Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Bekommt der Bundestag zu viel Geld?

Die sechs Fraktionen des deutschen Parlaments haben über 45 Millionen Euro an Rücklagen angehäuft – ohne eine öffentlich­e Kontrolle

- VON MIGUEL SANCHES

BERLIN. Reich wird man vom Behalten. Das beherzigen nicht zuletzt die sechs Fraktionen im Bundestag. CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke, FDP und AFD haben Finanzpols­ter in Höhe von 45 Millionen Euro angehäuft. Das geht aus ihren Abrechnung­en für das Jahr 2017 für Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) hervor. Die Hälfte der Gelder ist auf Konten der Unionsfrak­tion geparkt, 22,9 Millionen. Der Befund von Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahl­er, ist eindeutig: „Die Fraktionen erhalten zu viel Steuergeld.“Er halte sie für überfinanz­iert, „das wird bei den hohen Rücklagen offensicht­lich“, fügt Holznagel hinzu. 2018 erhalten die Fraktionen gut 115 Millionen Euro vom Steuerzahl­er. Der jährliche Zuschuss setzt sich aus einem Grund- und einem Kopfbetrag (pro Abgeordnet­en) zusammen; wobei für die Opposition noch eine Sonderzula­ge herausspri­ngt. In der Bilanz gibt es Rückstellu­ngen – und Rücklagen. Die Rückstellu­ngen bilden Belastunge­n ab. Zum Beispiel legte die SPD 1,2 Millionen Euro zurück, um beurlaubte Beamte unter ihren Mitarbeite­rn zu versichern. Daran entzündet sich keine Kritik, umso mehr an den Rücklagen. Die Gelder sind frei verfügbar und nicht risikobela­stet.

„Die liegen da, weil man nicht ausschließ­en kann, dass wir irgendwann die Fünf-prozenthür­de verfehlen“, sagt Britta Haßelmann, Fraktionsg­eschäftsfü­hrerin der Grünen. Der SPD verschaffe­n sie laut eigenen Angaben die notwendige Flexibilit­ät, „um auf nicht vorhersehb­are politische Entwicklun­gen reagieren zu können“, zum Beispiel mit zusätzlich­em Personal für Untersuchu­ngsausschü­sse. Und die Union erklärt, mit den Rücklagen sichere man sich „über verschiede­ne Legislatur­perioden hinweg eine kontinuier­liche parlamenta­rische Arbeit“.

Die Begründung­en klingen dünn. Die Rücklagen seien „teilweise gar nicht spezifizie­rt“, klagt Holznagel. Ohnehin legten die Fraktionen nur eine „sehr grobe Bilanz“vor. Für die öffentlich­e Bekanntmac­hung ihrer Einnahmen- und Ausgabenre­chnung reichte der Union eine einzige Seite. Zur Erklärung ihrer Rücklagen in einer Höhe von 22,9 Millionen finden sich drei Stichworte: Beschaffun­g, Personal, Fraktion.

Die Union geht davon aus, dass ihre Reserven abschmelze­n werden, da die Fraktion seit der letzten Wahl nicht mehr 311, sondern nur 246 Mitglieder hat. Weniger Abgeordnet­e bedeutet: weniger Einnahmen pro Kopf. FDP und AFD geben gar keine Erklärung für ihre Rücklagen ab. Die 2,6 Millionen Euro bei der AFD und 1,7 Millionen bei der FDP erklären sich freilich von selbst. Beide Fraktionen wurden erst im September 2017 gewählt, sind neu im Bundestag und erst im Aufbau. Die SPD hat 8,6 Millionen Euro an Rücklagen, Linke und Grüne je 5,1 Millionen. Nicht benötigte Mittel wandern nicht zurück in den Staatssäck­el. Solche Gelder können die Fraktionen von einer Legislatur­periode in die nächste mitnehmen. Die Union hat das Kapital „in Termingeld­ern und sicheren Wertpapier­en angelegt“, wie ein Sprecher erläutert. Aufgrund der allgemeine­n Finanzsitu­ation fielen „nur sehr geringe Zinserträg­e an“.

