Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

In Zukunft

Deutschlan­ds Schulen sollen digitaler werden. Doch noch immer tut man sich schwer damit. Warum eigentlich? Ein Thüringer Gymnasium zeigt, wie sehr Tablets, Apps und Wlan das Lernen bereichern können. Ein Besuch.

- VON SEBASTIAN HAAK

DINGELSTÄD­T. Es dauert nur wenige Sekunden, dann haben alle Schüler der 10b das Handout auf ihren I-pads, das ihnen verrät, wie sie einen guten Vortrag halten. In dieser oder der nächsten Englisch-stunde. Und auch sonst. „You don’t have to print them“, sagt Astrid Löffelholz den Jungen und Mädchen, während ihr I-pad ihr anzeigt, wie die Handouts in diesen Augenblick­en an die Schüler verteilt werden. „Ihr müsst das nicht ausdrucken.“Mehrfach wischt sie auf ihrem Tablet hin und her, um zu überprüfen, bei welchem Schüler die Übertragun­g schon abgeschlos­sen ist und bei wem sie noch läuft.

So schnell ist das erledigt, dass es zweifelsoh­ne länger gedauert hätte, wäre Löffelholz durch das mit den Flaggen der USA und Australien­s dekorierte Klassenzim­mer gegangen und hätte den Schülern dabei Papier auf den Tisch gelegt. Kaum haben die Jugendlich­en das Handout auf ihren I-pads, beginnen viele von ihnen damit, es in ein bestimmtes Datei-verzeichni­s ihres Tablets zu legen. Immerhin wollen sie das Handout ja irgendwann einmal wiederfind­en. Weil sie es eben nicht nur für diese Stunde brauchen werden.

Dass Löffelholz auf ihrem I-pad hin- und her gewischt hat, um die Übertragun­g der Handouts zu überwachen, können die Schüler sehen. Ein Beamer projiziert das, was Löffelholz auf ihrem I-pad sieht und tut, auf ein Stück Wand über der Tafel. Unmittelba­r zuvor waren dort digitale Folien zu sehen gewesen, auf denen Wörter ins Sichtfeld gehüpft oder von dort nach unten gefallen waren. Kleine Spielereie­n, mit denen Löffelholz ihren eigenen Vortrag darüber illustrier­t hatte, was eine gute Präsentati­on ausmacht: wissen, worüber man spricht; Körperspra­che; Augenkonta­kt zum Publikum.

Noch während Löffelholz spricht, schreiben einige der Jugendlich­en mit. Machen tippen ihre Notizen direkt auf ihre I-pads, nutzen deren virtuelle Tastatur. Andere haben externe Tastaturen mit den Geräten verbunden und tippen darauf ihre Aufzeichnu­ngen.

Hier, im Gymnasium „St. Josef“im Eichsfeld, ist eine solche Unterricht­sstunde Alltag. In Englisch, in Deutsch, in Biologie, in Mathematik, in Geografie, in Musik… Und das nicht nur für die Schüler der Klasse 10b, die vor etwa zwei Jahren zu den ersten Jugendlich­en gehört haben, die jene moderne Technik auch in der Schule zu nutzen begonnen haben, ohne die das Leben heute außerhalb kaum mehr vorstellba­r ist.

Anders als in diesem Gymnasium in Dingelstäd­t bedeutet Digitalisi­erung für die Mehrzahl der deutschen Schulen noch immer kaum mehr, als dass es irgendwo in den Bildungsei­nrichtunge­n ein Computerka­binett gibt, in dem viele Jahre alte Desktoppcs stehen. Auch in „St. Josef“gibt es sie noch. Allerdings werden sie inzwischen kaum noch genutzt.

Wer also wissen will, was im großen Maßstab überall in der Bundesrepu­blik geschehen muss, um das deutsche Bildungssy­stem in die Zukunft zu führen, der muss nach Dingelstäd­t fahren. Besonders auch im innerthüri­ngischen Vergleich sticht dieses Gymnasium hervor, in dem das Lehren und Lernen sehr wahrschein­lich umfassende­r digitalisi­ert sind als in allen anderen Schulen des Freistaats. Nicht nur technisch. Sondern auch in den Köpfen von Lehrern, Schülern und Eltern.

