Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Wackelzahn trifft Zitronenstrauch
Tlz-familienzeit: Im Kindergarten „Krümel“in Gera werden Hochbeete in das pädagogische Alltagskonzept einbezogen
GERA. Immer mittwochs ist der Tag gelb. Mit den Farben lernen die Kinder den Wochentag. Dann wissen schon die Fünfjährigen, wann Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag ist – und das ein Jahr ehe sie in die Schule kommen.
Eli lächelt fein. Lennox futtert noch. Bela schaut verträumt. Es ist Frühstückszeit. Die drei gehören zu den „Wackelzähnen“. Das ist die Kindergartengruppe der Großen bei „Krümel“in Gera. Den Namen „Wackelzahn“haben sich Kinder und Eltern und Erzieher gemeinsam ausgesucht. Passender geht es fast nicht. Wer einen Wackelzahn hat, kommt schließlich bald zur Schule. Bei manchen Mädchen und Jungen sind die Zähne noch richtig fest. Sie gehören dennoch zur Gruppe. Auch wenn sie lieber mitwackeln würden. Aber das kommt noch früh genug; sie werden später über ihre Ungeduld lachen. Heute wissen sie es noch nicht besser.
Sie sitzen jetzt, es ist kurz nach acht Uhr, im Kinderrestaurant. Das klingt großartig. Und das ist es auch. Ein Restaurant für den Alltag, entstanden aus Platzmangel in den Gebäuden des Kindergartens im Stadtteil
Alt Bieblach: Auf der Suche nach Raum stoßen sie auf diesen Teil des Souterrains. Niemand nutzt ihn. Tobias Theil und die anderen Erziehenden, es sind insgesamt zwölf, entwickeln die Idee für das Kinderrestaurant. Genutzt wird es neben den „Wackelzähnen“auch von den „Hummeln“. Die Möbel sind schnell gebaut – teils aus Europaletten. Sieht richtig gut aus – und gemütlich.
Am gelben Tag machen die Kleinen, die mittlerweile als „Wackezähne“die Großen sind, hier ihr Frühstück selbst. Melone gibt es; Sandwich und Marmelade; Wurst und Käse. Wie es euch gefällt. Selbstständig sollen die Mädchen und Jungen werden – und sie sollen ihr Leben gestalten. Ganz gleich, woher sie kommen und wie ihre sozialen sowie kulturellen Hintergründe sind. Natürlich benötigen sie dafür die Anregungen der Erwachsenen. Die gibt es reichlich im Spielgarten: Klettergeräte, Sandkästen, Bäume, Hochbeete. Hochbeete? Ja, eigentlich sind es Kinder-gärten. Als solche sind sie ausdrücklich gewollt. Denn was sich damit den Kindern beibringen lässt, ist mehr als nur eine Beschäftigung. Heute, am gelben Tag, will die Gruppe einen besonderen Saft herstellen. Im Hochbeet duften
noch Reste von Lavendel – und auch grüne Tomaten hängen an einem Strauch. Doch beides interessiert in diesem Moment nicht. Martina Brandl, die Heilpädagogin, zupft ein Blatt vom Zitronenstrauch und reibt es leicht zwischen Zeigefinger und Daumen. Die Mädchen und Jungen machen es ihr nach. „Das ist
ja Zitrone“, sagen sie. Stimmt. Genau so riecht das Blatt. Zitrone ist also nicht nur gelb und oval. Die Kinder zupfen die Blätter, waschen sie ab und legen sie ins Wasser. „Schnell noch den Deckel drauf, damit die Wespen das leckere Wasser nicht wegtrinken“, sagt Tobias Theil. Er weiß: Die Kinder werden das
Wasser mögen. Bis zu Beginn der Ferien hatten sie Dino-wasser hergestellt. Kräuter kamen da hinein. Auf dem Hochbeet selbst gezogen. Die Kinder haben dieses Dino-wasser geliebt. Nun ist das Projekt vorbei. Die Kinder-gärten aber bleiben. Sie bieten immer etwas Neues, wofür sich Finn, Anna, Lina, Lilly
und die anderen begeistern können.
