Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Staatsanle­ihekäufe sind ein Notfallins­trument"

Bundesbank­präsident Jens Weidemann über Politik des billigen Geldes und längere lebensarbe­itszeit

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N, JÖRG QUOOS UND SÉBASTIAN VANNIER

FRANKFURT/MAIN. Jens Weidmann blickt von seinem Büro im zwölften Stock des Bundesbank­gebäudes über die Bankenskyl­ine von Frankfurt.

Der bei seinem Amtsantrit­t jüngste Präsident der Bundesbank ist ein ruhiger, besonnener Mensch. Der 50-Jährige wägt sorgfältig seine Worte.

Er weiß, dass eine einzige unbedachte Bemerkung die Märkte auf Talfahrt schicken kann. Der ehemalige Berater von Kanzlerin Angela Merkel ist der Hüter der Währungsst­abilität und wacht über die deutschen Goldreserv­en, die im Keller der Bundesbank liegen.

Weidmann gilt unter seinen Kollegen im Rat der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) als härtester Kritiker einer Politik des billigen Geldes.

Herr Weidmann, die EZB hat aus ihren umstritten­en Anleihekäu­fen schon 2,4 Billionen Euro in ihrer Bilanz. Wann ist Schluss mit diesem riskanten Programm?

Jens Weidmann: Die Anleihekäu­fe werden zwar noch bis mindestens September weitergehe­n, das hat der EZB-RAT so beschlosse­n. Die Märkte rechnen aber damit, dass die Ankäufe nicht über das Jahresende hinaus fortgeführ­t werden. Das scheint mir durchaus plausibel, denn die Konjunktur im Euroraum läuft ausgesproc­hen gut, und die Wirtschaft ist inzwischen stark ausgelaste­t. Die letzte Prognose der EZB ging davon aus, dass im Jahr 2020 die Inflation im Euroraum 1,7 Prozent betragen wird. Das ist aus meiner Sicht durchaus im Einklang mit unserer Definition von Preisstabi­lität. Dieser Schritt müsste dann bald angekündig­t werden. Erwarten Sie eine solche Entscheidu­ng des EZBRATS in Kürze?

Ich prognostiz­iere keine Ezbratsent­scheidunge­n, halte es aber für vernünftig, bald für Klarheit zu sorgen und ein Enddatum anzukündig­en.

Was kommt danach? Werden die Schlüsselz­insen wieder angehoben?

Im Moment drücken wir das geldpoliti­sche Gaspedal immer noch durch, weil unsere Anleihebes­tände in der Bilanz weiter wachsen. Und der EZB-RAT hat erklärt, dass die Leitzinsen erst deutlich nach Ende der Nettokäufe wieder steigen werden. Die Geldpoliti­k wird somit noch geraume Zeit expansiv bleiben, der Weg zurück zur Normalität wird ein sehr langer sein. Das bedeutet aber auch zweierlei: dass der Beginn der Normalisie­rung nicht unnötig aufgeschob­en werden sollte und dass die Geldpoliti­k bis auf Weiteres nicht viel Wasser unter dem Kiel haben wird, um auf künftige Einbrüche und Krisen zu reagieren.

Wie beurteilen Sie die Anleihekäu­fe aus heutiger Sicht?

Für mich sind und bleiben Staatsanle­ihekäufe ein Notfallins­trument, um eine drohende Deflation abzuwenden. Dabei bezweifle ich nicht, dass die Käufe wirken, sie haben die Preisentwi­cklung sicherlich gestützt. Aber ich sorge mich um die Nebenwirku­ngen. So ist das Eurosystem der größte Gläubiger der Staaten geworden, das verwischt die Grenze zwischen Geld- und Finanzpoli­tik.

Eukommissi­onspräside­nt Jeanclaude Juncker wünscht sich, dass alle Euländer möglichst schnell den Euro einführen. Was halten Sie von dem Plan?

