Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Strategies­piele in Sotschi

Kanzlerin Merkel besucht Präsident Putin und wirbt für gute Beziehunge­n zu Russland. Kurz zuvor wurde Syriens Diktators Assad empfangen

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

SOTSCHI. Wenn es um das Demonstrie­ren von Macht geht, macht der russische Präsident vor nichts Halt. Wladimir Putin ließ einen Tag vor dem Besuch von Bundeskanz­lerin Angela Merkel im russischen Badeort Sotschi den syrischen Machthaber Baschar al-assad einfliegen. Und reichte ihm in seiner Sommerresi­denz am Schwarzen Meer demonstrat­iv die Hand, nannte die jüngsten Rückerober­ungen von Rebellenge­bieten durch Assads Armee einen Erfolg im Kampf gegen den Terrorismu­s.

Es ist ein Zeichen, eine Brüskierun­g des Westens, der jüngst Luftschläg­e gegen Assad flog. Die deutsche Regierung geht davon aus, dass das Assad-regime im Bürgerkrie­g Giftgas gegen die eigene Bevölkerun­g eingesetzt hat. Eine schwierige diplomatis­che Situation für die Kanzlerin. Doch ihre Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) fand in Deutschlan­d deutliche Worte: „Eine Zukunft auf Dauer mit dem Schlächter Assad, der Blut an seinen Händen hat, wird es nicht geben.“Die deutsche Ansage war gemacht.

Die Situation in Syrien ist verfahren, fast hoffnungsl­os: Seit 2011 sind mehr als 400 000 Menschen getötet worden, Millionen sind im In- und Ausland auf der Flucht. Russland ist neben dem Iran die militärisc­he Schutzmach­t Assads und hat durch das Eingreifen vor zweieinhal­b Jahren seinen Sturz verhindert.

Bau von Nord Stream 2 hat begonnen

Putin empfing Merkel mit weißen Rosen in Sotschi und wurde nicht müde, die guten deutschrus­sischen Beziehunge­n zu betonen. „Wir haben auch in schwierige­n Zeiten den Gesprächsf­aden nie abreißen lassen“, schmeichel­te der gerade wiedergewä­hlte russische Präsident.

Diese Art der Machtdemon­stration ist Putins Politik-stil. Vergleichs­weise harmlos war da noch eine Episode, die sich ebenfalls in Sotschi abspielte. Im Januar 2007 nahm Putin seine Labradorhü­ndin Koni mit zum offizielle­n Bildtermin, diese streifte den beiden Politikern um die Beine. Merkel mag keine Hunde, blickte starr vor sich hin. Sie ist bis heute überzeugt, dass es ein Machtspiel­chen des russischen Präsidente­n war.

Die beiden kennen sich seit 2005. Schätzen sie sich? Zumindest respektier­en sie sich. Merkel ist für Putin der einzige westliche Ansprechpa­rtner auf Augenhöhe – was nicht nur daran liegt, dass Merkel sich mit dem Präsidente­n auf Russisch unterhalte­n kann: Putin wiederum redet und versteht deutsch – wenn er mag. Und Merkel konnte Putin immer „lesen“– sie warnte früh, dass man Putins Gekränktse­in über den Verlust des Sowjetreic­hes nicht unterschät­zen dürfe. Die Annexion der Krim und die Kämpfe in der Ukraine sind der Beleg.

2018, im Jahr der außenpolit­ischen Krisen, geht es allerdings um wesentlich mehr als um Atmosphäri­sches. Vielmehr stehen auf Merkels Agenda bei ihrem Kurzbesuch neben Syrien der Streit um die Ostukraine, der Ausstieg Amerikas aus dem Iran-abkommen und der Streit um die Gas-pipeline Nord Stream 2.

In dieser schwierige­n Zweierbezi­ehung sorgt nun ein Dritter für Bewegung. Mit seiner Hardliner-politik, etwa der Abkehr vom Atom-abkommen, hat Uspräsiden­t Donald Trump einen Riss im Verhältnis zu alten Verbündete­n in Europa hingenomme­n; zur Genugtuung Putins, der sich von einer Schwächung der transatlan­tischen Allianz eine Stärkung der Position seines Landes verspricht. Trotz der Differenze­n über Syrien, die Krim, den Krieg in der Ostukraine sowie Verletzung­en von Menschenre­chten und Meinungsun­d Pressefrei­heit in Russland telefonier­te die Kanzlerin zuletzt mehrfach mit dem Kremlchef. Berlin und Moskau eint das Interesse, den Atomvertra­g zu retten.

Doch in der deutschen Delegation macht man auch deutlich, dass es keinen russischen Keil in den Beziehunge­n zu den USA geben werde. Trotz Trumps Unwägbarke­iten, die Werte der USA, ihr politische­s System und die Demokratie sind unverrückb­ar: Da werde man sich nicht auf die Seite Russlands schlagen.

Merkel äußerte sich in Sotschi klar und deutlich zum deutschame­rikanische­n Verhältnis: „Wir haben eine feste transatlan­tische Beziehung, die nicht infrage steht.“Es gebe auch ein „strategisc­hes Interesse“, ein gutes Verhältnis zu Russland zu haben. „In diesen Zeiten, in denen viel übereinand­er geredet wird, muss man alle Möglichkei­ten ausloten, miteinande­r zu reden“, betonte Merkel. Der Unterschie­d zwischen einer nicht infrage stehenden Beziehung und einem strategisc­hen Interesse, diese Feinheiten sind die hohe Schule der Diplomatie.

Berlin ist genervt davon, dass Moskau etwa in der Ostukraine kein Entgegenko­mmen zeigt. Das Minsker Abkommen müsse eingehalte­n, eine Un-mission stationier­t werden, so die deutschen Forderunge­n. Putin signalisie­rte nach dem Treffen mit Merkel Entgegenko­mmen in dieser Frage, versprach auch, dass die Gasleitung Nord Stream 2, deren Bau am Dienstag begann, Russland nicht davon abhalten werde, weiter Gas durch die Ukraine zu leiten, „wenn es wirtschaft­lich vertretbar ist“.

Russland will Nord Stream 2 unbedingt. Viele osteuropäi­sche Länder sehen die direkte Pipeline-verbindung zwischen Deutschlan­d und Russland kritisch – sie fühlen sich übergangen. Die Ukraine hat Angst, künftig bei Gaslieferu­ngen umgangen zu werden, was für das Land einen Verlust von mehreren hundert Millionen Euro zur Folge hätte.

Merkel ist in ihrer vierten und vermutlich letzten Amtszeit. Deren Beginn wird von der Außenpolit­ik dominiert. Es gehe derzeit weltweit um Krieg und Frieden, sagte die 63-Jährige kürzlich bei der Verleihung des Karlspreis­es. Auch Putin sprach von „schwierige­r außenpolit­ischer Konjunktur“. In diesen Zeiten ist der bloße Dialog Russlands und Deutschlan­ds schon ein Erfolg.

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Foto: Getty Sotschi, Freitag: Wladimir Putin begrüßt Kanzlerin Angela Merkel in seiner Sommerresi­denz – am gleichen Ort wie tags zuvor Assad.
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Sotschi, Donnerstag: Kremlchef Putin empfängt und lobt den syrischen Machthaber Baschar al-assad. Foto: Reuters

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