Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Zeitgetrieben, mangelnder Respekt und Provokationen
Interview: Dingelstädts Stadtbrandmeister Ansgar Nolte erlebt zunehmende Aggressivität gegenüber Rettungskräften
Die Thüringer Feuerwehrgewerkschaft hat jüngst gefordert, dass Kameraden zukünftig während ihrer Einsätze Polizeischutz erhalten. Denn Anfeindungen und gar Gewalt gegen Rettungskräfte nehmen zu. Der Eichsfelder Kreisbrandinspektor Mirko Lipinski sprach davon, dass es im Eichsfeld keine Probleme gebe, sondern die Leute eher helfen. Das aber sieht Ansgar Nolte, Stadtbrandmeister von Dingelstädt, etwas anders.
Herr Nolte, haben Sie denn schon außergewöhnliche Situationen im Einsatz erlebt?
Ja. Gewalt gegen Rettungskräfte ist auch bei uns im Eichsfeld präsent. Zwar nicht immer gleich körperlich, aber verbal wird es immer aggressiver.
Es gab ja in Ihrer Feuerwehr vor wenigen Monaten einen schlimmen Vorfall.
Richtig. Und der hätte auch schlimm ausgehen können. Wir waren bei einem Verkehrsunfall auf der B 247, um zu helfen. Dazu hatten wir die Straße vorübergehend voll gesperrt. Ein Autofahrer aber wollte die Sperrung partout nicht einsehen und hat eine unserer Kameradinnen angefahren und verletzt. Ein weiterer Kamerad konnte sie noch wegziehen, sonst wäre die Sache noch schlimmer ausgegangen. Der Fall ist bereits gerichtlich bewertet worden. Aber er zeigt, wie es inzwischen mitunter auf unseren Straßen zugeht.
Sie sprachen auch von verbalen Angriffen. Wie sehen die aus?
In den sozialen Netzwerken ist es schon schlimm. Es wird beleidigt, was das Zeug hält. Es ist schon regelrechte Aggressivität zu spüren. Aber auch vor Ort haben wir schon unglaubliche Situationen erlebt. Bei einem tödlichen Verkehrsunfall beispielsweise sind die Kameraden an der Sperrung böse angegangen worden, wir sollten doch erst einmal eine vernünftige Umleitung einrichten und ausschildern, ehe wir dem Verunglückten helfen. Mitunter werden die Verkehrsschilder und auch die Anweisungen der Feuerwehrleute bewusst missachtet. Auch Schimpfworte fallen da. Das erleben wir immer häufiger.
Was meinen Sie, woran liegt das?
Ich kann es mir nur so erklären, dass die Menschen sich gehetzt fühlen, mehr unter Druck stehen, zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein zu müssen. Oder sie sind auch der Meinung, sie müssten eine Strecke genau in der Zeit schaffen, die ihr Navi ansagt. Verzögerungen sind da nicht eingeplant. Und Umwege werden auch nicht gern in Kauf genommen. Auf Verständnis können wir inzwischen immer weniger hoffen.
Wie verhalten Sie sich dann?
Als erstes müssen wir ruhig bleiben, auch wenn wir die Faust in der Tasche ballen. Wir dürfen uns nicht provozieren lassen, damit die Situation nicht eskaliert. Wenn wir zum Einsatz gerufen werden, sind immer Polizeibeamte vor Ort, egal ob bei einem Brand oder einem Verkehrsunfall. Wir rufen sie sofort hinzu und lassen sie die Anzeige anfertigen. Die Kameraden, die den Verkehr umleiten und als erste die Prellböcke für dumme Sprüche und Beleidigungen sind, sind mindestens zu zweit. Es gibt also Zeugen, der Vorfall ist immer belegbar. Er wird auch im Protokoll vermerkt.
Sie sperren Straßen doch aber aus gutem Grund, oder?
