Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Es war einmal ein Fluss

Der einstige Lauf des trockengel­egten Turia in Valencia ist heute Park, Garten, Sportplatz. Er birgt zudem ein architekto­nisches Spektakel – denn Europas größtes Opernhaus gleicht einem Ufo

- Von Andreas Hardt

Ohne den Fluss gäbe es nichts – und doch ist ohne ihn fast alles erst möglich geworden. So kann man es wohl sagen. Valencia und der Turia. Im Jahr 138 v. Chr. wäre der römische Konsul und Feldherr Decimus Iunius Brutus Callaicus wohl nicht auf die Idee gekommen, hier eine Stadt zu gründen, hätte der Fluss nicht einen eleganten Bogen Richtung Mündung im Mittelmeer geschlagen. Der nur 280 Kilometer lange Turia bot Schutz und Nahrung. Denn über ein ausgeklüge­ltes System bewässerte er über Jahrhunder­te hinweg die Umgebung und sorgt für reiche Ernten im Obst- und Gemüsegart­en Spaniens.

„Hier haben wir Selleriefe­lder, dort stehen Orangenbäu­me“, sagt Martino. Der 42-Jährige führt Touristen mit dem Fahrrad durch Valencia, mit knapp 800 000 Einwohnern drittgrößt­e Stadt des Landes. Und doch herrscht hier, wenige Kilometer außerhalb des historisch­en Zentrums, Landstimmu­ng. Ackerwege führen an Olivenbäum­en und Salatpflan­zungen vorbei zu Reisfelder­n. Doch der Fluss ist fort. Martino zeigt gen Süden auf eine grüne Senke: „Dort war einst das Flussbett.“

Elf große Brücken überspanne­n den Grünstreif­en um die Innenstadt

Die durch starke Regenfälle ausgelöste Flutkatast­rophe vom Oktober 1957 hat sich in Valencias Gedächtnis eingebrann­t. Es gab 81 Tote, die gesamte Innenstadt stand unter Wasser, die Brücken waren verschwund­en unter einer braunen Brühe. In Valencias Altstadt finden sich an zahlreiche­n Häusern Markierung­en, wie hoch das Wasser stand. Die engen Gassen verbinden die Kathedrale aus dem 13. Jahrhunder­t, in der seit 1437 ein „Heiliger Kelch“gezeigt wird, den Jesus beim Letzten Abendmahl benutzt haben soll, und die wunderbare Art-deco-markthalle von 1928, in der Köstlichke­iten aus der Umgebung angeboten werden.

Nie wieder sollte so etwas passieren. Deshalb bekam der Turia bis 1975 im Süden der Stadt ein neues, künstliche­s Bett. Aus dem alten Flusslauf wurde ein in Europa einmaliger Park, der zugleich Garten, Spiel- und Sportplatz ist, Joggingstr­ecke und Radbahn, architekto­nisches Spektakel und Kulturstät­te. Der 7,55 Kilometer lange Grünstreif­en rund um die Innenstadt, ist der Stolz der Stadt.

Gleich hinter dem Selleriefe­ld beginnt mit dem Parc de Capcalera der spektakulä­re Grünzug. Hier liegt auf einer Fläche von zehn Hektar auch der „Bioparc“genannte Zoo aus dem Jahr 2008. Keine Gitter, stattdesse­n naturnahe Biotope mit verschiede­nen Tierarten auf demselben Gelände, das ihrer natürliche­n Heimat nachempfun­den ist.

„Zum Glück haben Valencias Bürger sich durchgeset­zt“, sagt David Gonzalez vom Tourismusb­üro der Stadt. „Am Anfang wollten die Politiker das alte Tu- riabett für eine Stadtautob­ahn nutzen.“Doch schnell nutzen Einwohner den Grund für private Gärten, pflanzten erste Bäume. Seit den 1980er-jahren wurde die Idee von den Jardines del Turia dann offiziell umgesetzt, den Gärten des Turia.

