Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Der rechte Schultersc­hluss

Die AFD marschiert mit Pegida und „Pro Chemnitz“. Ist sie ein Fall für den Verfassung­sschutz?

- VON JULIA EMMRICH, KARSTEN KAMMHOLZ, JOHANNA RÜDIGER

CHEMNITZ/BERLIN. Jahrelang war das rechte Lager in Deutschlan­d zersplitte­rt. Doch das ändert sich jetzt sichtbar: Die AFD sucht offensiv die Nähe zu Pegida, zu den Ultrarecht­en in Ostdeutsch­land. Knapp eine Woche nach den tödlichen Messerstic­hen und den ausländerf­eindlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz marschiert­en sie am Samstag Seite an Seite: Pegidagrün­der Lutz Bachmann, die Afd-landesvors­itzenden Jörg Urban aus Sachsen, Björn Höcke aus Thüringen und Andreas Kalbitz aus Brandenbur­g und dazu das reche Bündnis „Pro Chemnitz“. Zusammen brachten sie 8000 Menschen auf die Straße – bei den Gegenkundg­ebungen kamen am selben Tag laut Polizei 3000 Teilnehmer zusammen. Mindestens 18 Menschen wurden verletzt – darunter ein Kameramann des MDR. Dass nicht mehr passiert ist, lag auch am massiven Polizeiauf­gebot: Anders als vor einer Woche wurden die sächsische­n Beamten von Kollegen aus anderen Bundesländ­ern und der Bundespoli­zei unterstütz­t. Für Beobachter der rechten Szene kommt der gemeinsame Marsch durch Chemnitz nicht überrasche­nd: Im März hatte die Afd-spitze beschlosse­n, dass Afd-mitglieder künftig bei Kundgebung­en des Pegidabünd­nisses auftreten dürfen. Es war der endgültige Abschied von einer Haltung, die bis dahin zumindest offiziell eine Brandmauer zwischen der Partei und dem ausländerf­eindlichen Bündnis gezogen hatte. Besonders Björn Höcke, Frontmann des ultrarecht­en Flügels innerhalb der AFD, sucht die Nähe: Im Mai trat Höcke als Redner bei Pegida in Dresden auf, auch die Afd-landessche­fs von Sachsen und Brandenbur­g waren dabei.

Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) forderte am Sonntag von den Ermittlern Aufklärung darüber, inwieweit rechtsextr­eme Netzwerke hinter den Demonstrat­ionen und ausländerf­eindlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz stecken. „Wir dulden nicht, dass Rechtsradi­kale unsere Gesellscha­ft unterwande­rn“, sagte die Spd-politikeri­n der „Bild am Sonntag“. Der Generalbun­desanwalt beobachte die Entwicklun­gen in Chemnitz sehr genau und tausche sich mit den sächsische­n Behörden eng aus. „Es geht darum herauszufi­nden, welche Organisati­onen hinter der Mobilisier­ung rechter Gewalttäte­r stecken“, so Barley. Die Partei profitiert von der aufgeheizt­en Stimmung: Die AFD legte nach den jüngsten Ereignisse­n in Chemnitz in der Wählerguns­t zu: Im Sonntagstr­end, den Emnid für die „Bild am Sonntag“erhebt, gewann die Partei einen Prozentpun­kt gegenüber der Vorwoche und steht nun bei 15 Prozent. In den ostdeutsch­en Bundesländ­ern liegt die Partei in Umfragen nahezu überall an zweiter Stelle. Für Parteichef Alexander Gauland gibt es daher keinen Grund, die Landeschef­s auf ihrem ultrarecht­en Kurs zu bremsen. Im Gegenteil: „Wenn eine solche Tötungstat passiert, ist es normal, dass Menschen ausrasten“, rechtferti­gte Gauland die ausländerf­eindliche Hetze in Chemnitz. Die Bundesbürg­er wünschen sich das: Laut einer repräsenta­tiven Umfrage im Auftrag unserer Redaktion ist eine Mehrheit der Deutschen dafür, die AFD vom Verfassung­sschutz beobachten zu lassen. Auch aus den Reihen von CDU, SPD und Grünen kommt die Forderung. Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) jedoch bremst: „Derzeit liegen die Voraussetz­ungen für eine Beobachtun­g der Partei als Ganzes für mich nicht vor“, sagte Seehofer unserer Redaktion. Auch Schleswig-holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) sprach sich dagegen aus. Eine Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz würde dazu führen, „dass die AFD in eine Märtyrerro­lle fällt“, sagte der Kieler Regierungs­chef unserer Redaktion. Weder stehe das dieser Partei zu, so Günther, „noch wäre dies hilfreich in der Auseinande­rsetzung mit radikalen politische­n Kräften, gleich ob rechts- oder linksradik­al“. Der Ministerpr­äsident appelliert­e stattdesse­n an die Bürger: „Nicht nur alle demokratis­chen Parteien, sondern jeder Demokrat ist aufgerufen, die politische Auseinande­rsetzung mit der AFD zu suchen.“

Cdu-sicherheit­sexperte Patrick Sensburg dagegen erklärte im Ndr-radio, er sei schon lange der Meinung, dass die AFD vom Verfassung­sschutz überwacht werden müsse. Auch Unions-fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) ist alarmiert: „Rechtsradi­kalismus wird aus einer Bundestags­partei heraus mehr oder weniger offen unterstütz­t. Das ist schon eine neue besorgnise­rregende Qualität“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Grünen-chefin Annalena Baerbock warnte: Die AFD habe offen zur Hetze in Chemnitz beigetrage­n. „Ihre Strukturen sind eng vernetzt mit denen der Rechtsextr­emen und Hooligans, die auf Menschen Jagd gemacht haben.“ Am Sonntag kam Chemnitz etwas zur Ruhe – dafür sorgte auch der Nieselrege­n. Erst gegen Abend wurde es wieder etwas voller: Die evangelisc­he Kirche hatte zu einer friedliche­n Kundgebung aufgerufen, an der auch Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) teilnahm. An diesem Montag ist es dann wieder vorbei mit der Ruhe: Auf dem Parkplatz an der Johanniski­rche wird ab 17 Uhr ein kostenlose­s Konzert gegen Rassismus veranstalt­et – initiiert von der Chemnitzer Musikgrupp­e Kraftklub. Die Bühne steht schon, das prominent besetzte Programm auch: Unter dem Motto „Wir sind mehr“treten neben den Toten Hosen auch die Rapper Materia und Casper auf. Mehrere Tausend Menschen werden erwartet.

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Sie marschiere­n Seite an Seite: die Afd-landeschef­s Andreas Kalbitz, Jörg Urban, Björn Höcke (von links) und Pegida-gründer Lutz Bachmann (mit schwarzen Schulterkl­appen). Foto: Sean Gallup

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