Natürlich. Es geht hier um Menschenleben, mitunter um wertvolle Sekunden. Man darf auch nicht vergessen, dass es dabei aber nicht nur um das Leben der Verunglückten geht, sondern auch um das der Einsatzkräfte, egal ob ehrenamtlich oder nicht. Wir müssen uns während des Einsatzes gegen neue Gefahren absichern. Das geht nicht, wenn der Verkehr weiter vorbeirauscht. Oft sind es Autofahrer, die aggressiv werden, weniger die Lkw-fahrer, so ist jedenfalls meine Erfahrung. Die bleiben eher ruhig und entspannt.
Egal, wie lange es dauert?
Meist ja. Die Feuerwehrleute haben schließlich alle Hände voll zu tun. Wir müssen mit schwerem Gerät manchmal die Verunglückten erst aus dem Fahrzeug holen, wenn sie eingeklemmt werden. Wir leuchten nachts die Straße aus, wenn die Polizei erste Unfallspuren aufnimmt. Wir sichern die Abschleppdienste ab, binden auslaufende Betriebsstoffe, fegen Scherben zusammen, reinigen die Straße. Das dauert seine Zeit. Aber wir tun das, damit später kein anderer Schaden nimmt. Und wenn es die Situation erlaubt und die Patienten versorgt sind, dann öffnen wir auch wieder halbseitig, damit der Verkehr langsam an der Unfallstelle vorbeigeleitet werden kann.
Meinen Sie, dass dieses Unverständnis, von dem Sie sprechen, auch zu einem Teil mangelnder Respekt ist?
Zum Teil ja. Andererseits wissen wir auch nicht, was demjenigen an diesem Tag schon widerfahren ist und nun diese Verzögerung nur noch der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt. Darum kann ich jedem Kameraden nur ans Herz legen, immer ruhig zu bleiben.
Erleben Sie solche Dinge nur im „harten“Einsatz?
Nein. Wir übernehmen ja als Feuerwehr auch freiwillige Aufgaben, wie zum Beispiel Absicherungen von Veranstaltungen. Mir ist gut in Erinnerung, als wir den Unstrutlauf absicherten und samstags zur besten Einkaufszeit die Straßensperrung einrichteten, hatten wir auch einen Autofahrer, der uns sofort anschrie, was das denn hier solle. Auch das artete dann in massiven Beleidigungen aus. Wir haben wirklich im Anschluss daran überlegt und diskutiert, ob wir solche Absicherungen zukünftig ablehnen. Aber nein, wir übernehmen das weiterhin gern.
Andererseits sieht man immer wieder bei uns in der Region, dass die Menschen bei einem Brand sofort Verpflegung für die Einsatzkräfte besorgen. Das hatte ja auch Mirko Lipinski lobend hervorgehoben. Wie passt das zusammen?
Ich muss ihm in diesem Fall absolut beipflichten. Bei einem Schadensfeuer helfen alle Anwohner drumherum, wie sie nur können. Sie kochen uns Kaffee, Tee, bringen Getränke, belegte Brote, Plätzchen. Auch später bei den Brandsicherheitswachen. Vielleicht liegt es zu einem kleinen Teil auch daran, dass sie die Betroffenen persönlich kennen oder die Katastrophe persönlich miterleben. Natürlich will ich niemandem unterstellen, dass er sich in anderen Situationen anders verhält. Das liegt mir absolut fern.
Ist es den Pöblern eigentlich bewusst, dass die Feuerwehren meist ehrenamtlich und unentgeltlich arbeiten?
Gute Frage, ich weiß es nicht. Aber wir tun diesen Dienst gern. Natürlich wäre jeder Kamerad und jede Kameradin egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit lieber bei der Familie, als bei einem schlimmen Brand, einem schweren Unfall oder bei der Beseitigung einer Ölspur.
Wird die Aggressivität noch schlimmer?
Ich hoffe nicht. Vielleicht haben wir sogar noch das Glück, in einer ländlichen Gegend zu leben. In den Großstädten ist die Situation noch prekärer. Das möchte ich hier wirklich nicht erleben.