Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Um mehrere Hundert Euro gekürzt
Ein Fall aus Thüringen könnte die bisherigen Regelungen zu Hartz-iv-sanktionen kippen – Verhandlung am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Zahl der Sanktionen zurückgegangen
ERFURT/KARLSRUHE. Ihm blieb nur noch wenig Geld zum Leben: Auf 60 Prozent seiner Hartz-iv-bezüge musste ein Erfurter verzichten, weil er ein Stellenangebot des Jobcenters abgelehnt und einen Gutschein für Probearbeit bei einem Arbeitgeber nicht eingelöst hatte. Sein Fall wird nun zum Präzedenzfall für eine Grundsatzfrage: Sind die Sanktionen, die die Jobcenter bei Pflichtverletzungen von Hartz-iv-empfängern aussprechen können, rechtens oder verstoßen sie gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum? Am morgigen Dienstag beschäftigen sich die Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe mit den umstrittenen Hartz-ivsanktionen. Vorgelegt wurde ihnen das Problem, das derzeit auch Bundes- und Landespolitik beschäftigt, vom Sozialgericht Gotha. Damit geht der Fall des Erfurters, der einen Teil des Hartz-iv-systems ins Wanken bringen könnte, von der ersten Instanz ohne Umweg zu den höchsten deutschen Richtern. „Ein eher ungewöhnlicher Vorgang“, meinen Sozialrechtler. Die Gothaer Richter seien weit vorgeprescht. Bei der Verhandlung morgen in Karlsruhe wird der Kläger, der bei dem seit 2014 laufenden Rechtsstreit einen langen Atem beweist, nicht dabei sein. „Er möchte nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und im Hintergrund bleiben“, so seine Anwältin Susanne Böhme. Zu ihrem Mandanten macht sie keine Angaben – weder zum Alter, zum Beruf und ob er noch auf Hartz IV angewiesen ist. Letztlich werde der Fall des Mannes in Gotha entschieden – nach einem Grundsatzurteil in Karlsruhe. So lange haben die Thüringer Sozialrichter den Fall ausgesetzt. In ihrer Urteilsverkündung von 2016 heißt es: „Das vom Grundgesetz garantierte menschenwürdige Existenzminimum muss durch den Staat jederzeit gewährt werden.“Kürzungen des Arbeitslosengeld-ii-anspruchs seien darum nach Ansicht der 15. Kammer des Sozialgerichts verfassungswidrig. Dem Erfurter hatte das Jobcenter erst 117,30 Euro und dann in einer zweiten Stufe Leistungen in Höhe von 234,60 Euro monatlich gestrichen. Nach Angaben seiner Anwältin liegt er im Clinch mit dem Jobcenter darüber, welche Arbeiten er annehmen muss. „Er möchte in einem bestimmten Bereich tätig werden. Und bemüht sich da auch“, so Böhme. Deshalb will sie auch prüfen lassen, ob die Sanktionsmöglichkeiten die Berufsfreiheit einschränken. Die Anwältin hatte bei der Vertretung ihres Mandanten die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen, die bei Regelverstößen die Grundsicherung von Arbeitslosen beschneiden, aufgeworfen. Eine Entscheidung wird morgen noch nicht fallen. „Ich hoffe aber, dass wir noch 2019 Klarheit haben.“Einen Effekt sieht die Anwältin bereits, die immer wieder Mandanten beim Streit um Hartz-iv-kürzungen wegen Pflichtverletzungen vertritt. Nachdem klar war, dass der Fall vom Bundesverfassungsgericht angenommen wird, habe sie den Eindruck, dass weniger Sanktionen von den Jobcentern ausgesprochen werden, so Böhme. Zwischen Juni 2017 und Juni 2018 sank die Zahl in Thüringen auf rund 27.000. Im Zeitraum davor waren es laut Landesarbeitsagentur noch fast 30.000 Verstöße gewesen, die so geahndet worden waren. (dpa)