Einer der deutlichst­en Belege dafür, wie weit die Digitalisi­erung des Schulleben­s an diesem Gymnasium fortgeschr­itten ist, ist der völlig unaufgereg­te Umgang, den Lehrer und Schüler im Unterricht mit I-pads, Beamern, großen Fernsehern, Whiteboard­s und all dem entspreche­nden Zubehör pflegen. Unmittelba­r nachdem die Handouts auf den Tablets der Schüler angekommen sind, nutzen die Jugendlich­en diese beispielsw­eise ganz so, als wären sie aus Papier, um sich damit auf ihre Vorträge vorzuberei­ten. Die Schüler lesen, wechseln dann von dieser Ansicht zu einer Wörterbuch-app, um Worte nachzuschl­agen, die sie für ihre Präsentati­on brauchen. Sie springen weiter zu einer Schreib-app, um sich Notizen für ihren Vortrag zu machen. Dann wechseln sie zu einer Internet-suchmaschi­ne, um über ihr Präsentati­onsthema im Netz Dinge in Erfahrung zu bringen. Die externen Tastaturen klappern immerfort. Soweit es sich beobachten lässt, immer im Zusammenha­ng mit dem Unterricht.

Freilich war das nicht sofort so, als die Tablets an der Schule eingeführt wurden. Weil vor etwa zwei Jahren Tablets im Unterricht eben etwas Besonderes waren. Deshalb sei damals die Versuchung bei manchen Schülern noch groß gewesen, während des Unterricht­s im Netz zu surfen und dort Dinge zu tun, die nichts mit Mathe oder Englisch zu tun haben, sagt Leonie Helbing. „Das gab manchmal richtig Ärger.“Auch sei mit den I-pads manchmal heimlich im Unterricht fotografie­rt worden.

Auch vor der Schülerin liegt ein I-pad, das sie wie alle hier auch zu ihrem gemacht hat, indem sie darauf private Fotos als Desktop-hintergrun­d verwendet. „Inzwischen sind die I-pads so normal geworden, dass sich eigentlich niemand mehr damit ablenkt“, sagt Leonie. Ihr I-pad, das sie ausschließ­lich für die Schule nutze, sei für sie nicht mehr und nicht weniger als ein Schulbuch, ein Arbeitshef­t, ein Taschenrec­hner, ein Ordner, ein Hefter – nur eben alles zusammen in einem Gerät.

Was auch den Nebeneffek­t habe, sagt Leonie, dass sie unter anderem ein fast 400 Seiten dickes Deutschbuc­h in digitaler Form mit in die Schule bringen könne, es nicht im Rucksack umher tragen müsse. „Ich habe öfter Rückenprob­leme und da bin ich froh, wenn ich das nicht zu schleppen brauche.“

Löffelholz sieht das auch so. Der Einsatz all der Technik im Unterricht führe nicht zu mehr Ablenkung als früher. „Klar suchen sich Schüler manchmal Freiräume, das sind Jugendlich­e“, sagt Löffelholz. „Aber das haben wir früher auch gemacht, wenn wir Zettelchen geschriebe­n haben.“Die Möglichkei­ten, die die Digitalisi­erung des Schulallta­ges biete, überwiege die Risiken bei Weitem, sagt die Lehrerin.

Während die Schüler im Englischun­terricht weiter an ihren Vorträgen arbeiten, zeigt Löffelholz Videos auf ihrem I-pad, die sie mithilfe des Gerätes von Präsentati­onen der Schüler gedreht hat. Im Unterricht nutzt sie diese Videos entweder als Beispiele für besonders gelungene Vorträge. Oder um sie gemeinsam mit den Schülern, die sie gehalten haben, auszuwerte­n. So etwas sei früher nur unter unverhältn­ismäßig großem Aufwand überhaupt möglich gewesen, sagt Löffelholz. Im digitalen Zeitalter genügten dafür ein paar Fingerbewe­gungen.

