Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Im Spinnennetz der Illusionen
Angelika Milster reißt das Publikum in Gera bei „Sunset Boulevard“zu Beifallsstürmen hin
GERA. Dieser „Sunset Boulevard“gehört ganz Angelika Milster. Die Sängerin strahlt und glänzt, ihr fliegen schon beim ersten großen Song die Herzen des Publikums zu. Ihr ist der lauteste und längste Beifall sicher und am Ende gibt es Standing Ovations.
Sicher ist es ein Coup fürs Haus, dass Weltstar Angelika Milster als Norma Desmond in Andrew Lloyd Webbers Musical „Sunset Boulevard“in Gera und Altenburg debütiert. Das beweist aber auch das Renommee, das sich dieses Theater mit Fleiß und Beharrlichkeit erarbeitet hat. „Sunset Boulevard“ist die Geschichte der Hollywood-diva Norma Desmond, groß gemacht von der Traumfabrik und von ihr verstoßen – zuerst erzählt von Billy Wilder in seinem Film „Boulevard der Dämmerung“. „Sunset Boulevard“ist sicher nicht Webbers bekanntestes Musical. Glamouröse Songs gibt es nur für Norma Desmond. Dann kann das Philharmonische Orchester unter Thomas Wicklein den roten Teppich für die Milster ausrollen.
Musikalisch lässt Webber Welten aufeinander treffen. Auf der einen Seite die in Illusionen erstarrte Diva und ihr Butler, auf der anderen die beinharte und schrille Realität der nach Glanz und Ruhm strebenden Komparsen und Wasserträger. Da ist Joe Gillis, der Autor mit den leeren Taschen, dem Kai Wefer nicht nur musikalisch Eleganz verleiht. Da ist Betty Schaefer, die Joes Talent erkennt und ihn ermuntert – Claudia Müller macht aus ihr eine Sympathieträgerin. Da gibt es Joes Freund Artie (Florian Neubauer), Schauspieler, Kameramänner, Sekretärinnen, Agenten, Schuldeneintreiber, Polizisten, Schönheitschirurgen, Masseusen (Chor und Ballett) und die Hollywoodlegende Cecil B. Demille (Ulrich Burdack).
Michael Wallners Inszenierung imaginiert mit Tempo und Witz Bilder, die bekannte Filmbilder aufblitzen lassen. Befeuert wird diese Flut von den Kostümen, mit denen Hilke Förster eine Reise durch die Filmgeschichte unternimmt.
Eine Reise, die mit einem Toten am Pool beginnt. Dass es kein Happy End gibt am „Sunset Boulevard“, kann das Publikum schon ahnen, wenn es die Spinnenfäden auf dem roten Vorhang erblickt. Auf der Bühne dann Spinnenfäden, wohin man schaut, sich vom Bühnenboden in den Himmel schwingende Stolperfallen.
Mit 16 gerät die schöne Norma ins Netz der Traumfabrik und wird ein großer Star. Hollywood hat sie ausgesaugt und ausgespuckt, nun lebt sie verpuppt wie ein zum späteren Verzehr geparktes Insekt in ihrer großen Villa und träumt ... von neuen Höhenflügen. Toll, wie Angelika Milster die ebenso lächerliche wie tragische Norma als komplexen Charakter zeigt. Als junger Regisseur ist Max (Johannes Beck) Normas erster Ehemann geworden, ein großer Liebender auch noch, als er für sie nur noch Butler und Faktotum ist.
Auf der Flucht vor seinen Gläubigern verfängt sich der erfolglose Autor Joe Gillis in Normas reichen, weichen Armen. Er weiß, es gibt kein Comeback für die alte Diva, doch mag er sie und den neuen Luxus noch mehr.
Die hübsche Betty Schaefer arbeitet bei einem Produzenten als Assistentin, will selbst ein Drehbuch schreiben und Joes Freund Artie heiraten. Oder vielleicht doch lieber mit Joe leben und arbeiten, mit dem sie glückliche Stunden beim Schreiben erlebt – diese Schreibstubenzweisamkeit gehört zu den intensivsten Szenen des Abends.
Fängt eine Spinne die Hoffnungen, Träumen und Illusionen dieser Menschen in ihrem Netz oder spinnen sie selbst die Fäden, in denen sie verderben? In all seiner Sperrigkeit öffnet Till Kuhnerts Bühnenbild dem Geraer „Sunset Boulevard“einen feinen Assoziationsraum. Einen Raum, der natürlich der Musik, dem Gesang und vor allem Angelika Milster gehört. Der Star spielt einen Star, die Diva eine Diva, verführerisch, magisch, menschlich.
• Nächste Vorstellungen: Samstag, . Juni, Freitag, . Juni, sowie Donnerstag, Freitag und Samstag, ., . und . Oktober, Sonntag, . November, sowie .