Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Vom Flamingo zum Flamenco
Katja, mit Navi und gelber Warnweste, führt. Dicht hinter ihr Elsbeth, gefolgt von Serge. Unser Ältester lässt seine Frau ungern allein, manchmal fällt er zurück, kämpft sich aber wieder an die Spitze, wo Micha – Vollbart, Shorts und Sandalen – seine Position verteidigt. Aus der Tiefe des Raumes preschen abwechselnd Christina, Anne und Herbert nach vorn. Olaf, der Marathonmann, ist überall und legt manchen Streckenabschnitt gleich zweimal zurück, um sich für den Deutschlandlauf fit zu halten. Aber auch am Ende des Feldes wird hart gegen den inneren Schweinehund gestrampelt.
Wir sausen durch das Rhonedelta, durch die Camargue. Wir sehen Flamingos und wilde Stiere. Dann Louis, der mit dem Picknickwagen unter der Pinie wartet. Wir bremsen, werfen die Helme ab und stürzen uns auf das kalte Büffet. „Salad and chocolat“, ruft Louis, „for my German team!“
Das ist nicht die Tour de France, sondern ihre lebensfrohe Alternative. Zwar radeln auch wir in Etappen durch Frankreich, genauer: von Marseille nach Barcelona, doch uns geht es nicht um gelbe und grüne Trikots. Wir pfeifen auf den Lorbeer, genießen lieber die Kräuter der Provence. Wir, siebzehn Freizeitradler zwischen 30 und 75, lassen uns zwölf Tage Zeit. Der Weg ist das Ziel. Nicht nur die Letzten, alle werden die Ersten sein.
Meer, Sonne, Wein und der Pfad am Canal du Midi entlang. Wahrlich, ich sage Euch, es gibt nichts Schöneres! Ein bisschen Anstrengung ist auch dabei. Die Etappen zwischen 40 und 86 Kilometern, bei Navigationsproblemen auch mal über 90. Und die führen nicht nur auf glatten Straßen und Radwegen entlang, sondern auch über Schotter, Buckelpisten und durchs Schilf. Sogar ein Stück auf alten Bahngleisen entlang, da verliert man seine Schwellenangst.
Seine erste große Tour, erzählt Micha, habe er im Alter von zehn Jahren mit der Mutter und seinen sieben Brüdern gemacht – 1959 von Hamburg in die Schweiz. Die Münsteraner schwärmen von den Radwegen in Thüringen. Alle, höre ich, sind im Sommer per Pedale unterwegs. Die Schweizer radeln, nicht erst seit sie ihre Pension genießen, quasi durch die ganze Welt.
Schon wieder Flamingos! Wie graziös sie herumstaken, ihre langgebogenen Hälse ins Wasser strecken, um nach Fischen und Krabben zu schnäbeln. Erst wenn sie abheben, entfalten sie ihre rosarote Flügelpracht… Für das eine oder andere Foto lasse ich mich gern zurückfallen.
Und der Flamenco?
Vorerst nur als Wandmalerei im katalanischen Hotel. Diese Zeilen schreibe ich aus Perpignan am Morgen des achten Tages. Vor uns die Pyrenäen und 700 Höhenmeter auf den ersten 13 von 64 Tageskilometern. Hola, ihr Tänzerinnen, wir kommen!