Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
In Zukunft
Deutschlands Schulen sollen digitaler werden. Doch noch immer tut man sich schwer damit. Warum eigentlich? Ein Thüringer Gymnasium zeigt, wie sehr Tablets, Apps und Wlan das Lernen bereichern können. Ein Besuch.
DINGELSTÄDT. Es dauert nur wenige Sekunden, dann haben alle Schüler der 10b das Handout auf ihren I-pads, das ihnen verrät, wie sie einen guten Vortrag halten. In dieser oder der nächsten Englisch-stunde. Und auch sonst. „You don’t have to print them“, sagt Astrid Löffelholz den Jungen und Mädchen, während ihr I-pad ihr anzeigt, wie die Handouts in diesen Augenblicken an die Schüler verteilt werden. „Ihr müsst das nicht ausdrucken.“Mehrfach wischt sie auf ihrem Tablet hin und her, um zu überprüfen, bei welchem Schüler die Übertragung schon abgeschlossen ist und bei wem sie noch läuft.
So schnell ist das erledigt, dass es zweifelsohne länger gedauert hätte, wäre Löffelholz durch das mit den Flaggen der USA und Australiens dekorierte Klassenzimmer gegangen und hätte den Schülern dabei Papier auf den Tisch gelegt. Kaum haben die Jugendlichen das Handout auf ihren I-pads, beginnen viele von ihnen damit, es in ein bestimmtes Datei-verzeichnis ihres Tablets zu legen. Immerhin wollen sie das Handout ja irgendwann einmal wiederfinden. Weil sie es eben nicht nur für diese Stunde brauchen werden.
Dass Löffelholz auf ihrem I-pad hin- und her gewischt hat, um die Übertragung der Handouts zu überwachen, können die Schüler sehen. Ein Beamer projiziert das, was Löffelholz auf ihrem I-pad sieht und tut, auf ein Stück Wand über der Tafel. Unmittelbar zuvor waren dort digitale Folien zu sehen gewesen, auf denen Wörter ins Sichtfeld gehüpft oder von dort nach unten gefallen waren. Kleine Spielereien, mit denen Löffelholz ihren eigenen Vortrag darüber illustriert hatte, was eine gute Präsentation ausmacht: wissen, worüber man spricht; Körpersprache; Augenkontakt zum Publikum.
Noch während Löffelholz spricht, schreiben einige der Jugendlichen mit. Machen tippen ihre Notizen direkt auf ihre I-pads, nutzen deren virtuelle Tastatur. Andere haben externe Tastaturen mit den Geräten verbunden und tippen darauf ihre Aufzeichnungen.
Hier, im Gymnasium „St. Josef“im Eichsfeld, ist eine solche Unterrichtsstunde Alltag. In Englisch, in Deutsch, in Biologie, in Mathematik, in Geografie, in Musik… Und das nicht nur für die Schüler der Klasse 10b, die vor etwa zwei Jahren zu den ersten Jugendlichen gehört haben, die jene moderne Technik auch in der Schule zu nutzen begonnen haben, ohne die das Leben heute außerhalb kaum mehr vorstellbar ist.
Anders als in diesem Gymnasium in Dingelstädt bedeutet Digitalisierung für die Mehrzahl der deutschen Schulen noch immer kaum mehr, als dass es irgendwo in den Bildungseinrichtungen ein Computerkabinett gibt, in dem viele Jahre alte Desktoppcs stehen. Auch in „St. Josef“gibt es sie noch. Allerdings werden sie inzwischen kaum noch genutzt.
Wer also wissen will, was im großen Maßstab überall in der Bundesrepublik geschehen muss, um das deutsche Bildungssystem in die Zukunft zu führen, der muss nach Dingelstädt fahren. Besonders auch im innerthüringischen Vergleich sticht dieses Gymnasium hervor, in dem das Lehren und Lernen sehr wahrscheinlich umfassender digitalisiert sind als in allen anderen Schulen des Freistaats. Nicht nur technisch. Sondern auch in den Köpfen von Lehrern, Schülern und Eltern.
Einer der deutlichsten Belege dafür, wie weit die Digitalisierung des Schullebens an diesem Gymnasium fortgeschritten ist, ist der völlig unaufgeregte Umgang, den Lehrer und Schüler im Unterricht mit I-pads, Beamern, großen Fernsehern, Whiteboards und all dem entsprechenden Zubehör pflegen. Unmittelbar nachdem die Handouts auf den Tablets der Schüler angekommen sind, nutzen die Jugendlichen diese beispielsweise ganz so, als wären sie aus Papier, um sich damit auf ihre Vorträge vorzubereiten. Die Schüler lesen, wechseln dann von dieser Ansicht zu einer Wörterbuch-app, um Worte nachzuschlagen, die sie für ihre Präsentation brauchen. Sie springen weiter zu einer Schreib-app, um sich Notizen für ihren Vortrag zu machen. Dann wechseln sie zu einer Internet-suchmaschine, um über ihr Präsentationsthema im Netz Dinge in Erfahrung zu bringen. Die externen Tastaturen klappern immerfort. Soweit es sich beobachten lässt, immer im Zusammenhang mit dem Unterricht.
Freilich war das nicht sofort so, als die Tablets an der Schule eingeführt wurden. Weil vor etwa zwei Jahren Tablets im Unterricht eben etwas Besonderes waren. Deshalb sei damals die Versuchung bei manchen Schülern noch groß gewesen, während des Unterrichts im Netz zu surfen und dort Dinge zu tun, die nichts mit Mathe oder Englisch zu tun haben, sagt Leonie Helbing. „Das gab manchmal richtig Ärger.“Auch sei mit den I-pads manchmal heimlich im Unterricht fotografiert worden.
