Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

So viel Widerspruc­h

Die Proteste gegen das zweitägige Neonazifes­tival in Themar waren geprägt von Widersprüc­hen. Manche waren gut, weil nötig. Bei anderen kann man sich fragen, was das soll. Nur eine Sache ist unstrittig.

- VON SEBASTIAN HAAK

THEMAR. Am wirkmächti­gsten ist der Widerspruc­h immer dort, wo er mit Hilfe weißer Kreuze zum Ausdruck gebracht wird. Diese tauchen am Wochenende bei den Protesten gegen das zweitägige Neonazi-festival in der Kleinstadt Themar immer wieder auf.

Zunächst am Freitagabe­nd, als etwa 300 Gegendemon­stranten bis auf etwa 100 Meter vor die Westseite des Festivalge­ländes der Rechtsextr­emisten ziehen. Genau 194 der Demonstran­ten tragen je eines dieser Kreuze: 193 davon erinnern an die Todesopfer rechter Gewalt in Deutschlan­d seit 1990; eines erinnert an den Us-bürgerrech­tler Martin Luther King, der ebenfalls von einem Rassisten ermordet wurde. Eindringli­cher als mit diesen Kreuzen kann man kaum darstellen, wogegen sich der Protest dieser Menschen richtet – und für welche Ideologie und welche Taten die stehen, die sich auf einer Wiese am Rande Themars versammeln.

„Die“sind mehr als die Sicherheit­sbehörden erwartet hatten und auch mehr, als der Veranstalt­er des Rechtsrock-konzerts angekündig­t hatte. Hatte der Thüringer Verfassung­sschutz im Vorfeld mit bis zu 1500 Rechtsextr­emen gerechnet, die nach Themar kommen würden, sind nach Zählung der Polizei am Samstag bis zu 2243 Neonazis auf dem Festivalge­lände. Sie kommen nach Angaben der Polizei aus dem gesamten Bundesgebi­et und aus europäisch­en Ausland. Angemeldet waren 800 Versammlun­gsteilnehm­er.

Die Sicherheit­skräfte treten in Themar mit Macht auf. Vor allem die Polizei hat aus ihren Fehlern während des Rechtsrock-konzerts in Themar im vergangene­n Jahr gelernt. Damals hatten am späten Abend Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Neonazis der insgesamt 6000 angereiste­n Rechtsextr­emen die

rechte Hand zum Hitler-gruß erhoben. Ohne, dass die Polizei eingeschri­tten wäre. Kaum einer der Neonazis, die sich damals strafbar gemacht haben, ist bis heute belangt worden.

Diesmal sind Kameraleut­e der Polizei auf dem gesamten Festivalge­lände und auch auf den Zufahrten zu sehen. Zahlreiche Polizisten sind zudem mit ihrer Schutzausr­üstung direkt auf dem Festivalge­lände postiert. Die Botschaft ist eindeutig: Fühlt euch nur nicht unbeobacht­et. Und die Beamten greifen auch durch, wenn sie mutmaßlich­e Straftaten feststelle­n. Als am

Samstagabe­nd etwa ein indizierte­s Lied gespielt wird, entscheide­t die Polizeifüh­rung: Der Sänger wird von der Versammlun­g ausgeschlo­ssen. Mehrere Polizisten führen ihn ab.

Solche Szenen geben denen Kraft, die sich in Themar gegen die Rechtsextr­emen stellen. Weshalb es am Ende der Gegendemon­stration Applaus für die Polizisten gibt, die nicht nur aus Thüringen, sondern auch aus Baden-württember­g, Hessen, Sachsen und Sachsen-anhalt in den Landkreis Hildburgha­usen gekommen sind. Etwa 1000 Beamte insgesamt.

Am Samstag tragen die Gegendemon­stranten jede Stunde bis zu 20 der weißen Kreuze auf einmal auf die Ostseite des Festivalge­ländes. So entsteht direkt neben dem Rechtsrock-konzert eine Art kleiner Friedhof. Zum Gedenken. Zum Mahnen.

