Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
So viel Widerspruch
Die Proteste gegen das zweitägige Neonazifestival in Themar waren geprägt von Widersprüchen. Manche waren gut, weil nötig. Bei anderen kann man sich fragen, was das soll. Nur eine Sache ist unstrittig.
THEMAR. Am wirkmächtigsten ist der Widerspruch immer dort, wo er mit Hilfe weißer Kreuze zum Ausdruck gebracht wird. Diese tauchen am Wochenende bei den Protesten gegen das zweitägige Neonazi-festival in der Kleinstadt Themar immer wieder auf.
Zunächst am Freitagabend, als etwa 300 Gegendemonstranten bis auf etwa 100 Meter vor die Westseite des Festivalgeländes der Rechtsextremisten ziehen. Genau 194 der Demonstranten tragen je eines dieser Kreuze: 193 davon erinnern an die Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990; eines erinnert an den Us-bürgerrechtler Martin Luther King, der ebenfalls von einem Rassisten ermordet wurde. Eindringlicher als mit diesen Kreuzen kann man kaum darstellen, wogegen sich der Protest dieser Menschen richtet – und für welche Ideologie und welche Taten die stehen, die sich auf einer Wiese am Rande Themars versammeln.
„Die“sind mehr als die Sicherheitsbehörden erwartet hatten und auch mehr, als der Veranstalter des Rechtsrock-konzerts angekündigt hatte. Hatte der Thüringer Verfassungsschutz im Vorfeld mit bis zu 1500 Rechtsextremen gerechnet, die nach Themar kommen würden, sind nach Zählung der Polizei am Samstag bis zu 2243 Neonazis auf dem Festivalgelände. Sie kommen nach Angaben der Polizei aus dem gesamten Bundesgebiet und aus europäischen Ausland. Angemeldet waren 800 Versammlungsteilnehmer.
Die Sicherheitskräfte treten in Themar mit Macht auf. Vor allem die Polizei hat aus ihren Fehlern während des Rechtsrock-konzerts in Themar im vergangenen Jahr gelernt. Damals hatten am späten Abend Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Neonazis der insgesamt 6000 angereisten Rechtsextremen die
rechte Hand zum Hitler-gruß erhoben. Ohne, dass die Polizei eingeschritten wäre. Kaum einer der Neonazis, die sich damals strafbar gemacht haben, ist bis heute belangt worden.
Diesmal sind Kameraleute der Polizei auf dem gesamten Festivalgelände und auch auf den Zufahrten zu sehen. Zahlreiche Polizisten sind zudem mit ihrer Schutzausrüstung direkt auf dem Festivalgelände postiert. Die Botschaft ist eindeutig: Fühlt euch nur nicht unbeobachtet. Und die Beamten greifen auch durch, wenn sie mutmaßliche Straftaten feststellen. Als am
Samstagabend etwa ein indiziertes Lied gespielt wird, entscheidet die Polizeiführung: Der Sänger wird von der Versammlung ausgeschlossen. Mehrere Polizisten führen ihn ab.
Solche Szenen geben denen Kraft, die sich in Themar gegen die Rechtsextremen stellen. Weshalb es am Ende der Gegendemonstration Applaus für die Polizisten gibt, die nicht nur aus Thüringen, sondern auch aus Baden-württemberg, Hessen, Sachsen und Sachsen-anhalt in den Landkreis Hildburghausen gekommen sind. Etwa 1000 Beamte insgesamt.
Am Samstag tragen die Gegendemonstranten jede Stunde bis zu 20 der weißen Kreuze auf einmal auf die Ostseite des Festivalgeländes. So entsteht direkt neben dem Rechtsrock-konzert eine Art kleiner Friedhof. Zum Gedenken. Zum Mahnen.
Widersprüchliche Einschätzungen gibt es dazu, ob es genügend Menschen – gerade aus Themar – sind, die sich an dieser Art des Widersprechens beteiligen. Themars Bürgermeister, Hubert Böse sagt am Samstagmittag, er sei sehr zufrieden mit der Teilnahme an den Protesten. „Man muss immer froh sein, dass sich Menschen aufmachen, auch die andere Seite von Themar zu zeigen. Ich bin dankbar für jeden Einzelnen.“
Der Sprecher des Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra, Thomas Jakob, sieht das anders. Als er am Samstagnachmittag auf das kleine Grüppchen blickt, das in diesem Moment vielleicht 200 Meter von der Neonazi-wiese entfernt steht, sagt er, er sei enttäuscht von der Teilnahme der Menschen aus Themar an den Protesten. Tatsächlich seien doch mehr Menschen aus der Umgebung oder aus Erfurt, Jena und Arnstadt zum Protest gekommen als aus der Stadt selbst.
Einig sind sich Böse und Jakob jedoch darin, dass die Rechtsrock-konzerte von Themar inzwischen auch den Alltag in der 2800-Einwohner-stadt beeinflussen. Selbst dann, wenn keine Neonazis von außerhalb in der Stadt sind. Es gehe, sagen beide, inzwischen ein Riss durch Themar, der diejenigen, die sich gegen Neonazis stellen, von denen trenne, die der Meinung sind, man solle die Rechtsextremen einfach machen lassen.
Die bei Weitem größten Widersprüche in Themar tun sich allerdings dort auf, wo über die Frage gesprochen wird, wer dafür verantwortlich ist, dass die Neonazis wieder in die Stadt gekommen sind; dass nicht einmal die strengen Auflagen vor Gericht gehalten haben, die die Behörden für das Festival verhängt hatten. Und dass, nachdem Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) im vergangenen Jahr angekündigt hatte, das Land werde die Kommunen im Freistaat deutlich besser als in der Vergangenheit beraten, um zu verhindern, dass deren Bescheide von Verwaltungsgerichten kassiert werden.
Ehe unter anderem ein von den Behörden verhängtes absolutes Alkoholverbot für die Veranstaltung der Rechtsextremen vom Verwaltungsgericht Meiningen gekippt worden war, hatte der Landkreis versucht, das Rechtsrock-konzert komplett zu verbieten und dabei mit dem Umweltschutz argumentiert. Erst vor dem Verwaltungsgericht in Meiningen, dann vor dem Thüringer Oberverwaltungsgericht (OVG) in Weimar war der Landkreis damit gescheitert. Wobei vor allem die Begründung der Entscheidung der Ovg-richter sich wie ein Klatsche für die Thüringer Behörden liest. Die hatten den Verbotsbescheid unter anderem mit der Begründung aufgehoben, die darin behaupteten Gefahren für geschützte Tiere seien „ohne Substanz geblieben“– und das, obwohl die Behörden fast ein halbes Jahr lang Zeit gehabt hätten, den Sachverhalt genauer zu erforschen.
Begleitet wird dieses Desaster für die Behörden deshalb am Wochenende beständig von Vorwürfen vor allem gegen Maier. Der habe seine Versprechen nicht erfüllt, heißt es immer wieder bei den Gegendemonstranten; die – auch das gehört zur Wahrheit – allerdings zunehmend auch ihr Vertrauen in die Verwaltungsgerichte im Land verlieren. Und so ist bei all dem Widerspruch und all den Widersprüchlichkeiten am Ende dieses Wochenendes von Themar nur eines gewiss: Dass die Rechtsextremen wiederkommen werden.