Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Chagall, Picasso, Miró, Matisse

Die Kunstsamml­ung Jena zeigt ab heute Malerbüche­r der Moderne – 400 Bilder von den Großen des 20. Jahrhunder­ts

- VON ULRIKE MERKEL

JENA. 400 Werke der klassische­n Moderne, davon 200 Bilder von Marc Chagall, 50 Arbeiten von Pablo Picasso und 50 Blätter von Henri Matisse: Allein die Zahlen zur neuen Ausstellun­g der Jenaer Kunstsamml­ung lassen aufhorchen. Diesmal präsentier­t Kurator Erik Stephan Malerbüche­r von Marc Chagall und 17 anderen Künstlern, darunter weitere Stars des 20. Jahrhunder­ts wie Georges Braque, Joan Miró, Le Corbusier, Fernand Léger und Giorgio de Chirico.

Angeregt und beauftragt wurden die Maler seinerzeit vor allem von zwei Pariser Galeristen: Ambroise Vollard und Tériade. Vollard, geboren 1866 auf der französisc­hen Pazifik-insel La Réunion, kommt als mittellose­r Jura-student nach Paris und avanciert dank seines unvergleic­hlichen Instinkts zum ersten und bedeutends­ten Kunsthändl­er der Moderne. Von ihm sei überliefer­t, dass er nur Bilder verkauft habe, um Bücher machen zu können, sagt Kurator Stephan. Vollard war es auch, der Marc Chagall die Aufträge fürs grafische Malerbuch „Die toten Seelen“und sein späteres Großprojek­t „Die Bibel“erteilte. Beendet wurden beide Bände nach Vollards tödlichem Autounfall im Jahr 1939 von Tériade.

Privater Leihgeber öffnet erstmals Sammlung

Viele dieser Arbeiten seien heute als eigenständ­ige Kunstwerke bekannt, sagt Erik Stephan. Dass ihr Ursprung in Malerbüche­rn liege, wissen nur Kenner. Oft wurden dem Kurator zufolge die Bücher „auseinande­r gerissen“und die Texte entsorgt, da sich mit einzelnen Blättern oft höhere Preise auf dem Kunstmarkt erzielen ließen. Eine Praxis, die leider heute noch gängig sei.

In Jena kann man nun diese Gesamtkuns­twerke in ursprüngli­cher Einheit kennenlern­en. Ein privater Leihgeber hat seine umfangreic­he Sammlung für die gestern eröffnete Ausstellun­g erstmals geöffnet. Dieser enormen Bilderfüll­e widmet Erik Stephan zwei Ebenen im Stadtmuseu­m Jena – wobei die untere Etage allein Marc Chagall vorbehalte­n ist.

Hier empfängt den Besucher die Bilderseri­e zu Gogols „Die toten Seelen“. Chagall begann das Buchprojek­t, kurz nachdem er 1923 nach Paris zurückkehr­t war. Dass er sich ausgerechn­et dem russischen Landsmann Nikolai Gogol zuwendet, hat persönlich­e Gründe. Er fühlt sich dem Schriftste­ller, der ein Jahrhunder­t vor ihm gewirkt hat, sehr nah. Beide leben in der Fremde, Chagall in Paris, Gogol in Italien. Und beide vermissen sie die Heimat, die schiefen Hütten, das einfache Leben. Chagall, der sich anfänglich für die Ideen der Oktoberrev­olution begeistert hatte, war in der Sowjetunio­n bald seines Malstils wegen isoliert. Es blieb nur die Emigration. Zunächst geht er nach Berlin, wo er beim besten Radierer Deutschlan­ds das Handwerk lernt. Danach zieht er weiter nach Paris, in seine Lichtstadt.

In seinem Schelmenro­man „Die toten Seelen“schildert Gogol das dekadente bis groteske Leben des russischen Landadels. Und so zeigen

auch Chagalls Radierunge­n manch skurrile Szene, etwa wie zwei Adlige sturzbetru­nken kreuz und quer im Bett liegen oder wie der Protagonis­t aus der Sauna vertrieben wird.

Im Stockwerk darüber fallen Mirós kakelbunte­n Farblithog­raphien ins Auge. Der Spanier thematisie­rt darin das Theaterstü­ck „König Ubu“. „Das Stück handelt von einem Regenten, der machtbeses­sen und gefräßig ist und über Leichen geht“,

sagt der Kurator. Die auf den ersten Blick heiteren Blätter sind jedoch laute Anklagen: Miro setzte Ubu mit Diktator Franco gleich, dessen Regime er vielfach in seinen Werken anprangert­e.

Pablo Picasso sind im oberen Bereich drei Räume gewidmet. Seinen Illustrati­onen zu Ovids „Metamorpho­sen“begegnet man hier ebenso wie den erstaunlic­h realistisc­hen Tier-radierunge­n zu Georges-louis Leclerc vielbändig­em Tieralmana­ch.

Henri Matisse hingegen wendet sich unter anderem Mariana Alcoforado zu, jener portugiesi­schen Nonne, deren fünf Botschafte­n an einen französisc­hen Offizier als die schönsten Liebesbrie­fe der Welt gelten. Der Architekt und Künstler Le Corbusier feiert in seinem Malerbuch den rechten Winkel. Neben all diesen Blättern zeigt Erik Stephan auch einzelne hochkaräti­ge Gemälde, etwa von Chagall und Braque. Sie stammen beispielsw­eise aus dem Centre Pompidou und der Sammlung Würth, der Kollektion des bekannten Montagetec­hnikund Schrauben-unternehme­rs. Für diesen überwältig­enden Bilderraus­ch der Moderne sollte man Zeit einplanen.

 ??  ?? Magdalena Gerwien putzt vor Ausstellun­gsstart die Rahmen der „König Ubu“-lithografi­en von Joan Miró.
Magdalena Gerwien putzt vor Ausstellun­gsstart die Rahmen der „König Ubu“-lithografi­en von Joan Miró.
 ??  ?? „Lettera Amorosa“– ein Malerbuch mit  Lithografi­en von Georges Braque. Fotos (): Ulrike Merkel
„Lettera Amorosa“– ein Malerbuch mit  Lithografi­en von Georges Braque. Fotos (): Ulrike Merkel

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