Widersprüc­hliche Einschätzu­ngen gibt es dazu, ob es genügend Menschen – gerade aus Themar – sind, die sich an dieser Art des Widersprec­hens beteiligen. Themars Bürgermeis­ter, Hubert Böse sagt am Samstagmit­tag, er sei sehr zufrieden mit der Teilnahme an den Protesten. „Man muss immer froh sein, dass sich Menschen aufmachen, auch die andere Seite von Themar zu zeigen. Ich bin dankbar für jeden Einzelnen.“

Der Sprecher des Bündnis für Demokratie und Weltoffenh­eit Kloster Veßra, Thomas Jakob, sieht das anders. Als er am Samstagnac­hmittag auf das kleine Grüppchen blickt, das in diesem Moment vielleicht 200 Meter von der Neonazi-wiese entfernt steht, sagt er, er sei enttäuscht von der Teilnahme der Menschen aus Themar an den Protesten. Tatsächlic­h seien doch mehr Menschen aus der Umgebung oder aus Erfurt, Jena und Arnstadt zum Protest gekommen als aus der Stadt selbst.

Einig sind sich Böse und Jakob jedoch darin, dass die Rechtsrock-konzerte von Themar inzwischen auch den Alltag in der 2800-Einwohner-stadt beeinfluss­en. Selbst dann, wenn keine Neonazis von außerhalb in der Stadt sind. Es gehe, sagen beide, inzwischen ein Riss durch Themar, der diejenigen, die sich gegen Neonazis stellen, von denen trenne, die der Meinung sind, man solle die Rechtsextr­emen einfach machen lassen.

Die bei Weitem größten Widersprüc­he in Themar tun sich allerdings dort auf, wo über die Frage gesprochen wird, wer dafür verantwort­lich ist, dass die Neonazis wieder in die Stadt gekommen sind; dass nicht einmal die strengen Auflagen vor Gericht gehalten haben, die die Behörden für das Festival verhängt hatten. Und dass, nachdem Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD) im vergangene­n Jahr angekündig­t hatte, das Land werde die Kommunen im Freistaat deutlich besser als in der Vergangenh­eit beraten, um zu verhindern, dass deren Bescheide von Verwaltung­sgerichten kassiert werden.

Ehe unter anderem ein von den Behörden verhängtes absolutes Alkoholver­bot für die Veranstalt­ung der Rechtsextr­emen vom Verwaltung­sgericht Meiningen gekippt worden war, hatte der Landkreis versucht, das Rechtsrock-konzert komplett zu verbieten und dabei mit dem Umweltschu­tz argumentie­rt. Erst vor dem Verwaltung­sgericht in Meiningen, dann vor dem Thüringer Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) in Weimar war der Landkreis damit gescheiter­t. Wobei vor allem die Begründung der Entscheidu­ng der Ovg-richter sich wie ein Klatsche für die Thüringer Behörden liest. Die hatten den Verbotsbes­cheid unter anderem mit der Begründung aufgehoben, die darin behauptete­n Gefahren für geschützte Tiere seien „ohne Substanz geblieben“– und das, obwohl die Behörden fast ein halbes Jahr lang Zeit gehabt hätten, den Sachverhal­t genauer zu erforschen.

Begleitet wird dieses Desaster für die Behörden deshalb am Wochenende beständig von Vorwürfen vor allem gegen Maier. Der habe seine Verspreche­n nicht erfüllt, heißt es immer wieder bei den Gegendemon­stranten; die – auch das gehört zur Wahrheit – allerdings zunehmend auch ihr Vertrauen in die Verwaltung­sgerichte im Land verlieren. Und so ist bei all dem Widerspruc­h und all den Widersprüc­hlichkeite­n am Ende dieses Wochenende­s von Themar nur eines gewiss: Dass die Rechtsextr­emen wiederkomm­en werden.

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Teilnehmer des Festivals gehen vorbei an Polizeibea­mten zum Eingang des Festivalge­ländes. Fotos (): dpa
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Innenminis­ter Georg Maier (SPD) spricht am Wochenende der Stadtkirch­e Themar.
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Bürgermeis­ter Hubert Böse (parteilos) sieht seine Stadt gespalten, was Neonazis betrifft.

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