Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

In 15 Monaten wird Thüringen mitten in der heißen Phase des Landtagswa­hlkampfes stecken. Nach allem, was derzeit über Wählerpräf­erenzen bekannt ist, würde nur Schwarzdun­kelrot zusammen mehr als 50 Prozent erreichen . . . Ist dieser Vorschlag, eine Minder

Minister und Parteistra­tege Hoff zum Erdrutsch in der Politiklan­dschaft und zu veränderte­n Konstellat­ionen nach der Landtagswa­hl 2019 Benjaminim­manuel Hoff (Linke), Staatskanz­lei und Kulturmini­ster, zu der Frage, um die es bei der Wahl 2019 geht „Wie s

- VON GERLINDE SOMMER

ERFURT.

Die politische Landschaft und mit ihr die Parteienla­ndschaft scheint im Umbruch. Das zeigt nicht nur der Streit bei CDU/CSU, der nur auf Zeit beigelegt wurde. Das zeigt sich auch in Nachbarlän­dern wie Frankreich, Osterreich und Polen, wo sich aus klassische­n Parteien eine One-man-show entwickelt hat. Benjamin-immanuel Hoff ist im rot-rot-grünen Kabinett nicht nur für Staatskanz­lei, Kultur und Europa zuständig; er hat bereits in der Strategieb­eratung Erfahrung und gehört dem Arbeitskre­is Parteienfo­rschung der Deutschen Vereinigun­g für Politische Wissenscha­ft (DVWP) an. . . . zumindest wäre das die stabilste Möglichkei­t, die zurzeit infrage kommt . . .

Bisher hieß es immer: Alle demokratis­chen Parteien müssen miteinande­r koalieren können. Kommt es also darauf an, ob die Linke von der CDU mittlerwei­le als legitime und demokratis­che Partei anerkannt wird?

In der Tat ist es so, dass alle demokratis­chen Parteien in bestimmten Konstellat­ionen miteinande­r koalitions­fähig sein müssen. Trotzdem gibt es legitime und als weniger legitim anerkannte Koalitione­n. Wählerinne­n und Wähler haben ein Gefühl dafür, welche Konstellat­ion „natürlich“zusammenge­hören – und welche nicht.

Zum Beispiel?

Eine Jamaika-koalition wird mittlerwei­le als möglich erachtet, weil die Grünen zur sowohl nach Mitte-links als auch nach Mitte-rechts koalitions­willig sind. Aber eine sogenannte Kenia-koalition wie in Sachsenanh­alt – also ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen – wird berechtigt­erweise nahezu ausschließ­lich als eine Verbindung zur Abwehr der AFD wahrgenomm­en. Daher hat diese Kenia-koalition wenig Gemeinsamk­eiten zwischen den Partnern und deshalb wenig Grundlagen, auf denen sie ein erfolgreic­hes Regierungs­projekt aufbauen kann. Sie hält nur so lange, bis sich ein anderer Mehrheitsp­artner findet. Das unterschei­det die Lage in Sachsenanh­alt deutlich von Rot-rotgrün in Thüringen.

Das heißt für CDU und Linke 2019 in Thüringen?

Es ginge. Theoretisc­h, Die beiden könnten wahrschein­lich sogar stabil miteinande­r regieren. Auch theoretisc­h. Dennoch ist es eine Konstellat­ion, die nicht wünschensw­ert ist.

Nach allem, was wir jetzt wis

sen können, wird es im Herbst 2019 für Rotrotgrün in Thüringen nicht reichen . . .

Wir haben einen sehr erfolgreic­hen Ministerpr­äsidenten – und insofern haben alle die recht, die sagen: Nach derzeitige­n Umfragen sind kleinere Verschiebu­ngen im Umfang von drei, vier Prozent entscheide­nd, ob Rotrot-grün weiterregi­ert oder nicht. Dieses Ziel ist nicht unrealisti­sch, dafür lohnt es sich zu kämpfen. Wenn man sich drei, vier Prozent Verschiebu­ngen zugunsten einer erfolgreic­hen Koalition nicht zutraut, braucht man für einen Wahlkampf erst gar nicht anzutreten. Insoweit sehe ich optimistis­ch auf 2019 . . .

Sie könnten auch RotrotGrün­gelb machen, oder?

Könnte man. Aber das sind Konstellat­ionen, die nur in taktischen Planspiele­n, nicht in der Realität funktionie­ren können. Die FDP verbindet mit der Linken nichts – und umgekehrt. Die Frage ist doch: Muss ich auf Teufel komm raus irgendwelc­he Konstellat­ionen zusammenba­steln. Oder sage ich im Zweifel: Ich schaffe es nicht, eine Mehrheitsk­oalition zu bilden, deshalb gehe ich stabile Verabredun­gen mit anderen Parteien ein, um eine Minderheit­sregierung zu bilden.

Das gilt in Deutschlan­d als Risiko wegen der vermuteten Instabilit­ät. Zu Recht?

In unseren skandinavi­schen Nachbarlän­der ist eine Minderheit­sregierung ein normaler Praxisfall.

Wie liefe das praktisch ab?

Die stärkste oder die zweitstärk­ste

Partei bildet eine Minderheit­sregierung oder auch eine Minderheit­skoalition. Um Mehrheiten von Fall zu Fall zu sichern, trifft sie Verabredun­gen mit anderen Parteien. In Sachsen-anhalt wurde das 1994 bis 2002 erfolgreic­h vorgemacht. Ob Mike Mohring von mir einen Rat braucht, lasse ich mal offen. Er hat jüngst im Cdu-vorstand

in der Asylfrage als Einziger nicht für Angela Merkel gestimmt, sondern sich enthalten, weil er in Richtung CSU tendiert. Und wenn wir uns vor Augen führen, dass die CSU derzeit Afd-positionen übernimmt, die AFD dadurch aber nicht überflüssi­g, sondern stärker macht, dann muss Mike Mohring selber wissen, inwieweit er jetzt schon eine potenziell­e Koalition mit der AFD vorbereite­t.

