Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
„Völlig freie Hand, um vieles auszuprobieren“
Der scheidende Kunstfestchef Christian Holtzhauer über die Frühphase des Bauhauses, Kulturgeschichte und die Zukunft des Weimarer Veranstaltungsreigens
WEIMAR. Morgen beginnt das fünfte und letzte Weimarer Kunstfest, das Christian Holtzhauer als Künstlerischer Leiter kuratiert – diesmal mit einem thematischen Bauhaus-schwerpunkt. Am 1. September tritt der 44-jährige Dramaturg sein neues Amt als Schauspiel-intendant und als Künstlerischer Leiter der Schillertage am Nationaltheater Mannheim an. Wir blicken auf fünf Weimarer Jahre zurück – und auf drei Wochen voraus.
Überwiegt bei Ihnen die Wehmut über den bevorstehenden Abschied oder die Vorfreude aufs letzte Kunstfest?
So kurz vor Festivalbeginn überwiegen klar die Vorfreude, die Aufregung und die Neugierde auf 17 spannende Festivaltage. Für Abschiedsschmerzen und Wehmut ist dann noch Zeit.
Wenn Sie an diesem Kunstfest schon nicht mehr beteiligt wären und Ihnen, kämen Sie als Besucher, eine Muse drei Freikarten verspräche: Welche Veranstaltungen würden Sie auswählen?
Die Frage martert mich. Denn die Herausforderung für die Besucher beim Kunstfest liegt ja darin, sich treiben zu lassen, zu experimentieren, vermeintlich Beiläufiges aufzuschnappen und sich von all der Vielfalt überraschen zu lassen. Ich würde auf jeden Fall eines der internationalen Gastspiele ansehen, zum Beispiel der belgischen Choreografin Lisbeth Gruwez oder der holländischen Compagnie Wild Vlees, ich würde mir nicht das Schauspielerinnenfest bei „Macbeth“mit Corinna Harfouch und Susanne Wolff entgehen lassen und mich in die Nietzsche-gedächtnishalle zu „Funkhaus Weimar“, einer Spurensuche durch die Geistesgeschichte der letzten 100 Jahre, auf den Weg machen. Ich würde ein Auge auf die Kunst im öffentlichen Raum haben und mir die Ausstellung „Wie das Bauhaus nach Weimar kam“ansehen.
Aha. Da kommt das Stichwort! Aber Sie feiern das Bauhaus ein Jahr zu früh!?
Lieber zu früh als zu spät, oder? Wer will denn im August 2019 das Wort „Bauhaus“noch hören? Wir kümmern uns um die Frühphase und die Gründung des Bauhauses, die ihre Umstände in der gesellschaftlichen und politischen Situation 1918/ 1919, dem Kriegsende und Zusammenbruch des Kaiserreichs, hatte. In dieses Vakuum hinein wurde eine Kunstschule neuen Typs gegründet, und viele Künstler und Intellektuelle glaubten allen Ernstes, durch Mittel der Kunst die Gesellschaft wieder ins Gleichgewicht bringen zu können. Dieses frühe, Weimarer Bauhaus hat ja nur wenig mit dem Bauhaus zu tun, wie wir es heute wahrnehmen. Dieses Experimentierlabor und der Glaube seiner Protagonisten, den Menschen durch Kunst besser machen zu können, interessiert uns.
Das industrielle Bauhaus wird aber schon im Manifest von 1923 programmiert – auch wenn man dessen Auswirkungen erst in Dessau ab 1925 richtig sieht.
Das stimmt. Nur viel spannender ist doch die Ankunft des Bauhauses: die Ideen, die man damals ventilierte, die Atmosphäre, das Pathos der Gründer.
Beispiele bitte!
Die große, dreiteilige Ausstellung soll Kulturgeschichte und Kunst an drei ungewöhnlichen Orten verbinden. Wir bauen Objekte nach, die in dieser Zeit entstanden sind, und zeigen Dokumente, die zum Teil an Absurdität und Obskurität schwer zu überbieten sind. Auch das Wetter während der Bauhaus-gründung – in dieser Zeit extremer gesellschaftlicher Überhitzung – spielt eine Rolle. Bis hin zum Seiltänzer und Hochstapler – zwei Symptomen dieser Zeit.
Fühlen Sie sich mit dem Kunstfest als geistige Enkel der Bauhäusler?
