Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Die Entdeckung der Langsamkeit
Puppentheater Waidspeicher bringt Sybille Heins Bilderbuch „Prinz Bummelletzter“auf die Bühne: als poetisches, aber auch pädagogisch subversives Kindertheater
ERFURT. Stunden sind vergangenen, seit Willibalds Brüder sich zu Pferde zur Drachenhöhle aufmachten. Jetzt ist er soweit, hinterherzutrotten: „Ratzfatz, keine Zeit verlieren!“
Sybille Hein, schreibende Illustratorin und zeichnende Autorin aus Berlin, gönnte ihm einen Esel. Den Puppenspielern in Erfurt erschien das Tier wohl zu flink. Sie halten sich lieber an Heins Vignette auf dem Titelblatt des Buches, auf dem „Prinz Bummelletzter“eine Schnecke reitet. So geschieht: Entschleunigung.
Oft reist der Waidspeicher, schon aus pragmatischen Gründen, in 80 Minuten durch Weltliteratur, durch Twains „Tom Sawyer“oder Fühmanns „Ilias“-version, ab 2019 durch Bulgakows „Meister und Margarita“. Hier war die Herausforderung anders: „Prinz Bummelletzter“hat man, nimmt man nur den Text, in einer Viertelstunde bequem (vor-)gelesen; in das Bilderbuch könnte man sich jedoch stundenlang vertiefen. Es erzählt, um einen anderen Buchtitel zu zitieren, von der Entdeckung der Langsamkeit, und es verführt dazu.
Im Waidspeicher hat man sich verführen lassen: Das 50-minütige Kinderstück, von Annette Gleichmann inszeniert, ist sozusagen die Ruhe selbst. Es nimmt sich so viel Zeit, wie es auch sein Held tut: Zeit fürs Detail.
Willibald, der wie seine flinken Brüder die Prinzessin Fritza befreien will, hat Schmetterlinge im Bauch und Hummeln im Hintern; die drei Spieler lassen ihn sich am Po kratzen und über den Bauch streichen. Sie nehmen sich Zeit, einen Schmetterling fliegen und ein Würmchen kriechen zu lassen. Und sie nehmen sich Zeit, Düfte zu imaginieren: die von Holunderblüten, Gras und Apfelbaum, auch die eines Drachenfurzes.
Willibald ist kein früher Vogel – und fängt deshalb den Wurm als Erlebnis ein. Er ist Experte der Ablenkung, der Träumerei, des Lebens im Hier und Jetzt. Er ist Botschafter des „Wer zu spät kommt, den belohnt das Leben“, Retter eines einst komischen, weil falsch gemeinten Gedankens: „Überholen ohne einzuholen“.
Er ist auch der Gegenentwurf zum Propagandabild des fleißigen Rechtschaffenen, sein Symbol ist in der Aufführung: die Hängematte. Die Prinzessin wird so die seine werden.
Insofern ist dieses Stück für Kinder nicht nur voller Poesie und Witz, es ist darüber hinaus politisch und pädagogisch geradezu subversiv. Das betrifft aber auch den Umstand, dass die (soziale) Hängematte den Hoheiten vorbehalten bleibt. Die Spieler indes stellen sich im Wortsinn in den Dienst der Puppen: Sie rennen als eilfertige Stubenmädchen und Kammerdiener durch die stets „Schloss“genannte Burg von Ausstatterin und Puppenbauerin Kathrin Sellin.
Kathrin Blüchert nimmt kurz die Pose des Schokoladenmädchens ein, lässt Schnecke Susi über die Spieltischkisten schlieren und schleimen („Ich bin nicht die Schnellste“) und schenkt der Prinzessin ein freudvolles Staunen. Martin Vogel lässt den Drachen kampfesmüde außer Atem kommen und urkomisch vor Erschöpfung zusammenbrechen. Heinrich Bennke indes deckt die Willibald-puppe spielerisch etwas zu, entschädigt aber mit dem Klaviervortrag einer lustigen Liebeslieddichtung.
• Wieder am ., ., ., . & . .