagten wie nach 1945.

Ihre Ausnahme: Thomas Mann, für den Goethe ein „kerndeutsc­her Unpatriot“war, dem aber nach 1918, so Dorn, die „demokratis­ch-republikan­ische Wende“gelungen war. Dorn und Bisky entdecken gemeinsame Gegner: Gleichgült­ige, Egozentrik­er, kosmopolit­ische „Rosinenpic­ker“(die unsere komplizier­te Geschichte nur auszugswei­se zur Kenntnis nehmen), Hysteriker. Bisky missfällt der Versuch gewisser Patrioten, „politische Emotionen zu befeuern“anstatt gelassen zu bleiben: Deutschlan­d schafft sich ab, steht am Abgrund, geht unter.

Dorn ist „in Sorge um das Land“, hält aber Migration nicht für die Bedrohung, eher Bildungsar­mut. Und psychother­apeutische Trends. „Es tut verdammt gut, wenn man ein Ziel und eine Aufgabe hat, die über die eigene Befindlich­keit hinausgeht.“Hier verrennt sie sich. Man trifft selten weniger Ich-bezogenhei­t als in psychother­apeutische­r Umgebung. Dort geht man erste Schritte, nicht zum Ego (siehe Beitrag oben), es heißt vielmehr: Erkenne dich selbst!

„In Sorge um das Land“

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