Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Es war einmal ein Fluss
Der einstige Lauf des trockengelegten Turia in Valencia ist heute Park, Garten, Sportplatz. Er birgt zudem ein architektonisches Spektakel – denn Europas größtes Opernhaus gleicht einem Ufo
Ohne den Fluss gäbe es nichts – und doch ist ohne ihn fast alles erst möglich geworden. So kann man es wohl sagen. Valencia und der Turia. Im Jahr 138 v. Chr. wäre der römische Konsul und Feldherr Decimus Iunius Brutus Callaicus wohl nicht auf die Idee gekommen, hier eine Stadt zu gründen, hätte der Fluss nicht einen eleganten Bogen Richtung Mündung im Mittelmeer geschlagen. Der nur 280 Kilometer lange Turia bot Schutz und Nahrung. Denn über ein ausgeklügeltes System bewässerte er über Jahrhunderte hinweg die Umgebung und sorgt für reiche Ernten im Obst- und Gemüsegarten Spaniens.
„Hier haben wir Selleriefelder, dort stehen Orangenbäume“, sagt Martino. Der 42-Jährige führt Touristen mit dem Fahrrad durch Valencia, mit knapp 800 000 Einwohnern drittgrößte Stadt des Landes. Und doch herrscht hier, wenige Kilometer außerhalb des historischen Zentrums, Landstimmung. Ackerwege führen an Olivenbäumen und Salatpflanzungen vorbei zu Reisfeldern. Doch der Fluss ist fort. Martino zeigt gen Süden auf eine grüne Senke: „Dort war einst das Flussbett.“
Elf große Brücken überspannen den Grünstreifen um die Innenstadt
Die durch starke Regenfälle ausgelöste Flutkatastrophe vom Oktober 1957 hat sich in Valencias Gedächtnis eingebrannt. Es gab 81 Tote, die gesamte Innenstadt stand unter Wasser, die Brücken waren verschwunden unter einer braunen Brühe. In Valencias Altstadt finden sich an zahlreichen Häusern Markierungen, wie hoch das Wasser stand. Die engen Gassen verbinden die Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert, in der seit 1437 ein „Heiliger Kelch“gezeigt wird, den Jesus beim Letzten Abendmahl benutzt haben soll, und die wunderbare Art-deco-markthalle von 1928, in der Köstlichkeiten aus der Umgebung angeboten werden.
Nie wieder sollte so etwas passieren. Deshalb bekam der Turia bis 1975 im Süden der Stadt ein neues, künstliches Bett. Aus dem alten Flusslauf wurde ein in Europa einmaliger Park, der zugleich Garten, Spiel- und Sportplatz ist, Joggingstrecke und Radbahn, architektonisches Spektakel und Kulturstätte. Der 7,55 Kilometer lange Grünstreifen rund um die Innenstadt, ist der Stolz der Stadt.
Gleich hinter dem Selleriefeld beginnt mit dem Parc de Capcalera der spektakuläre Grünzug. Hier liegt auf einer Fläche von zehn Hektar auch der „Bioparc“genannte Zoo aus dem Jahr 2008. Keine Gitter, stattdessen naturnahe Biotope mit verschiedenen Tierarten auf demselben Gelände, das ihrer natürlichen Heimat nachempfunden ist.
„Zum Glück haben Valencias Bürger sich durchgesetzt“, sagt David Gonzalez vom Tourismusbüro der Stadt. „Am Anfang wollten die Politiker das alte Tu- riabett für eine Stadtautobahn nutzen.“Doch schnell nutzen Einwohner den Grund für private Gärten, pflanzten erste Bäume. Seit den 1980er-jahren wurde die Idee von den Jardines del Turia dann offiziell umgesetzt, den Gärten des Turia.
Elf große Brücken überqueren den Nicht-mehr-fluss – darunter fünf romanische aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Unter ihren Bögen laufen nun die zahlreichen Jogger auf einer eigenen Strecke. Alle 100 Meter leuchtet eine Lampe in der Dunkelheit den erstklassigen Weg aus. Zwei Millionen Euro hat der Track gekostet, bezahlt von Juan Roig. Der 68 Jahre alte Hobbyläufer ist Inhaber der größten Lebensmittelkette und mit rund fünf Milliarden Euro Vermögen der viertreichste Mann Spaniens.
Die Abschnitte zwischen den Hauptbrücken wurden von ver- schiedenen Gartenarchitekten gestaltet und unterscheiden sich auch in Art und Weise der Bepflanzung. Wasser ist mal mehr, mal weniger zu sehen, und im ist Platz für Sport- und Spielplätze. Auf einer Minigolfanlage lernen Kinder das Putten, während jugendliche Skater ihre waghalsigen Sprünge üben.
Star-architekt Santiago Calatrava hat das Bild der Stadt verändert
Und dann kommt nach etwa sechs Kilometern Weges die City of Arts and Science in den Blick. Der moderne Gebäudekomplex, eine weiße, von türkisen Wasserbecken umrahmte ArchitekturWunderwelt, hat das Bild von Valencia verändert, „Früher waren wir eine alte Stadt mit Gebäuden aus der Römerzeit, der islamischen Zeit, dem Christentum“, erzählt David Gonzalez. „jetzt stehen wir für Moderne.“
Hier schuf der einheimische Architekt Santiago Calatrava von 1998 an Kino, Skulpturengarten mit Nachtclub, Wissenschaftsmuseum, Veranstaltungshalle, eine moderne Brücke, deren Pylon das höchste Gebäude der Stadt ist – und den Palau de les Arts Reina Sofia. Das größte Opernhaus Europas, das sich wie ein weißes Ufo nach der Notlandung – das Dach geborsten – aus dem Flussbett erhebt, hat die gotische Seidenbörse aus dem 15. Jahrhundert als meistfotografiertes Gebäude der Stadt abgelöst. Am anderen Ende des Geländes liegt das Oceanografic, Europas größtes Aquarium.
Vor dem Oceanografic steht ein Verkaufswagen. Es gibt Orxata, einen eiskalten Drink aus Wasser, reichlich Zucker und klein gemahlener Chufa-nuss. Karamellfarben und lecker. Zweieinhalb Kilometer noch sind es bis zum Mittelmeer. Und kein Grün ist mehr in Sicht. Die Eisenbahnlinie nach Barcelona durchquert das Gelände, dahinter folgt eine gigantische Betonfläche, auf der bis 2012 das Formel-1-rennen von Valencia ausgetragen wurde. Irgendwie und irgendwann wollen sie den Park hier weiterführen zur alten Mündung. Die Pläne dafür liegen bereits vor, der „alte“Turia drängt wieder zum Meer. Eine Flut übrigens, auch im sicheren neuen Bett, hat es nie mehr gegeben.