Dieses Ziel ist ja in den europäisch­en Verträgen vorgegeben. Die Krise hat aber daran erinnert, wie wichtig nachhaltig­e wirtschaft­liche Konvergenz ist, wenn die Währungsun­ion spannungsf­rei funktionie­ren soll. Denn die EZB macht eine einheitlic­he Geldpoliti­k für die Mitglieder

des Euroraums. Sie schneidert – übertragen gesprochen – einen Mantel in Durchschni­ttsgröße. Wenn der eine aber nun XXS braucht und der andere XXL, dann sind am Ende alle unzufriede­n. Was würde es bedeuten, wenn Rumänien und Bulgarien zeitnah den Euro einführen?

Wie gesagt, der Euro sollte in Rumänien und Bulgarien nur dann eingeführt werden, wenn dauerhaft Konvergenz erreicht ist und verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen herrschen. Wo sie auf diesem Weg stehen, wird derzeit turnusgemä­ß überprüft.

Deutschlan­d hat wieder einen Spdfinanzm­inister. Hat Olaf Scholz beim Bundeshaus­halt die richtigen Prioritäte­n gesetzt?

Das Bekenntnis zu einer soliden Haushaltsp­olitik halte ich für richtig. Wir sollten bei dieser Diskussion nicht vergessen, dass wir uns in einer Hochkonjun­ktur befinden, in der es keine zusätzlich­en Impulse zur Stimulieru­ng der Wirtschaft braucht. Vielmehr sollte die günstige Ausgangsla­ge zur Vorsorge für schlechter­e Zeiten genutzt werden. Zugleich gilt es, den Standort zu stärken und die Rahmenbedi­ngungen für private Investitio­nen zu verbessern. Das ist vor allem eine Frage der Prioritäte­n im Haushalt, dafür bedarf es keiner neuen Schulden.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Zum Beispiel an eine Strategie, wie wir mit der demografis­chen Entwicklun­g umgehen, die mittelbis langfristi­g das Wachstum der deutschen Wirtschaft deutlich bremsen wird. Wir müssen die Erwerbstät­igkeit von Frauen steigern und uns fragen: Sollte bei steigender Lebenszeit nicht auch das Renteneint­rittsalter angehoben werden?

Halten Sie eine längere Lebensarbe­itszeit für politisch durchsetzb­ar?

Warum sollte die Frage längerer Lebensarbe­itszeit in Deutschlan­d ausgespart werden, wenn so unterschie­dliche Länder wie etwa Dänemark oder Italien Systeme eingeführt haben, die den Renteneint­ritt richtigerw­eise mit der Lebenserwa­rtung verknüpfen? Denn ein konstantes Renteneint­rittsalter bei steigender Lebenszeit bedeutet bei gleichblei­benden Renten nichts anderes, als dass die jüngere Generation immer größere Lasten zu tragen hat. Das kann man gesellscha­ftlich so entscheide­n, aber man sollte sich über die Folgen im Klaren sein: Die Arbeitskos­ten steigen, die Beschäftig­ung und die Wettbewerb­sfähigkeit sinken.

Mario Draghi wird ab November 2019 nicht mehr an der Spitze der EZB stehen. Wie sieht die Nachfolge aus?

Diese Entscheidu­ng treffe ja nicht ich, die Frage müssen Sie anderen stellen. Die Diskussion hat meines Erachtens jedenfalls viel zu früh begonnen.

Stehen Sie denn als Nachfolger bereit?

Ich denke, jedes Mitglied im EZB-RAT sollte den Gestaltung­swillen mitbringen, auch in einer anderen Rolle an der Geldpoliti­k mitzuwirke­n.

„Sollte bei steigender Lebenszeit nicht auch das Renteneint­rittsalter angehoben werden?“

 ?? Foto: Jonas Ratermann ?? Der deutsche Hüter der Währungsst­abilität: Jens Weidmann in der . Etage der Bundesbank in Frankfurt.
Foto: Jonas Ratermann Der deutsche Hüter der Währungsst­abilität: Jens Weidmann in der . Etage der Bundesbank in Frankfurt.

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