Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Unbekanntes vom Räuber
Sensationsfund im Preußler-Nachlass: ,,Der Rauber Hotzenplotz und die Mondrakete'' erscheint im juli
HAMBURG. Neulich am S-bahnhof Jungfernstieg. Als die S 3 einfährt, outet sich jemand als ortsunkundig: „Was, Buxtehude gibt’s wirklich?“
Wer sich über die Frage wundert, der hat in seiner Kindheit etwas Wesentliches verpasst. Das eigentliche Buxtehude ist nämlich ein magischer Ort, dessen Koordinaten höchstens zufällig mit dem Städtchen zwischen Hamburg und Stade übereinstimmen. Dieses eigentliche Buxtehude ist das Reiseziel eines Herrn namens Petrosilius Zwackelmann. Und der reist nicht mit dem schnöden öffentlichen Nahverkehr, sondern standesgemäß per fliegendem Teppich.
Willkommen in einer der wichtigsten Parallelwelten des 20. Jahrhunderts. Zwackelmann ist der Zauberer vom Dienst in dem Kinderbuch „Der Räuber Hotzenplotz“von Otfried Preußler – genau genommen, in den drei Büchern. Denn obwohl der Ur-„hotzenplotz“aus dem Jahre 1962 ersichtlich nicht auf eine lukrative Fortsetzung hin angelegt war, brachte Preußler auf Bitten seiner kindlichen Leser 1969 und 1973, ebenfalls im Stuttgarter Thienemann Verlag, die Nachfolgebände „Neues vom Räuber Hotzenplotz“und „Hotzenplotz 3“heraus. Ein wahrer Pädagoge hat eben nicht nur seine Prinzipien, er lässt sie auch undogmatisch fallen, wenn höhere Gründe das verlangen. Und welche Gründe könnten schlagender sein als das Mitfiebern junger Leser?
Nun, 45 Jahre nach dem vorerst letzten Band, gibt der Verlag eine wahre Sensation bekannt: Am 17. Juli erscheint „Der Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“, mit anderen Worten, ein postumer Band vier. Den hat Preußler so allerdings nicht geplant. Vielmehr fand seine Tochter Susanne Preußler-bitsch im Nachlass, der Schriftsteller starb 2013 mit 89 Jahren, ein Theaterstück mit dem Titel „Die Fahrt zum Mond“, das dem Verlag zufolge bereits 1968 entstanden war, mithin bereits vor dem zweiten Hotzenplotz-band. Warum Preußler es damals in der Schublade ließ, ist nicht bekannt.
Preußler-bitsch hat das Stück zu einem „erzählten Kasperletheater zwischen zwei Buchdeckeln“umgearbeitet, so der Verlag. Mitsamt dem wohlvertrauten Personal, das Preußler damals um die Hauptfigur mit dem Schlapphut und den sieben Messern im Gürtel scharte: dem schlauen Kasperl und dem unbedarften, aber treuen Seppel, der Großmutter mit der Nickelbrille, dem beleibten Wachtmeister Dimpfelmoser, der gegen den ausgebufften Räuber immer wieder den kürzeren zieht, und natürlich besagtem Petrosilius Zwackelmann.
Kasperl und Seppel, Räuber und Polizist, Großmutter und Zauberer; im zweiten Band kommt sogar ein Krokodil dazu, wenn es auch in Wahrheit ein versehentlich verzauberter Dackel ist: Da hätten wir sie ja, die klassischen Beteiligten eines Kasperletheaters. Etwas Lustiges hatte der Verfasser schreiben wollen, wohl zunächst um sich selbst Erleichterung zu verschaffen. Er steckte nämlich mitten in der Arbeit an seinem Roman „Krabat“, einem Werk von literarischem Rang, und wie sich das für einen Literaten gehört, steckte er gerade darin fest.
Ganze Generationen haben mitgelitten, als die Großmutter ihre geliebte Kaffeemühle an den Mann mit der Pfefferpistole hergeben musste. Als sie sich bei der Aufgabe, bis 999 zu zählen – erst dann durfte sie um Hilfe schreien, so die Räuberweisung – immer wieder verhaspelte.
Die Beobachtungen und Wendungen, die Preußler seiner Geschichte mit hintergründigem Witz und untrüglichem Gespür für den kindlichen Horizont einwebte, gehören zur narrativen Grundausstattung ungezählter Kinder. Dass die Grenze zwischen Fiktion und Realität bisweilen verschwamm, spricht für die Intensität, mit der die Kinder in Preußlers Welt lebten.
Manches von ihnen war auf Jahre hinaus überzeugt, ein Räuber müsse sieben Messer haben, für jedermann sichtbar im Gürtel. Sonst sei er eben kein Räuber. Ist doch klar, oder? Jedes einzelne dieser Messer hat Zeichner Franz Josef Tripp der Titelfigur mitgegeben, und den Schlapphut und die rote Feder. Für Band vier hat Thomas Saleina dem Grobian Farbe angedeihen lassen – und seinen Sinn für Situationskomik. Preußlers Kasperlfiguren sind fit für die kommenden Jahrzehnte.