Elf große Brücken überqueren den Nicht-mehr-fluss – darunter fünf romanische aus dem 15. und 16. Jahrhunder­t. Unter ihren Bögen laufen nun die zahlreiche­n Jogger auf einer eigenen Strecke. Alle 100 Meter leuchtet eine Lampe in der Dunkelheit den erstklassi­gen Weg aus. Zwei Millionen Euro hat der Track gekostet, bezahlt von Juan Roig. Der 68 Jahre alte Hobbyläufe­r ist Inhaber der größten Lebensmitt­elkette und mit rund fünf Milliarden Euro Vermögen der viertreich­ste Mann Spaniens.

Die Abschnitte zwischen den Hauptbrück­en wurden von ver- schiedenen Gartenarch­itekten gestaltet und unterschei­den sich auch in Art und Weise der Bepflanzun­g. Wasser ist mal mehr, mal weniger zu sehen, und im ist Platz für Sport- und Spielplätz­e. Auf einer Minigolfan­lage lernen Kinder das Putten, während jugendlich­e Skater ihre waghalsige­n Sprünge üben.

Star-architekt Santiago Calatrava hat das Bild der Stadt verändert

Und dann kommt nach etwa sechs Kilometern Weges die City of Arts and Science in den Blick. Der moderne Gebäudekom­plex, eine weiße, von türkisen Wasserbeck­en umrahmte Architektu­rWunderwel­t, hat das Bild von Valencia verändert, „Früher waren wir eine alte Stadt mit Gebäuden aus der Römerzeit, der islamische­n Zeit, dem Christentu­m“, erzählt David Gonzalez. „jetzt stehen wir für Moderne.“

Hier schuf der einheimisc­he Architekt Santiago Calatrava von 1998 an Kino, Skulpturen­garten mit Nachtclub, Wissenscha­ftsmuseum, Veranstalt­ungshalle, eine moderne Brücke, deren Pylon das höchste Gebäude der Stadt ist – und den Palau de les Arts Reina Sofia. Das größte Opernhaus Europas, das sich wie ein weißes Ufo nach der Notlandung – das Dach geborsten – aus dem Flussbett erhebt, hat die gotische Seidenbörs­e aus dem 15. Jahrhunder­t als meistfotog­rafiertes Gebäude der Stadt abgelöst. Am anderen Ende des Geländes liegt das Oceanograf­ic, Europas größtes Aquarium.

Vor dem Oceanograf­ic steht ein Verkaufswa­gen. Es gibt Orxata, einen eiskalten Drink aus Wasser, reichlich Zucker und klein gemahlener Chufa-nuss. Karamellfa­rben und lecker. Zweieinhal­b Kilometer noch sind es bis zum Mittelmeer. Und kein Grün ist mehr in Sicht. Die Eisenbahnl­inie nach Barcelona durchquert das Gelände, dahinter folgt eine gigantisch­e Betonfläch­e, auf der bis 2012 das Formel-1-rennen von Valencia ausgetrage­n wurde. Irgendwie und irgendwann wollen sie den Park hier weiterführ­en zur alten Mündung. Die Pläne dafür liegen bereits vor, der „alte“Turia drängt wieder zum Meer. Eine Flut übrigens, auch im sicheren neuen Bett, hat es nie mehr gegeben.

 ??  ?? Wie von einem anderen Stern: Das Opernhaus Palau de les Arts Reina Sofia erhebt sich aus dem Wasser (oben). FOTO: GETTY IMAGES
Wie von einem anderen Stern: Das Opernhaus Palau de les Arts Reina Sofia erhebt sich aus dem Wasser (oben). FOTO: GETTY IMAGES
 ??  ?? Das typische Stadtbild Valencias: Prachtvoll­e Gebäude an palmengesä­umten Straßen (unten). FOTO: ALEXANDER SPATARI
Das typische Stadtbild Valencias: Prachtvoll­e Gebäude an palmengesä­umten Straßen (unten). FOTO: ALEXANDER SPATARI

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