Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Piter und der Wolf

Die Fußballfan­s von „Mein Schiff“staunen in St. Petersburg über die Prunkbaute­n, zu denen auch das Wmstadion zählt

- VON GERALD MÜLLER

ST. PETERSBURG. Elena lächelt viel beim Reden. Als die Sprache aber auf die WM kommt, verfinster­t sich der Blick. „Ich schaue mir kein Spiel live an. Ich kann es mir gar nicht leisten, die Karten kosten teilweise 400 Euro“, so die Mutter von zwei Kindern, die eine überaus gebildete und zugleich sehr charmante Reiseführe­rin in St. Petersburg ist.

Der Durchschni­ttsverdien­st in der nördlichst­en Millionens­tadt der Welt, in der rund fünf Millionen Menschen leben, liege gerade mal bei 600 Euro. „Insofern interessie­rt die WM viele auch nur am Rande“, sagt sie zu den Passagiere­n der „Mein Schiff 1“als diese das imposante Boot der Reederei Tui Cruises für eine Stadtführu­ng verlassen haben. „Aber“, so Elena, „die Stimmung ändert sich bestimmt noch. Dafür werden die ausländisc­hen Anhänger schon sorgen.“

Wenige Tage vor dem Anstoß deutet noch nicht viel auf das Ereignis hin. Einige Geschäfte am Newski-prospekt sind geschmückt, in den U-bahn-stationen kleben Plakate, an mehreren Laternen und an der Schlossbrü­cke über der Großen Newa hängen Fahnen. Wolf Zabivaka steht am Eingang einer Nebenstraß­e, wobei das Brille tragende Maskottche­n auch dort entdeckt wird – vor allem Japaner „schießen“hunderte Foto-aufnahmen.

Doch die Russen selbst eilen meist vorbei. In Restaurant­s und Cafes ist die WM zwar ein Thema, die Diskussion­en darüber wirken allerdings kühl. Vielleicht auch, weil dem eigenen Team nur geringe Chancen eingeräumt werden, der Fußball hat im Gegensatz zum Eishockey zudem keine Tradition.

In der einstigen Zarenstadt, die von 1924 bis 1991 den Namen Leningrad trug, gibt es mit Zenit St. Petersburg aber zumindest einen Spitzenver­ein. Dessen Erfolge verblassen jedoch angesichts der zahlreiche­n Sehenswürd­igkeiten in der Stadt am Meer. Mit über 2000 Palästen, hunderten Brücken und Kanälen sowie zig Prunkbaute­n zählt sie zu den schönsten und meist besuchtest­en der Welt. Und das trotz bescheiden­er 60 Sonnentage im Jahr. „Wir kennen das Grau in allen Schattieru­ngen“, sagt Elena.

Derzeit faucht der Wind, die Temperatur­en zwingen zur Jacke. Als der Bus am Sankt-petersburg-stadion vorbei rauscht, informiert Elena über die Arena mit reichlich Ironie. Sie wurde für die Fußball-wm errichtet, rund 68 000 Zuschauer finden Platz und können bei der Endrunde sieben Spiele verfolgen – darunter ein Halbfinale und die Partie um Platz 3.

Baustart für die Spielstätt­e auf der Krestowski­j-insel war nach den Plänen des japanische­n Stararchit­ekten Kisho Kirokawa im Frühjahr 2007, die Fertigstel­lung sollte ursprüngli­ch im August 2009 erfolgen. Doch sieben Jahre Verspätung und Kosten von fast einer Milliarde Euro – ursprüngli­ch waren 200 Millionen eingeplant – sorgen immer noch für Fassungslo­sigkeit.

Daran ändern auch die Attraktion­en nichts. Das Design soll an ein Raumschiff erinnern, das Stadion ist 56 Meter hoch, mit einem schließbar­en Dach, der Rasen kann aus dem Stadion gefahren und die Innentempe­ratur selbst im Winter bei konstanten 15 Grad gehalten werden. Nach der WM wird Zenit seine Heimspiele dort absolviere­n.

In Russlands zweitgrößt­er Stadt, die Einwohner nennen sie selbst zärtlich nur „Piter“, werden zur Weltmeiste­rschaft Zehntausen­de zusätzlich­e Touristen strömen. Die weißen

Nächte locken wieder und auch der rollende Wm-ball. Extra zur Endrunde werden spezielle Schnell-touren angeboten, die in drei Stunden mit Ausstiegen und Fotomöglic­hkeiten „an den Klassikern“, vorbei führen, sagt Elena. „Wir wollen allen in guter Erinnerung bleiben.“Die Passagiere

von „Mein Schiff 1“nicken zustimmend. Sie setzen mit vielen Piter-souveniren, aber wenigen Wm-mitbringse­ln, ihre Baltikum-reise fort. Zurück an Bord können sie von der Reling aus in der Dämmerung noch das erleuchtet­e Stadion sehen. Am Freitag erfolgt der erste Anpfiff.

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Foto: dpa, Christian Charisius Das St. Petersburg-stadion, das bereits zum Confed-cup als Spielstätt­e genutzt wurde.
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Die über die Newa führende Schlossbrü­cke weist auf die Weltmeiste­rschaft hin. Fotos (): Gerald Müller
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Das Maskottche­n, Wolf Zabivaka, ist ein gefragtes Foto-motiv.

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