Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Staatsanleihekäufe sind ein Notfallinstrument"
Bundesbankpräsident Jens Weidemann über Politik des billigen Geldes und längere lebensarbeitszeit
FRANKFURT/MAIN. Jens Weidmann blickt von seinem Büro im zwölften Stock des Bundesbankgebäudes über die Bankenskyline von Frankfurt.
Der bei seinem Amtsantritt jüngste Präsident der Bundesbank ist ein ruhiger, besonnener Mensch. Der 50-Jährige wägt sorgfältig seine Worte.
Er weiß, dass eine einzige unbedachte Bemerkung die Märkte auf Talfahrt schicken kann. Der ehemalige Berater von Kanzlerin Angela Merkel ist der Hüter der Währungsstabilität und wacht über die deutschen Goldreserven, die im Keller der Bundesbank liegen.
Weidmann gilt unter seinen Kollegen im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) als härtester Kritiker einer Politik des billigen Geldes.
Herr Weidmann, die EZB hat aus ihren umstrittenen Anleihekäufen schon 2,4 Billionen Euro in ihrer Bilanz. Wann ist Schluss mit diesem riskanten Programm?
Jens Weidmann: Die Anleihekäufe werden zwar noch bis mindestens September weitergehen, das hat der EZB-RAT so beschlossen. Die Märkte rechnen aber damit, dass die Ankäufe nicht über das Jahresende hinaus fortgeführt werden. Das scheint mir durchaus plausibel, denn die Konjunktur im Euroraum läuft ausgesprochen gut, und die Wirtschaft ist inzwischen stark ausgelastet. Die letzte Prognose der EZB ging davon aus, dass im Jahr 2020 die Inflation im Euroraum 1,7 Prozent betragen wird. Das ist aus meiner Sicht durchaus im Einklang mit unserer Definition von Preisstabilität. Dieser Schritt müsste dann bald angekündigt werden. Erwarten Sie eine solche Entscheidung des EZBRATS in Kürze?
Ich prognostiziere keine Ezbratsentscheidungen, halte es aber für vernünftig, bald für Klarheit zu sorgen und ein Enddatum anzukündigen.
Was kommt danach? Werden die Schlüsselzinsen wieder angehoben?
Im Moment drücken wir das geldpolitische Gaspedal immer noch durch, weil unsere Anleihebestände in der Bilanz weiter wachsen. Und der EZB-RAT hat erklärt, dass die Leitzinsen erst deutlich nach Ende der Nettokäufe wieder steigen werden. Die Geldpolitik wird somit noch geraume Zeit expansiv bleiben, der Weg zurück zur Normalität wird ein sehr langer sein. Das bedeutet aber auch zweierlei: dass der Beginn der Normalisierung nicht unnötig aufgeschoben werden sollte und dass die Geldpolitik bis auf Weiteres nicht viel Wasser unter dem Kiel haben wird, um auf künftige Einbrüche und Krisen zu reagieren.
Wie beurteilen Sie die Anleihekäufe aus heutiger Sicht?
Für mich sind und bleiben Staatsanleihekäufe ein Notfallinstrument, um eine drohende Deflation abzuwenden. Dabei bezweifle ich nicht, dass die Käufe wirken, sie haben die Preisentwicklung sicherlich gestützt. Aber ich sorge mich um die Nebenwirkungen. So ist das Eurosystem der größte Gläubiger der Staaten geworden, das verwischt die Grenze zwischen Geld- und Finanzpolitik.
Eukommissionspräsident Jeanclaude Juncker wünscht sich, dass alle Euländer möglichst schnell den Euro einführen. Was halten Sie von dem Plan?
Dieses Ziel ist ja in den europäischen Verträgen vorgegeben. Die Krise hat aber daran erinnert, wie wichtig nachhaltige wirtschaftliche Konvergenz ist, wenn die Währungsunion spannungsfrei funktionieren soll. Denn die EZB macht eine einheitliche Geldpolitik für die Mitglieder
des Euroraums. Sie schneidert – übertragen gesprochen – einen Mantel in Durchschnittsgröße. Wenn der eine aber nun XXS braucht und der andere XXL, dann sind am Ende alle unzufrieden. Was würde es bedeuten, wenn Rumänien und Bulgarien zeitnah den Euro einführen?
Wie gesagt, der Euro sollte in Rumänien und Bulgarien nur dann eingeführt werden, wenn dauerhaft Konvergenz erreicht ist und verlässliche Rahmenbedingungen herrschen. Wo sie auf diesem Weg stehen, wird derzeit turnusgemäß überprüft.
Deutschland hat wieder einen Spdfinanzminister. Hat Olaf Scholz beim Bundeshaushalt die richtigen Prioritäten gesetzt?
Das Bekenntnis zu einer soliden Haushaltspolitik halte ich für richtig. Wir sollten bei dieser Diskussion nicht vergessen, dass wir uns in einer Hochkonjunktur befinden, in der es keine zusätzlichen Impulse zur Stimulierung der Wirtschaft braucht. Vielmehr sollte die günstige Ausgangslage zur Vorsorge für schlechtere Zeiten genutzt werden. Zugleich gilt es, den Standort zu stärken und die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern. Das ist vor allem eine Frage der Prioritäten im Haushalt, dafür bedarf es keiner neuen Schulden.
An welche Maßnahmen denken Sie?
Zum Beispiel an eine Strategie, wie wir mit der demografischen Entwicklung umgehen, die mittelbis langfristig das Wachstum der deutschen Wirtschaft deutlich bremsen wird. Wir müssen die Erwerbstätigkeit von Frauen steigern und uns fragen: Sollte bei steigender Lebenszeit nicht auch das Renteneintrittsalter angehoben werden?
Halten Sie eine längere Lebensarbeitszeit für politisch durchsetzbar?
Warum sollte die Frage längerer Lebensarbeitszeit in Deutschland ausgespart werden, wenn so unterschiedliche Länder wie etwa Dänemark oder Italien Systeme eingeführt haben, die den Renteneintritt richtigerweise mit der Lebenserwartung verknüpfen? Denn ein konstantes Renteneintrittsalter bei steigender Lebenszeit bedeutet bei gleichbleibenden Renten nichts anderes, als dass die jüngere Generation immer größere Lasten zu tragen hat. Das kann man gesellschaftlich so entscheiden, aber man sollte sich über die Folgen im Klaren sein: Die Arbeitskosten steigen, die Beschäftigung und die Wettbewerbsfähigkeit sinken.
Mario Draghi wird ab November 2019 nicht mehr an der Spitze der EZB stehen. Wie sieht die Nachfolge aus?
Diese Entscheidung treffe ja nicht ich, die Frage müssen Sie anderen stellen. Die Diskussion hat meines Erachtens jedenfalls viel zu früh begonnen.
Stehen Sie denn als Nachfolger bereit?
Ich denke, jedes Mitglied im EZB-RAT sollte den Gestaltungswillen mitbringen, auch in einer anderen Rolle an der Geldpolitik mitzuwirken.
„Sollte bei steigender Lebenszeit nicht auch das Renteneintrittsalter angehoben werden?“