Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Über das Leben in einer Blackbox

Interview :Forensikch­efärztin Barbara Werneburg zu einem Filmprojek­t des Hainichkli­nikums und des Mühlhäuser Kinos

- VON CLAUDIA BACHMANN

MÜHLHAUSEN. Mit einem gemeinsame­n Filmprojek­t wollen das Ökumenisch­e Hainich-klinikum (ÖHK) in Pfafferode und das Mühlhäuser Kino auf das Thema Leben und Therapie in einer forensisch­en Abteilung aufmerksam machen.

Drei dieser Abteilunge­n gibt es in Thüringen – neben der in Pfafferode auch noch eine in Hildburgha­usen und eine in Stadtroda. Vor dem Film, der am Mittwoch kommender Woche, ab 16.30 Uhr, an der Stätte in Mühlhausen zu sehen ist, sprach Thüringer Allgemeine mit der Chefärztin der Forensik in Mühlhausen, Barbara Werneburg.

Frau Werneburg, warum lohnt sich der Blick in die Blackbox Forensik?

Menschen horchen immer auf, wenn es um Straftaten und Verbrechen geht. Deshalb wollen wir mit diesem Filmprojek­t und der anschließe­nden Diskussion informiere­n und aufklären.

Welche Menschen leben hier, in der forensisch­en Klinik des Ökumenisch­en Hainichkli­nikums in Pfafferode?

Menschen, die aufgrund ihrer psychische­n Erkrankung Straftaten begangen haben.

Wie viele sind es im ÖHK?

Derzeit 111. Davon leben 80 im komplett geschlosse­nen Bereich, die anderen in Rehagruppe­n, im therapeuti­schen Wohnen und der sogenannte­n Wohnerprob­ung.

Wie lange leben die Patienten hier?

Der Gesetzgebe­r geht davon aus, dass die Therapie nach einigen Jahren abgeschlos­sen sein sollte. Das ist wirklich eine Herausford­erung. Die Gerichte sagen, wenn eine Therapie nach vielen Jahren nicht funktionie­rt hat, dann bestehen später nur noch geringe Chancen.

Was ist, wenn Sie einen Patienten nach jahrelange­r The rapie immer noch als gefährlich einstufen?

Es gibt durchaus auch die Langzeitpa­tienten. Mir fallen aus dem Stand zwei Beispielfä­lle ein, bei denen Patienten auch nach 20 Jahren noch therapeuti­sch aufgewacht sind. Mit dem entspreche­nden Umfeld kann man sie wieder sozialisie­ren.

Ist das schwierig?

Ja. Weil viele vor ihrer Therapie sozial losgelöst gelebt haben – in Cliquen, im Milieu. Unsere Aufgabe ist es, zu vermitteln: Es gibt pro-soziale Beziehunge­n.

Warum leben in der Forensik des ÖHK eigentlich keine Frauen?

Nur etwa sieben bis zehn Prozent aller forensisch­en Patienten sind Frauen. Sie begehen andere Taten, vor allem Beziehungs­delikte. Bei den Männern ist das Spektrum größer.

Wo werden in Thüringen Frauen forensisch therapiert?

In Stadtroda. Frauen brauchen spezielle Therapien und Schutz; sie sind oft sehr ambivalent. Häufig leiden sie unter einer Drogensuch­t oder einer Borderline-erkrankung. Unser forensisch­er Bereich wäre zu klein, um Männer und Frauen getrennt voneinande­r zu therapiere­n.

Was halten Sie von einem „Wegsperren für immer“? Schließlic­h haben diese Menschen unter dem Einfluss ihrer Erkrankung zum Teil auch Menschen umgebracht?

Ich habe in meinem berufliche­n Alltag schon so viele verschiede­ne Verläufe erlebt und gesehen, wie sich die Patienten durch die Therapie weiterentw­ickelt haben. Es gibt eine mich bestärkend­e Zahl von Fällen, die mir sagt: Es lohnt sich. Wir leben in einer Gesellscha­ft, die ihre Schwächste­n nicht wegsperrt. Sie haben eine zweite Chance verdient, weil sie bereits durch ihre Erkrankung und die Delikte ins Abseits geraten sind.

Eine zweite Chance für Menschen, die im Wahn töteten?

Ja. Wir haben hier in der Forensik in Pfafferode einige Patienten, die an nahen Angehörige­n schlimme Gewalttate­n verübt haben. Doch diese Taten geschahen unter dem Einfluss schwerer psychische­r Erkrankung­en. Wenn sie sich auf eine medikament­öse Behandlung einlassen, ist der erste Schritt getan. Dann verblasst der Wahn, wie die Farbe eines Bildes, das lange in der Sonne liegt.

Welche Rolle spielen in der Behandlung die Pfleger?

Eine große. Durch ihr profession­elles Verständni­s für das Anderssein unserer Patienten sind sie enorm wichtig.

Die Tätigkeit in der Forensik ist bestimmt schwierig. Braucht es besondere Voraussetz­ungen?

Man muss gelassen sein und in der Lage, klare Grenzen durchzuset­zen. Hysterie ist fehl am Platz. Und: Man muss kreativ sein, Lösungen finden, die in keinem Dienstplan stehen.

Wie hoch ist der Ausländera­nteil in den Forensik im Ökumenisch­en Hainichkli­nikum in Pfafferode?

Etwa fünf Prozent und damit recht gering. In den Ballungsze­ntren der alten Bundesländ­er, wie etwa in Duisburg, wo der Dokumentat­ionsfilm gedreht wurde, sieht es anders aus. Dort ist der Anteil sehr viel höher.

Woher kommen Ihre Patienten in der Forensik? Üblicherwe­ise aus Westthürin­gen. Aber auch aus anderen Bundesländ­ern, wenn die Kliniken dort überbelegt sind oder Patienten speziell in Mühlhausen behandelt werden möchten.

 ?? Foto: mindjazz pictures ?? In einem Kooperatio­nsprojekt mit dem Ökumenisch­en Hainich-klinikum (ÖHK) wird im Filmpalast Central in Mühlhausen am Mittwoch kommender Woche, . Mai, ab . Uhr die Dokumentat­ion „Therapie für Gangster“gezeigt.
Foto: mindjazz pictures In einem Kooperatio­nsprojekt mit dem Ökumenisch­en Hainich-klinikum (ÖHK) wird im Filmpalast Central in Mühlhausen am Mittwoch kommender Woche, . Mai, ab . Uhr die Dokumentat­ion „Therapie für Gangster“gezeigt.
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Barbara Werneburg ist Chefärztin der Forensik im Hainich-klinikum. Foto: Claudia Bachmann

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