Diesmal also die Blätter vom Zitronenstrauch. Dass diese Blätter nicht allein wachsen, wissen die Mädchen und Jungen längst. Sie haben schließlich dieses Beet gegossen. Ohne Wasser kein Leben. So sagen das die Erzieherinnen und Erzieher den
Kleinen nicht; das sind nicht ihre Worte. Aber sie erfahren, dass Wasser Leben spendet. Die „Krümel“-kinder sollen die Natur begreifen. Be-greifen – im Wortsinn. Ja, sie haben nach den Hochbeeten gegriffen, teils sogar ihre Hände mit Farbe auf die Bretter gedrückt. Nur das Hochbeet mit dem Zitronenstrauch
haben sie noch nicht verziert. Weil es eine Spende war von der Town&country-stiftung vom Frühjahr. „Klasse“, sagt Tobias Theil. Er weiß, wie gern die Kinder in der Natur sind. Er geht mit ihnen auch gemeinsam in die Gartenanlage, in der sie seit Juli einen Garten haben. Der Garten ist noch unaufgeräumt; es ist alles im Werden. Und er ist nur für die Großen. Die „Wackelzähne“sind die ersten, die ihn nützen dürfen. Es gibt einen Einsatz dort. Für alle, die mitmachen wollen. Eltern sind ausdrücklich willkommen. Das Schild „Wackelzahngarten“ist fertig, das bringen sie jetzt an. Was braucht es da noch ein Hochbeet? Oh doch, heißt es, das braucht es auf jeden Fall. Weil die tägliche Pflege dieses Kinder-gartens auf dem Gelände des Kindergartens ins pädagogische Konzept passt. In den Garten in der Gartenanlage kommen sie nur einmal in der Woche, viel mehr geht nicht. Das Konzept zielt darauf: Helft der Natur, dass sie gedeihen kann. Und ihr bekommt von ihr etwas zurück. Die Kinder kennen Durst. Durst, den auch die Erde kennt. Gerade in diesem Jahr. Zum Glück gab es nur eine viertägige Schließzeit. So musste keine Pflanze verdursten. Und die Wochenenden haben die Pflanzen und Früchte auch durchgestanden. Direkt neben dem neuen Hochbeet hängt in einem Strauch ein ausrangierter Gummistiefel. Der ist mit Erde gefüllt, ein Blümchen wächst darin. Kinder und Natur im Einklang, so wirkt es. In diesem Alter gibt es nicht die großen Worte. Da ist alles noch ganz einfach. Die Hochbeete haben Wasser, wir den Zitronenstrauch und die Tomaten. So ist es gut. Die Karaffe ist schnell mit Wasser und Zitronenstrauchblättern gefüllt. Die Kinder rennen auseinander. Eli flitzt zur Schubkarre. Mit der spielt sie gern. Samantha und Lina folgen ihr. Die anderen mögen den Sandkasten. Lennox und Bela zieht es zum Bolzplatz auf dem Gelände. Sie sind leidenschaftliche Fußballer. Und können von Tobias viel lernen. Der hat selbst mal gekickt. Und Sportler ist er bis heute. Die Kleinen wissen nicht, dass er mal 130 Kilo gewogen und geraucht hat. Für sie ist er der schlanke Erzieher, der gut Ball spielt und viel gute Laune hat. „Kinder orientieren sich daran, was man ihnen vorlebt“, sagt er. Dafür sei der Kindergarten auch da. Er sagt Kindergarten. „Kita“kommt ihm nicht über die Lippen. Neumodischer Mist und falsch dazu, sagt der 33-Jährige. Er lebt schließlich im Land Fröbels. Hier betreuen sie allerdings mit dem Situationsansatz – also soziales Lernen und die alltägliche Lebenswelt der Kinder nach Professor Zimmer stehen im Mittelpunkt. An diesem gelben Tat ist vielleicht der letzte wirklich hochsommerlich heiße Tag in diesem Jahr. Da schmeckt das Wasser mit den Blättern vom Zitronenstrauch ganz besonders. . .