Auch vor der Schülerin liegt ein I-pad, das sie wie alle hier auch zu ihrem gemacht hat, indem sie darauf private Fotos als Desktop-hintergrund verwendet. „Inzwischen sind die I-pads so normal geworden, dass sich eigentlich niemand mehr damit ablenkt“, sagt Leonie. Ihr I-pad, das sie ausschließlich für die Schule nutze, sei für sie nicht mehr und nicht weniger als ein Schulbuch, ein Arbeitsheft, ein Taschenrechner, ein Ordner, ein Hefter – nur eben alles zusammen in einem Gerät.
Was auch den Nebeneffekt habe, sagt Leonie, dass sie unter anderem ein fast 400 Seiten dickes Deutschbuch in digitaler Form mit in die Schule bringen könne, es nicht im Rucksack umher tragen müsse. „Ich habe öfter Rückenprobleme und da bin ich froh, wenn ich das nicht zu schleppen brauche.“
Löffelholz sieht das auch so. Der Einsatz all der Technik im Unterricht führe nicht zu mehr Ablenkung als früher. „Klar suchen sich Schüler manchmal Freiräume, das sind Jugendliche“, sagt Löffelholz. „Aber das haben wir früher auch gemacht, wenn wir Zettelchen geschrieben haben.“Die Möglichkeiten, die die Digitalisierung des Schulalltages biete, überwiege die Risiken bei Weitem, sagt die Lehrerin.
Während die Schüler im Englischunterricht weiter an ihren Vorträgen arbeiten, zeigt Löffelholz Videos auf ihrem I-pad, die sie mithilfe des Gerätes von Präsentationen der Schüler gedreht hat. Im Unterricht nutzt sie diese Videos entweder als Beispiele für besonders gelungene Vorträge. Oder um sie gemeinsam mit den Schülern, die sie gehalten haben, auszuwerten. So etwas sei früher nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand überhaupt möglich gewesen, sagt Löffelholz. Im digitalen Zeitalter genügten dafür ein paar Fingerbewegungen.
Bei dem Mann, in dessen Büro auch zwischen den Unterrichtsstunden viel los, liegt selbstverständlich auch ein I-pad auf dem Schreibtisch: Peter Krippendorf, Schulleiter des Gymnasiums und gleichzeitig Mathelehrer. Er war und ist einer der Köpfe hinter der Digitalisierung der Schule – und das nicht nur, weil er in den vergangenen Jahren mit dem Landkreis als Schulträger über all die Investitionen verhandelt hat, die dafür notwendig waren.
Denn wer die Technik nutzen will, muss Technik haben; was eben nicht Desktop-pcs meint, sondern W-lan im gesamten Schulgebäude und je einen Beamer oder Fernseher oder ein Whiteboard pro Klassenraum. Es war auch Krippendorf, der die Eltern für die Einführung der I-pads an der Schule gewonnen hat: Am Ende der achten Klasse werden die Tablets in den Mathe-unterricht eingeführt. Das vor allem deshalb, sagt Krippendorf, weil sehr gute Apps für diese Fach auf den Geräten verfügbar seien. Ab der neunten Klasse werden die I-pads dann auch in anderen Fächern genutzt.
Diese gestufte Einführung, sagt Krippendorf, sei einerseits der Überzeugung geschuldet, dass die Jugendlichen zwar bestimmte Grundkenntnisse in allen Fächern auch ohne technische Unterstützung erlernen könnten. Dass es aber nicht sinnvoll sei, ihnen bei steigender Komplexität des Stoffes sinnvolle, moderne Hilfsmittel vorzuenthalten. „Immerhin haben wir vor den I-pads ja auch schon Taschenrechner statt Rechenschieber benutzt“, sagt er.
Am Beginn der Tablet-ära sei es bei den Eltern der Schüler deutlich schwerer als bei den Lehrern gewesen, Unterstützung für diese neue Art des Lernens zu gewinnen, erinnert sich Krippendorf. Was nicht so sehr mit dem Kaufpreis eines I-pads zu tun habe. Tatsächlich habe ein Teil der Eltern befürchtet, ihre Kinder würden von nun an gar nicht mehr von technischen Geräten lassen, wenn sie diese nun auch in der Schule benutzen müssten. Zudem habe der technisch versierte Teil der Eltern mit vielen, vielen Detail-fragen und -Bedenken einigen Widerstand gegen die Einführung der Tablets geleistet. „Die wollten zum Beispiel wissen, wie wir den Datenschutz gewährleisten werden“, sagt Krippendorf. Oder wie die Schule gedenke zu verhindern, dass auf den Tablets dubiose Webseiten aufgerufen werden.
Die Bedenken konnten bei den meisten ausgeräumt werden. „Gegen die Eltern hätte ich die I-pads nicht eingeführt“, sagt Krippendorf. Auch jetzt tauchten Fragen zwar immer wieder mal auf, wenn den Eltern der Achtklässler das I-pad-projekt vorgestellt werde. Doch habe sich inzwischen auch bei den Eltern herumgesprochen, dass die Sache mit dem digitalisierten Unterricht richtig sei.
Das heißt nicht, dass man in einer der am meisten digitalisierten Schulen Deutschlands und Thüringens die Digitalisierung des Alltages völlig schrankenlos geschehen lässt. Krippendorf betont immer wieder, man lege an seinem Gymnasium großen Wert darauf, die Technik als sinnvolles Lern- und Lehrmittel einzusetzen. Nicht mehr, nicht weniger.
Leonie und ihre Mitschüler müssen deshalb damit leben, dass in der Hausordnung des Gymnasiums ein besonders langer Abschnitt die Nutzung von Tablets und Smartphones regelt. Und der sagt im Wesentlichen: Grundsätzlich dürfen Handys auch in dieser Schule nicht benutzt werden.