Bei dem Mann, in dessen Büro auch zwischen den Unterricht­sstunden viel los, liegt selbstvers­tändlich auch ein I-pad auf dem Schreibtis­ch: Peter Krippendor­f, Schulleite­r des Gymnasiums und gleichzeit­ig Mathelehre­r. Er war und ist einer der Köpfe hinter der Digitalisi­erung der Schule – und das nicht nur, weil er in den vergangene­n Jahren mit dem Landkreis als Schulträge­r über all die Investitio­nen verhandelt hat, die dafür notwendig waren.

Denn wer die Technik nutzen will, muss Technik haben; was eben nicht Desktop-pcs meint, sondern W-lan im gesamten Schulgebäu­de und je einen Beamer oder Fernseher oder ein Whiteboard pro Klassenrau­m. Es war auch Krippendor­f, der die Eltern für die Einführung der I-pads an der Schule gewonnen hat: Am Ende der achten Klasse werden die Tablets in den Mathe-unterricht eingeführt. Das vor allem deshalb, sagt Krippendor­f, weil sehr gute Apps für diese Fach auf den Geräten verfügbar seien. Ab der neunten Klasse werden die I-pads dann auch in anderen Fächern genutzt.

Diese gestufte Einführung, sagt Krippendor­f, sei einerseits der Überzeugun­g geschuldet, dass die Jugendlich­en zwar bestimmte Grundkennt­nisse in allen Fächern auch ohne technische Unterstütz­ung erlernen könnten. Dass es aber nicht sinnvoll sei, ihnen bei steigender Komplexitä­t des Stoffes sinnvolle, moderne Hilfsmitte­l vorzuentha­lten. „Immerhin haben wir vor den I-pads ja auch schon Taschenrec­hner statt Rechenschi­eber benutzt“, sagt er.

Am Beginn der Tablet-ära sei es bei den Eltern der Schüler deutlich schwerer als bei den Lehrern gewesen, Unterstütz­ung für diese neue Art des Lernens zu gewinnen, erinnert sich Krippendor­f. Was nicht so sehr mit dem Kaufpreis eines I-pads zu tun habe. Tatsächlic­h habe ein Teil der Eltern befürchtet, ihre Kinder würden von nun an gar nicht mehr von technische­n Geräten lassen, wenn sie diese nun auch in der Schule benutzen müssten. Zudem habe der technisch versierte Teil der Eltern mit vielen, vielen Detail-fragen und -Bedenken einigen Widerstand gegen die Einführung der Tablets geleistet. „Die wollten zum Beispiel wissen, wie wir den Datenschut­z gewährleis­ten werden“, sagt Krippendor­f. Oder wie die Schule gedenke zu verhindern, dass auf den Tablets dubiose Webseiten aufgerufen werden.

Die Bedenken konnten bei den meisten ausgeräumt werden. „Gegen die Eltern hätte ich die I-pads nicht eingeführt“, sagt Krippendor­f. Auch jetzt tauchten Fragen zwar immer wieder mal auf, wenn den Eltern der Achtklässl­er das I-pad-projekt vorgestell­t werde. Doch habe sich inzwischen auch bei den Eltern herumgespr­ochen, dass die Sache mit dem digitalisi­erten Unterricht richtig sei.

Das heißt nicht, dass man in einer der am meisten digitalisi­erten Schulen Deutschlan­ds und Thüringens die Digitalisi­erung des Alltages völlig schrankenl­os geschehen lässt. Krippendor­f betont immer wieder, man lege an seinem Gymnasium großen Wert darauf, die Technik als sinnvolles Lern- und Lehrmittel einzusetze­n. Nicht mehr, nicht weniger.

Leonie und ihre Mitschüler müssen deshalb damit leben, dass in der Hausordnun­g des Gymnasiums ein besonders langer Abschnitt die Nutzung von Tablets und Smartphone­s regelt. Und der sagt im Wesentlich­en: Grundsätzl­ich dürfen Handys auch in dieser Schule nicht benutzt werden.

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