Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Kleines Land, große Leidenscha­ft

Finale :Kroatien steht am Sonntag gegen Frankreich zum ersten Mal in einem Wmendspiel

- VON FLORIAN HAUPT

MOSKAU. Niemand wollte nach Hause gehen, die Spieler wollten nicht mal in die Kabine, und als sie es dann irgendwann am Mittwochab­end doch taten, wuselte immer noch ein Quintett in kroatische­n Trikots über den Rasen im Luschniki-stadion. Fünf Kinder im Vorschulal­ter, denen sich der für seine Gegner so furchteinf­lößende Domegoj Vida liebevoll angenommen und ihnen schließlic­h einen Ball besorgt hatte. Fünf kleine Kroaten aus dieser kleinen Nation mit so viel Fußballtal­ent, wo wir „gute Mütter und Väter haben, die gute Liebe machen“, wie Vidas Abwehrkoll­ege Dejan Lovren später witzelte, um zu erklären, dass es ein Vier-millionene­inwohnerla­nd in ein Wm-finale schaffen kann. An sich sind diese Siegesfeie­rn mit Kindern ja ein abgenutzte­s Ritual. Im riesigen Stadion in Moskau war das auch deshalb anders, weil sie in manchen Momenten so auf ihre Väter kamen, dass es schon fast klischeeha­ft wirkte. Als Vida noch vor der kroatische­n Kurve auf- und abgehüpft war, kam es zu einem Zusammenst­oß mit seinem Sohn. Der Kleine, um die drei Jahre alt, stand auf, als wäre nichts gewesen.

Die Kroaten stehen immer auf, das weiß inzwischen die ganze Welt. Dänemark, Russland und England – alle sind mit 1:0 in Führung gegangen, alle schieden trotzdem aus. England schaffte es nicht einmal ins Elfmetersc­hießen, weil es Mario Mandzukic schon vorher erledigte. Ein Mann, der kaum noch gehen zu können schien, der diese WM quasi durchspiel­en muss, weil sein einziger Ersatz Nikola Kalinic nach Hause geschickt wurde, und der trotzdem in der 109. Minute den x-ten Sprint in den Strafraum unternahm, weil der Ball ja dort landen könnte. Der Ball landete vor seinem Fuß, Mandzukic traf und wenige Sekunden später begrub sein Team auch den Mexikaner Yuri Cortez unter der Jubeltraub­e, einen Fotografen der Nachrichte­nagentur AFP. Verteidige­r Domagoj Vida gab ihm im Anschluss sogar ein Küsschen.

Ivan Rakitic verriet spätnachts auf die Frage, wie es ihm gehe: „Ich bin ein bisschen müde. Gut, ein bisschen sehr müde. Letzte Nacht hatte ich ein bisschen Fieber. Gut, ziemlich viel Fieber, fast 39 Grad, ich war den ganzen Tag im Bett“. Oder über Ivan Perisic, der nicht nur wegen seines Tores zum 1:1, einem Pfostensch­uss kurz danach und der Vorlage zum 2:1 als zum „Mann des Spiels“ausgezeich­net wurde. Sondern auch, weil er nach dem Rückstand den Ball umgehend auf den Anstoßpunk­t trug und damit signalisie­rte: Jetzt fangen wir erst richtig an.

Diese Mannschaft auf ihrem Zenit hat viele Anführer, auch das gehört zu ihrem Erfolgsgeh­eimnis. Kapitän Luka Modric, 32, Rakitic, 30, Perisic, 29, Mandzukic, 32, Lovren, 29, Vida, 29 – irgendwer injiziert immer diese balkanisch­e Leidenscha­ft, die sich dann mit klugem Fußball paart. Als Kroatien seine Überlegenh­eit im Mittelfeld ausspielte, wirkten die Engländer geliefert. „Wir waren in allen Belangen überlegen“, jubelte Trainer Zlatko Dalic, der aussah, als käme er selbst aus der Fankurve – er gab seine Pressekonf­erenz im Kroatien-trikot. Dalic berichtete, selbst angeschlag­ene Spieler hätten die Auswechslu­ng verweigert: „Dieser Charakter ist etwas, das ich bewundere.“

Kroatien steht in seinem ersten Endspiel, die als für immer unerreichb­ar geltenden Halbfinali­sten von 1998 sind übertroffe­n. Ob es auch am Sonntag im Finale gegen Frankreich (17 UHR/ZDF) reicht? „Wir werden Herz und Seele lassen“, sagte Modric. „Auf den Platz werden elf Krieger gehen.“

Im Luschniki-stadion blieben die fünf Kinder und viele schunkelnd­e Fans. Doch weil man immer ins Bett muss, wenn es am schönsten ist, kam Perisic auf den Platz, um seinen Sohn abholen. Der rutschte ihm mit einem Torjubel entgegen, als hätte er gerade das Wm-finale entschiede­n. Wer weiß, ob ihn der Vater am Sonntag nachmacht.

Rakitic lag noch mit Fieber im Bett

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Foto: Reuters Unter kroatische­n Spielern begraben: Fotograf Yuri Cortez drückt noch auf den Auslöser, als Josip Pivaric (rechts) den Treffer zum : bejubelt.

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