Aber gern. Vieles davon trifft auf uns genauso zu. Das Experiment, die Lust auf Neues, das Pathos, eine gewisse Selbstüberschätzung und auch der prekäre Balance-akt von Seiltänzern.
Sie meinen im Wirtschaftlichen? Wie ist‘s denn mit dem Geld?
Ich halte es für eine Errungenschaft, dass das Kunstfest finanziell bis 2024 gesichert ist. Dafür sorgt der Kulturstadtvertrag. Dass die Förderung des Kunstfests seit 2004 stagniert, ist allerdings
ein Problem, das wir auf der Ebene des Programms und zunehmend auch auf der des Personals zu spüren bekommen. Um das Programm anbieten zu können, das auch überregional vom Kunstfest erwartet wird, bräuchte es eine Etat-erhöhung.
Wie viel?
Wenn man den Etat jetzt um 20 Prozent, also etwa 200 000 Euro, erhöhte, käme man wieder in der Lage an, in der meine Vorgängerin Nike Wagner 2004 begonnen hat. Will man mehr Programm,
braucht es mehr Geld. Schön wär‘s, wenns mehr gäbe!
Leistet denn das Kunstfest ökonomisch, was die Kaufleute von ihm erwarten?
Etwa die Hälfte unseres Publikums kommt nicht aus Weimar und der näheren Umgebung. Wo die Leute schlafen und was sie hier konsumieren, weiß ich nicht. Wir verfolgen nicht in erster Linie wirtschaftliche Ziele, sondern künstlerische. Mit dem Geld sind wir zurecht gekommen, aber wir schauen auf die künstlerischen Erträge. Wir beweisen, dass Weimar kein Museum ist, sondern nach wie vor überregional Impulse setzen kann. Und so viel ist sicher: Für die Stadt geht die Rechnung auch wirtschaftlich auf.
Ziehen wir eine Zwischenbilanz nach vier Kunstfesten: Was rechnen Sie sich zugute?
Als erstes die bunte Vielfalt des Publikums, das sehr heterogen ist. Das Kunstfest wird in der Stadt breiter akzeptiert als zuvor; trotzdem kommen viele Gäste von außerhalb – trotz provokanter Themen wie „100 Jahre Kommunismus“2017. Was mich persönlich am meisten interessiert hat, ist, wie heutige Künstler sich mit deutscher Geschichte, mit der Welt- wie mit der Weimarer Geschichte auseinandersetzen. Zum Beispiel in „Adolf Hitlers ,Mein Kampf‘“von Rimini Protokoll, Frederic Rzewskis „Triumph des Todes“, „Ganesha gegen das Dritte Reich“oder der „Weltkarte des Kommunismus“des chinesischen Künstlers Dai Hua. Da wäre einiges zu nennen, das auch überregional diskutiert wurde.
Und der Künstlergarten als soziale Skulptur?
Ja – das ist ein Ort, der Begegnungen schafft zwischen Menschen, die sonst einander sicher nicht träfen. Wie an einem Lagerfeuer kommt man zusammen und erzählt, was man den Tag über erlebt und was einen bewegt hat. Letztlich ist das die Ursituation, die uns Menschen zum Geschichtenerzählen und -spielen animiert. Und zwar nicht im Digitalen, sondern von Angesicht zu Angesicht.
Gab‘s Missgriffe? Wo sind Sie gescheitert?
Bei den beiden Afghanistan-projekten ist es zwar nach vielen Anstrengungen geglückt, die Künstler nach Deutschland zu bringen; die Ergebnisse sind bei „Kula“und „Malalai“hinter den Erwartungen geblieben. Das war ein Anfang, da wird das DNT jetzt weitermachen. Interessant fand ich den Umgang mit dem Publikum in Oliver Frljics „Unsere Gewalt und eure Gewalt“, aber künstlerisch hat der Regisseur die hohe Messlatte unterlaufen. So etwas passiert, das ist das Risiko in der Kunst wie im Leben.
Was wird Ihnen die Zeit in Weimar am Ende bedeuten?
Ich hatte völlig freie Hand und die Möglichkeit, vieles auszuprobieren. Dafür bin ich dankbar.
• Zur Eröffnung des Kunstfests am morgigen Freitag, . August, Uhr, entführt bei freiem Eintritt das französische Straßentheater Transe Express das Publikum auf dem Platz der Demokratie in eine Welt voller Akrobatik, Poesie und Fantasie. Infos und Karten für die Veranstaltungen bis Sonntag, . September, unter: www.kunstfest-weimar.de