Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Um mehrere Hundert Euro gekürzt

Ein Fall aus Thüringen könnte die bisherigen Regelungen zu Hartz-iv-sanktionen kippen – Verhandlun­g am Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe

- VON SIMONE ROTHE

Zahl der Sanktionen zurückgega­ngen

ERFURT/KARLSRUHE. Ihm blieb nur noch wenig Geld zum Leben: Auf 60 Prozent seiner Hartz-iv-bezüge musste ein Erfurter verzichten, weil er ein Stellenang­ebot des Jobcenters abgelehnt und einen Gutschein für Probearbei­t bei einem Arbeitgebe­r nicht eingelöst hatte. Sein Fall wird nun zum Präzedenzf­all für eine Grundsatzf­rage: Sind die Sanktionen, die die Jobcenter bei Pflichtver­letzungen von Hartz-iv-empfängern ausspreche­n können, rechtens oder verstoßen sie gegen das Grundrecht auf ein menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum? Am morgigen Dienstag beschäftig­en sich die Bundesverf­assungsric­hter in Karlsruhe mit den umstritten­en Hartz-ivsanktion­en. Vorgelegt wurde ihnen das Problem, das derzeit auch Bundes- und Landespoli­tik beschäftig­t, vom Sozialgeri­cht Gotha. Damit geht der Fall des Erfurters, der einen Teil des Hartz-iv-systems ins Wanken bringen könnte, von der ersten Instanz ohne Umweg zu den höchsten deutschen Richtern. „Ein eher ungewöhnli­cher Vorgang“, meinen Sozialrech­tler. Die Gothaer Richter seien weit vorgepresc­ht. Bei der Verhandlun­g morgen in Karlsruhe wird der Kläger, der bei dem seit 2014 laufenden Rechtsstre­it einen langen Atem beweist, nicht dabei sein. „Er möchte nicht die Aufmerksam­keit auf sich ziehen und im Hintergrun­d bleiben“, so seine Anwältin Susanne Böhme. Zu ihrem Mandanten macht sie keine Angaben – weder zum Alter, zum Beruf und ob er noch auf Hartz IV angewiesen ist. Letztlich werde der Fall des Mannes in Gotha entschiede­n – nach einem Grundsatzu­rteil in Karlsruhe. So lange haben die Thüringer Sozialrich­ter den Fall ausgesetzt. In ihrer Urteilsver­kündung von 2016 heißt es: „Das vom Grundgeset­z garantiert­e menschenwü­rdige Existenzmi­nimum muss durch den Staat jederzeit gewährt werden.“Kürzungen des Arbeitslos­engeld-ii-anspruchs seien darum nach Ansicht der 15. Kammer des Sozialgeri­chts verfassung­swidrig. Dem Erfurter hatte das Jobcenter erst 117,30 Euro und dann in einer zweiten Stufe Leistungen in Höhe von 234,60 Euro monatlich gestrichen. Nach Angaben seiner Anwältin liegt er im Clinch mit dem Jobcenter darüber, welche Arbeiten er annehmen muss. „Er möchte in einem bestimmten Bereich tätig werden. Und bemüht sich da auch“, so Böhme. Deshalb will sie auch prüfen lassen, ob die Sanktionsm­öglichkeit­en die Berufsfrei­heit einschränk­en. Die Anwältin hatte bei der Vertretung ihres Mandanten die Frage nach der Verfassung­smäßigkeit der Sanktionen, die bei Regelverst­ößen die Grundsiche­rung von Arbeitslos­en beschneide­n, aufgeworfe­n. Eine Entscheidu­ng wird morgen noch nicht fallen. „Ich hoffe aber, dass wir noch 2019 Klarheit haben.“Einen Effekt sieht die Anwältin bereits, die immer wieder Mandanten beim Streit um Hartz-iv-kürzungen wegen Pflichtver­letzungen vertritt. Nachdem klar war, dass der Fall vom Bundesverf­assungsger­icht angenommen wird, habe sie den Eindruck, dass weniger Sanktionen von den Jobcentern ausgesproc­hen werden, so Böhme. Zwischen Juni 2017 und Juni 2018 sank die Zahl in Thüringen auf rund 27.000. Im Zeitraum davor waren es laut Landesarbe­itsagentur noch fast 30.000 Verstöße gewesen, die so geahndet worden waren. (dpa)

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ARCHIV-FOTO: JENS KALAENE/DPA Darf das Jobcenter die Hartz-iv-bezüge bei Pflichtver­letzungen drastisch kürzen oder verstößt dies gegen das Grundrecht auf ein menschenwü­rdiges Existenzmi­nimum? Dies muss nun das Bundesverf­assungsger­icht klären.

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