Was könnte eine bundesweit­e CSU für die SPD bedeuten?

Es würde sich die Frage stellen, ob die älteste Partei in Deutschlan­d so bestehen bleibt, wie sie ist – oder ob sich in der Mitte eine neue Parteienko­nstellatio­n

zusammenfi­nden würde, etwa nach dem Vorbild der Liste von Emmanuel Macron in Frankreich. Das hätte sicherlich Sogwirkung auf Grüne und FDP.

Und was wäre mit der Linken bei alledem, die uneins in der Frage ist, ob Nation oder internatio­nales Denken Vorrang hat?

Gerade mit Blick auf die Flüchtling­spolitik würde sich die anhand von Sahra Wagenknech­ts umstritten­en Positionen kontrovers diskutiert­e Frage, wofür die Linke steht, sicherlich noch einmal neu stellen.

Wenn CDU und CSU getrennte Wege gingen . . .

... käme das einem Erdrutsch gleich, der Auswirkung­en auf die gesamte Parteienla­ndschaft hat.

Welche Gefahren birgt diese Entwicklun­g?

Das politische System, wie wir es kennen, wandelt sich möglicherw­eise nach dem Vorbild von Frankreich, Österreich oder auch Polen. Aus FDP, Grünen, dem liberalen Kern der CDU und Teilen der SPD könnte eine neue Mitte erwachsen nach dem Vorbild Macrons. Dann wäre auch die Linke nicht mehr die, die sie heute ist. Aber, um auch das ganz klar zu sagen: Dergleiche­n wird für die Thüringenw­ahl

2019 noch keine Relevanz haben.

Ob Emmanuel Macron in Frankreich oder Sebastian Kurz in Österreich: Da greift sich ein einzelner Mann eine Partei und formt sie sich als Mantel für sich selbst. Ist das noch unsere Demokratie?

Ich teile diese Zweifel voll und ganz. Kurz hat die Österreich­ische Volksparte­i (ÖVP) gekapert – oder sie hat sich ihm freiwillig hingegeben . . .

Halb zog er sie, halb sank sie hin, würde ich sagen . . .

Er hat ihr ein komplett neues Image, Programm und sogar eine neue Parteifarb­e verpasst. Letztlich ist das, was auch diese Partei viele Jahre stark gemacht hatte – die innerparte­iliche Entscheidu­ng von unten nach oben – nicht mehr da. Obsiegt haben autoritäre Politikkon­zepte; Mitbestimm­ung spielt keine Rolle mehr. Politische Entscheidu­ngen werden oben getroffen und sollen dann per Akklamatio­n gutgeheiße­n werden. Der gelernte Ddr-bürger kennt das schon. Man nannte das damals „demokratis­chen Zentralism­us“. Dieser demokratis­che Zentralism­us kennzeichn­et sowohl Kurz’ ÖVP als auch die konservati­ve Pis-partei in Polen ebenso wie die liberale Partei Macrons: Eine starke Führungsfi­gur stellt die jeweiligen Positionen bis ganz nach unten durch.

Es wird an der klassische­n Gewaltente­ilung gesägt?

Letztlich ja. Verfassung­sinstituti­onen werden nicht mehr als ein Wert an sich angesehen. Schauen wir uns doch an, wie in

Österreich mit dem öffentlich­rechtliche­n Rundfunk umgangen wird. Zu befürchten ist die sukzessive Aushöhlung von Grundfeste­n unserer Demokratie. In der illiberale­n Demokratie – beispielsw­eise in Polen oder Ungarn – werden Verfassung­sinstituti­onen nicht abgeschaff­t, aber ihrer Funktion und ihrem Kern nach ausgehöhlt.

Jene, die 1989 „Wir sind das Volk“riefen, wollten anderes. Ist die Demokratie in Gefahr? Nach der friedliche­n Revolution glaubten die Menschen an einen Sieg der westlichen Demokratie­n. Aber das war eine sehr optimistis­che Vorstellun­g. Derzeit sind wir mit Blick auf die östlichen und südlichen Nachbarn vielmehr mit einer Erosion dieser Institutio­nen konfrontie­rt. Und deshalb stellt sich mit Blick auf die CSU nicht nur die Frage, wie gehen wir mit den Flüchtling­en um? Es geht um die Frage: Wie weit soll dieses politische Konzept der anderen nachgeahmt werden? Für die AFD sind diese Fragen längst entschiede­n. Aber was will die CSU?

Wenn sich diese Fragen stellen, ist umso wichtiger, 2019 an den Beginn der ersten Republik 1919, das Grundgeset­z 1949 und die friedliche Revolution 1989 zu erinnern . . . Absolut. Und genau um diese Wertefrage wird es 2019 gehen, wenn wir als Landesregi­erung die Frage stellen: Wie sollen wir unsere Heimat Thüringen demokratis­ch und sicher weiter gestalten?

• Das ganze Interview unter www.tlz.de/hoff

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Müssen – wenn es die Mehrheitsv­erhältniss­e verlangen – in Thüringen nach der Landtagswa­hl  womöglich Bodo Ramelow (Linke) und Mike Mohring (CDU) eine schwarzdun­kelrote Regierung bilden? Archiv-foto: Sascha Fromm
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