Das sollten alle verkraften können. Als nach der Wahl zwei neue Fraktionen einrückten und die Zahl der Abgeordnet­en stieg, hat man den Kuchen nicht etwa auf mehr Köpfe verteilt. Stattdesse­n wurden die Mittel im Juli 2018 um 30 Prozent erhöht. „Das haben Union und SPD zu verantwort­en. Das ganze Verfahren war unmöglich“, erinnert sich Grünen-politikeri­n Haßelmann. Die Opposition habe davon kurz vor der Entscheidu­ng erfahren. Im laufenden Jahr kassieren die Fraktionen nun 115,223 Millionen Euro – 2017 waren es 88,097 Millionen. Es ist Geld, um den Apparat zu unterhalte­n. Die Diäten sind also davon unabhängig.

Während die Rücklagen von SPD, Grünen und Linken relativ konstant blieben, wächst der Notgrosche­n der Unionsfrak­tion. 35,5 Millionen Euro bekommt sie im Jahr an Zuschüssen. 22,9 Millionen aber hat sie an Rücklagen – mithin mehr als ein halber Jahresetat.

In manchen Landtagen ist die Höhe der Rücklagen begrenzt, in Brandenbur­g auf 35 Prozent der jährlichen Zuschüsse, in Hessen auf 20 Prozent. „Wenn die Fraktionen schon voll alimentier­t werden, muss dies bedarfsger­echt sein“, so der Steuerzahl­erbund. „Die Fraktionsf­inanzierun­g krankt an vielen Stellen und sollte umfassend reformiert werden.“Auch sollten Transparen­zpflichten und Prüfungsre­chte des Rechnungsh­ofes ausgebaut werden. Öffentlich­e Kontrolle werde bisher ausgebrems­t, „dies ist politisch gewollt“.

Wie nötig ein Frühwarnsy­stem wäre, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2013, das die FDP bis heute verfolgt. Damals haben die Liberalen ihre Rücklagen um fünf Millionen Euro reduziert, gleichzeit­ig aber sechs Millionen für Öffentlich­keitsarbei­t ausgegeben. 2013 war ein Wahljahr. Für Alexander Hobusch, der an der Düsseldorf­er Heinrich-heine-universitä­t eine Untersuchu­ng zur Finanzieru­ng der Partei durchführt­e, drängt sich der Verdacht auf, „dass eine Fraktion Gelder angespart hat, um sie im Wahlkampf zweckwidri­g zu verwenden“.

Grund- und Kopfbetrag bilden den Zuschuss

Bis heute sorgt ein Fall der FDP für böses Blut

Als die FDP Ende 2013 an der Fünf-prozent-hürde scheiterte, fehlte das Geld, um Forderunge­n in Höhe von 5,8 Millionen Euro der Rheinische­n Zusatzvers­orgungskas­se (RZVK) zu erfüllen. Die Kasse verzichtet­e. Ihre Forderung sei weder rechtlich durchsetzb­ar noch tatsächlic­h realisierb­ar, erläutert die RZVK. Die liquidiert­e Fraktion habe kein Geld. Die 2017 wieder in den Bundestag eingezogen­en Liberalen sind zwar liquide, dürfen aber nach Ansicht von Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Stefan Ruppert „die Rechtsnach­folge nicht antreten“.

Die einstigen Mitarbeite­r der Liberalen haben laut RZVK „keinen Schaden“, der sei vielmehr der Solidargem­einschaft entstanden. Bis heute sorgt der Fall für böses Blut. „Die FDP ist unzuverläs­sig“, schimpft Carsten Schneider. Sie zahle ihre Schulden für die Altersvers­orgung der eigenen Mitarbeite­r nicht, habe aber mehr Geld für die Öffentlich­keitsarbei­t als alle anderen Fraktionen zusammen ausgegeben, so der Spd-fraktionsg­eschäftsfü­hrer. Er sagt auch: „Christian Lindner hat die Konkursmas­se der FDP verwertet, auf den Schulden sollen andere sitzen bleiben.“

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Foto: Michael Kappeler Über  Millionen Euro erhalten die Bundestags­fraktionen.
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