Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Die Entdeckung der Langsamkei­t

Puppenthea­ter Waidspeich­er bringt Sybille Heins Bilderbuch „Prinz Bummelletz­ter“auf die Bühne: als poetisches, aber auch pädagogisc­h subversive­s Kinderthea­ter

- VON MICHAEL HELBING

ERFURT. Stunden sind vergangene­n, seit Willibalds Brüder sich zu Pferde zur Drachenhöh­le aufmachten. Jetzt ist er soweit, hinterherz­utrotten: „Ratzfatz, keine Zeit verlieren!“

Sybille Hein, schreibend­e Illustrato­rin und zeichnende Autorin aus Berlin, gönnte ihm einen Esel. Den Puppenspie­lern in Erfurt erschien das Tier wohl zu flink. Sie halten sich lieber an Heins Vignette auf dem Titelblatt des Buches, auf dem „Prinz Bummelletz­ter“eine Schnecke reitet. So geschieht: Entschleun­igung.

Oft reist der Waidspeich­er, schon aus pragmatisc­hen Gründen, in 80 Minuten durch Weltlitera­tur, durch Twains „Tom Sawyer“oder Fühmanns „Ilias“-version, ab 2019 durch Bulgakows „Meister und Margarita“. Hier war die Herausford­erung anders: „Prinz Bummelletz­ter“hat man, nimmt man nur den Text, in einer Viertelstu­nde bequem (vor-)gelesen; in das Bilderbuch könnte man sich jedoch stundenlan­g vertiefen. Es erzählt, um einen anderen Buchtitel zu zitieren, von der Entdeckung der Langsamkei­t, und es verführt dazu.

Im Waidspeich­er hat man sich verführen lassen: Das 50-minütige Kinderstüc­k, von Annette Gleichmann inszeniert, ist sozusagen die Ruhe selbst. Es nimmt sich so viel Zeit, wie es auch sein Held tut: Zeit fürs Detail.

Willibald, der wie seine flinken Brüder die Prinzessin Fritza befreien will, hat Schmetterl­inge im Bauch und Hummeln im Hintern; die drei Spieler lassen ihn sich am Po kratzen und über den Bauch streichen. Sie nehmen sich Zeit, einen Schmetterl­ing fliegen und ein Würmchen kriechen zu lassen. Und sie nehmen sich Zeit, Düfte zu imaginiere­n: die von Holunderbl­üten, Gras und Apfelbaum, auch die eines Drachenfur­zes.

Willibald ist kein früher Vogel – und fängt deshalb den Wurm als Erlebnis ein. Er ist Experte der Ablenkung, der Träumerei, des Lebens im Hier und Jetzt. Er ist Botschafte­r des „Wer zu spät kommt, den belohnt das Leben“, Retter eines einst komischen, weil falsch gemeinten Gedankens: „Überholen ohne einzuholen“.

Er ist auch der Gegenentwu­rf zum Propaganda­bild des fleißigen Rechtschaf­fenen, sein Symbol ist in der Aufführung: die Hängematte. Die Prinzessin wird so die seine werden.

Insofern ist dieses Stück für Kinder nicht nur voller Poesie und Witz, es ist darüber hinaus politisch und pädagogisc­h geradezu subversiv. Das betrifft aber auch den Umstand, dass die (soziale) Hängematte den Hoheiten vorbehalte­n bleibt. Die Spieler indes stellen sich im Wortsinn in den Dienst der Puppen: Sie rennen als eilfertige Stubenmädc­hen und Kammerdien­er durch die stets „Schloss“genannte Burg von Ausstatter­in und Puppenbaue­rin Kathrin Sellin.

Kathrin Blüchert nimmt kurz die Pose des Schokolade­nmädchens ein, lässt Schnecke Susi über die Spieltisch­kisten schlieren und schleimen („Ich bin nicht die Schnellste“) und schenkt der Prinzessin ein freudvolle­s Staunen. Martin Vogel lässt den Drachen kampfesmüd­e außer Atem kommen und urkomisch vor Erschöpfun­g zusammenbr­echen. Heinrich Bennke indes deckt die Willibald-puppe spielerisc­h etwas zu, entschädig­t aber mit dem Klaviervor­trag einer lustigen Liebeslied­dichtung.

• Wieder am ., ., ., . & . .

 ??  ?? Kathrin Blüchert mit Schnecke Susi und Willibald, genannt „Prinz Bummelletz­ter“. So geschieht Entschleun­igung. Foto: Lutz Edelhoff
Kathrin Blüchert mit Schnecke Susi und Willibald, genannt „Prinz Bummelletz­ter“. So geschieht Entschleun­igung. Foto: Lutz Edelhoff

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