Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Über das Leben in einer Blackbox
Interview :Forensikchefärztin Barbara Werneburg zu einem Filmprojekt des Hainichklinikums und des Mühlhäuser Kinos
MÜHLHAUSEN. Mit einem gemeinsamen Filmprojekt wollen das Ökumenische Hainich-klinikum (ÖHK) in Pfafferode und das Mühlhäuser Kino auf das Thema Leben und Therapie in einer forensischen Abteilung aufmerksam machen.
Drei dieser Abteilungen gibt es in Thüringen – neben der in Pfafferode auch noch eine in Hildburghausen und eine in Stadtroda. Vor dem Film, der am Mittwoch kommender Woche, ab 16.30 Uhr, an der Stätte in Mühlhausen zu sehen ist, sprach Thüringer Allgemeine mit der Chefärztin der Forensik in Mühlhausen, Barbara Werneburg.
Frau Werneburg, warum lohnt sich der Blick in die Blackbox Forensik?
Menschen horchen immer auf, wenn es um Straftaten und Verbrechen geht. Deshalb wollen wir mit diesem Filmprojekt und der anschließenden Diskussion informieren und aufklären.
Welche Menschen leben hier, in der forensischen Klinik des Ökumenischen Hainichklinikums in Pfafferode?
Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung Straftaten begangen haben.
Wie viele sind es im ÖHK?
Derzeit 111. Davon leben 80 im komplett geschlossenen Bereich, die anderen in Rehagruppen, im therapeutischen Wohnen und der sogenannten Wohnerprobung.
Wie lange leben die Patienten hier?
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Therapie nach einigen Jahren abgeschlossen sein sollte. Das ist wirklich eine Herausforderung. Die Gerichte sagen, wenn eine Therapie nach vielen Jahren nicht funktioniert hat, dann bestehen später nur noch geringe Chancen.
Was ist, wenn Sie einen Patienten nach jahrelanger The rapie immer noch als gefährlich einstufen?
Es gibt durchaus auch die Langzeitpatienten. Mir fallen aus dem Stand zwei Beispielfälle ein, bei denen Patienten auch nach 20 Jahren noch therapeutisch aufgewacht sind. Mit dem entsprechenden Umfeld kann man sie wieder sozialisieren.
Ist das schwierig?
Ja. Weil viele vor ihrer Therapie sozial losgelöst gelebt haben – in Cliquen, im Milieu. Unsere Aufgabe ist es, zu vermitteln: Es gibt pro-soziale Beziehungen.
Warum leben in der Forensik des ÖHK eigentlich keine Frauen?
Nur etwa sieben bis zehn Prozent aller forensischen Patienten sind Frauen. Sie begehen andere Taten, vor allem Beziehungsdelikte. Bei den Männern ist das Spektrum größer.
Wo werden in Thüringen Frauen forensisch therapiert?
In Stadtroda. Frauen brauchen spezielle Therapien und Schutz; sie sind oft sehr ambivalent. Häufig leiden sie unter einer Drogensucht oder einer Borderline-erkrankung. Unser forensischer Bereich wäre zu klein, um Männer und Frauen getrennt voneinander zu therapieren.
Was halten Sie von einem „Wegsperren für immer“? Schließlich haben diese Menschen unter dem Einfluss ihrer Erkrankung zum Teil auch Menschen umgebracht?
Ich habe in meinem beruflichen Alltag schon so viele verschiedene Verläufe erlebt und gesehen, wie sich die Patienten durch die Therapie weiterentwickelt haben. Es gibt eine mich bestärkende Zahl von Fällen, die mir sagt: Es lohnt sich. Wir leben in einer Gesellschaft, die ihre Schwächsten nicht wegsperrt. Sie haben eine zweite Chance verdient, weil sie bereits durch ihre Erkrankung und die Delikte ins Abseits geraten sind.
Eine zweite Chance für Menschen, die im Wahn töteten?
Ja. Wir haben hier in der Forensik in Pfafferode einige Patienten, die an nahen Angehörigen schlimme Gewalttaten verübt haben. Doch diese Taten geschahen unter dem Einfluss schwerer psychischer Erkrankungen. Wenn sie sich auf eine medikamentöse Behandlung einlassen, ist der erste Schritt getan. Dann verblasst der Wahn, wie die Farbe eines Bildes, das lange in der Sonne liegt.
Welche Rolle spielen in der Behandlung die Pfleger?
Eine große. Durch ihr professionelles Verständnis für das Anderssein unserer Patienten sind sie enorm wichtig.
Die Tätigkeit in der Forensik ist bestimmt schwierig. Braucht es besondere Voraussetzungen?
Man muss gelassen sein und in der Lage, klare Grenzen durchzusetzen. Hysterie ist fehl am Platz. Und: Man muss kreativ sein, Lösungen finden, die in keinem Dienstplan stehen.
Wie hoch ist der Ausländeranteil in den Forensik im Ökumenischen Hainichklinikum in Pfafferode?
Etwa fünf Prozent und damit recht gering. In den Ballungszentren der alten Bundesländer, wie etwa in Duisburg, wo der Dokumentationsfilm gedreht wurde, sieht es anders aus. Dort ist der Anteil sehr viel höher.
Woher kommen Ihre Patienten in der Forensik? Üblicherweise aus Westthüringen. Aber auch aus anderen Bundesländern, wenn die Kliniken dort überbelegt sind oder Patienten speziell in Mühlhausen behandelt werden möchten.