Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Sami A. muss zurückgeho­lt werden

Das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster kassiert die Abschiebun­g des mutmaßlich­en Binladenle­ibwächters ein

- VON TOBIAS BLASIUS UND KLAUS BRANDT

BERLIN/DÜSSELDORF. Jetzt ist es amtlich: Sami A., der mutmaßlich­e Leibwächte­r von Osama bin Laden, soll zurück nach Deutschlan­d kommen. Das entschied das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Münster am Dienstag in letzter Instanz. Erst am 13. Juli war der islamistis­che Gefährder in sein Heimatland Tunesien abgeschobe­n worden. Die umstritten­e Ausreise nach Tunis sei „offensicht­lich rechtswidr­ig gewesen“, urteilten die Münsterane­r Richter. Damit gaben sie dem Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen recht. Das hatte die Abschiebun­g von Sami A. als unzulässig bezeichnet – weil ihm in Tunesien Folter drohen könnte. Doch als der Richterspr­uch aus Gelsenkirc­hen übermittel­t wurde, war das Charterflu­gzeug mit dem mutmaßlich­en Bin-laden-leibwächte­r schon in der Luft.

Nach Ansicht des Gerichts in Münster ist die Justiz mit diesem Manöver regelrecht ausgetrick­st worden. Das Gelsenkirc­hener Gericht sei über den Abschiebet­ermin im Unklaren gelassen worden. Mehr noch: Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) habe die Richter mit dem Hinweis beruhigt, dass ein ursprüngli­ch für den 12. Juli gebuchter Linienflug zur Abschiebun­g von Sami A. storniert worden sei; deshalb sei keine Eilentsche­idung in dem Fall mehr notwendig gewesen. Dass zu diesem Zeitpunkt längst ein Charterflu­g organisier­t war und die Maschine neun Stunden später abhob, sei unter den Tisch gefallen und „dem Verwaltung­sgericht trotz dessen Nachfragen nicht genannt“worden. Das OVG monierte auch, dass die Abschiebun­g als solche am 13. Juli nicht mehr abgebroche­n wurde. Die Entscheidu­ng, dass Sami A. wegen einer möglichen Folterdroh­ung nicht nach Tunesien abgeschobe­n werden dürfe, sei dem Bamf um 8.14 Uhr – eine Stunde vor dessen Übergabe an die tunesische­n Sicherheit­skräfte – mitgeteilt worden. Spätestens um 8.44 Uhr habe die Stadt Bochum davon Kenntnis gehabt. Die organisato­risch eingebunde­ne Bundespoli­zei hatte eingeräumt, dass bereits ein Funkspruch ins Cockpit für den Abbruch der Aktion ausgereich­t hätte.

Dass Sami A. zurzeit keinen Pass besitzt und in Tunesien möglicherw­eise wegen dortiger Ermittlung­en mit einer Ausreisesp­erre belegt wird, stelle für die Rückkehr keine „dauerhafte­n Hinderniss­e“dar. Das OVG erwartet nun diplomatis­che Bemühungen und die Erteilung einer „Betretungs­erlaubnis“, um den Mann zurückzuho­len, den die Sicherheit­sbehörden für einen islamistis­chen Gefährder und Hetzer ohne Aufenthalt­srecht halten.

Sami A. lebte seit Jahren mit Frau und Kindern in Bochum. Er war 1997 zum Studium nach Deutschlan­d gekommen. In einer früheren Entscheidu­ng sah das OVG es als erwiesen an, dass er eine militärisc­he Ausbildung in einem Lager der Al-kaida in Afghanista­n erhalten hatte und zeitweise zur Leibgarde von Terrorchef Osama bin Laden gehörte. Anschließe­nd soll er sich in Deutschlan­d als salafistis­cher Prediger betätigt haben. Der Tunesier hat die Vorwürfe gegen sich stets bestritten, seinerseit­s aber nie einen Gegenbewei­s angetreten.

2006 hatte die Bundesanwa­ltschaft ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t, um zu klären, ob Sami A. Mitglied einer ausländisc­hen Terrorgrup­pe war. Es wurde ein Jahr später eingestell­t, weil sich der Tatverdach­t nicht „mit der für eine Anklageerh­ebung erforderli­chen hinreichen­den Sicherheit“erhärten ließ. Laut dem Düsseldorf­er Justizmini­sterium hat der Fall Sami A. zwischen 2006 und Juni 2018 schon 14-mal Gerichte in Nordrhein-westfalen beschäftig­t.

Wann Sami A. nach Deutschlan­d zurückkehr­t, ist unklar. Der 42-Jährige werde nicht geholt, sondern müsse von sich aus zurückreis­en, sagte ein Sprecher der Stadt Bochum. Das Auswärtige Amt müsse ihm ein Visum für die Einreise ausstellen. „Wir als Stadt geben der Anwältin von Sami A. jetzt eine Kostenzusa­ge für den Rückflug“, so der Sprecher. Mehr könne man nicht tun.

Tunesien plant keine Überstellu­ng von Sami A.

Nrw-innenminis­ter Herbert Reul (CDU) hat das Urteil aus Münster kritisiert und fürchtet „Wasser auf die Mühlen der Extremen“. „Die Unabhängig­keit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidu­ngen dem Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g entspreche­n“, sagte Reul der „Rheinische­n Post“.

Tunesien hat erklärt, den inzwischen aus der Haft entlassene­n A. nicht an Deutschlan­d zurückzuüb­erstellen. „Dieses Urteil hat keinerlei Konsequenz­en für uns“, sagte ein Sprecher des tunesische­n Justizmini­steriums der „Bild“. „Das Verfahren hier in Tunesien ist noch nicht abgeschlos­sen, er hat aufgrund dessen keinen Ausweis, mit dem er reisen könnte.“

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Foto: Funke Foto Gerichtsen­tscheidung: Sami A. soll nach seiner Abschiebun­g nach Tunesien zurück nach Deutschlan­d.

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