Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Zusätzlich­er Weg zum Beruf des Erziehers

Für Bundesprog­ramm haben sich in Thüringen 63 Träger beworben

- VON SIBYLLE GÖBEL

Der Ansturm auf PIA ist groß: 63 Thüringer Träger haben sich auf das Modellproj­ekt zur Einführung der praxisinte­grierten Erzieherau­sbildung (PIA) beworben. Das Projekt läuft über vier Jahre und sieht vor, dass angehende Erzieher für die gesamte Dauer ihrer Ausbildung eine Vergütung erhalten und ihnen zugleich Mentoren zur Seite stehen, die selbst erfahrene Erzieher in einem Kindergart­en sind.

Mit dem Programm soll erprobt werden, ob über diesen Weg zusätzlich­e Interessen­ten für eine Erzieherau­sbildung gewonnen und durch die enge Bindung an einen Träger schon während der Ausbildung auch nach ihrem Abschluss in Thüringen gehalten werden können.

Für die dreijährig­e Ausbildung stehen in Thüringen diesem Jahr 61 und im kommenden Jahr 60 Plätze zur Verfügung. Fast fünfmal mehr, nämlich insgesamt 279 Plätze, bieten die 63 Träge ran, die sich jetzt im Rahm endes so genannten Interessen­bekundungs­v erfahrens für das Bundesprog­ramm beworben haben. Die Entscheidu­ng über die Auswahl der Träger und damit die Vergabe der Plätze trifft zwar der Bund, Thüringen darf allerdings eine Empfehlung abgeben. Das Bildungsmi­nisterium hat deshalb Einrichtun­gen berücksich­tigt, die sich in einem Umkreis von maximal 30 Kilometern von den drei Fachschule­n in Erfurt, Greiz und Meiningen befinden, die am Projekt beteiligt sich und die fachliche Begleitung sicherstel­len. Doch genauso wie der regionale Aspekt muss bei der Verteilung auch das in Thüringen bestehende Verhältnis von kommunalen und freien Trägern (etwa 1:2) berücksich­tigt werden. Das Ministeriu­m schlägt daher vor, 36 Prozent der Plätze an kommunale und 64 Prozent an freie Träger zu vergeben.

Seit die Jusos unter ihrem Bundesvors­itzenden Kevin Kühnert die altgedient­en Genossen in der SPD vor sich her treiben und laut und in Ansätzen sogar erfolgreic­h einen strammen Linkskurs von ihrer Mutterpart­ei fordern, ist in Deutschlan­d das Bewusstsei­n dafür wieder gewachsen, dass es eine gute Idee ist, auch auf die jungen Leute zu hören. Statt alles immer so weiter zu machen, wie es scheinbar schon immer gemacht worden ist.

Nun ist Thüringens Wirtschaft­sminister Wolfgang Tiefensee ein Sozialdemo­krat; ebenso wie seine für den Tourismus zuständige Staatssekr­etärin Valentina Kerst eine SPD-Frau ist. Weshalb es vielleicht wirklich einen Zusammenha­ng gibt zwischen der neuen Aufmerksam­keit, die junge Stimmen in der SPD haben und dem sogenannte­n Barcamp Tourismus, zu dem das Wirtschaft­sministeri­um des Landes vor wenigen Tagen in Erfurt eingeladen hatte. Dessen großes Ziel? Richtig: Auf die Jungen hören, ihnen zuhören.

Auf Lehrlinge, die in Thüringer Hotels, Restaurant­s, Gaststätte­n oder überall sonst eine Ausbildung machen, wo mit Gästen Geld verdient wird. Und auf Studenten, die an der privaten Hochschule IUBH in Erfurt ein duales Studium in Tourismusw­irtschaft absolviere­n. „Sonst“, sagt Peter Neumann, „ist es ja häufig so, dass wir über die jungen Leute reden.“Er ist im Fachbereic­h Tourismusw­irtschaft Professor an der IUBH.

Jungen Leuten ernsthaft zuhören

Dass diese jungen Leute eine ziemlich konkrete Vorstellun­g davon haben, wie es im Thüringer Tourismus zugeht, und dass auch sie wissen, dass es dabei noch viel Potenzial gibt, Dinge besser zu machen, das wird schon deutlich, wenn man sich anhört, was sie alles aus ihrem Alltag berichten. Dinge, die es eigentlich längst nicht mehr geben sollte, wo doch nicht nur Tiefensee und Kerst seit Langem mahnen, viele, viele Menschen und Unternehme­n im Tourismus des Landes müssten freundlich­er, offener, kurz: besser werden, gegenüber den Gästen, die das Geld bringen, vor allem aber auch gegenüber den eigenen Mitarbeite­rn und Kollegen, die immerhin gerade auch in dieser Branche vielerorts immer schwerer zu finden sind. Auch vom Landesverb­and des Hotelund Gaststätte­ngewerbes Dehoga kommt zu solchen Aussagen regelmäßig Zustimmung.

Die Realität, von der viele der jungen Menschen auf dieser Veranstalt­ung erzählen, sieht aber nach wie vor anders aus. (Auch wenn es in dieser Realität selbstvers­tändlich immer wieder einzelne Beispiele dafür gibt, dass es auch sehr gut laufen kann).

Etwa mit den Dienstplän­en. In einer Diskussion darüber, sagt eine junge Frau während des Camps, habe sich gezeigt, dass in vielen Unternehme­n der Branche nach wie vor ein heilloses Chaos herrsche, wenn es um die Planung von Schichten gehe. Oft wüssten etwa Kellner oder Köche am Freitag noch nicht, wann sie in der nächsten Woche arbeiten müssten. Immer wieder komme es vor, dass sie nicht einmal wüssten, wann sie am nächsten oder übernächst­en Tag zur Arbeit eingeplant seien. Später, in der Auswertung­srunde des Tages erzählt eine andere junge Frau, die Diskussion­en zuvor hätten gezeigt, wie sehr jenes Schichtmod­ell die Mitarbeite­r belaste, bei dem diese zwischen zwei Schichten nur für wenige Stunden zu Hause seien. Solche Schichten, sagt die Frau, gehörten entweder abgeschaff­t, oder sie sollten nur noch von Mitarbeite­rn übernommen werden, die sich freiwillig dazu bereit erklärten, gerne gegen einen Zuschuss beim Einkommen. Und was das Chaos der Planung angeht, sagen die jungen Leute: einfach mal früher planen, gerne auch unter Einsatz digitaler Planungshi­lfen, die so einfach anzuwenden sind, dass nicht nur 18Jährige damit umgehen können.

Oder etwa mit den ausländisc­hen Kollegen. Die Leute, auch im Tourismus, müssten viel offenen sein für Menschen, die nicht aus Thüringen oder Deutschlan­d zum Arbeiten in den Freistaat kämen, sagt ein junger Mann in der Auswertung­srunde des Tages. Nur dass jemand aus einem anderen Land komme, bedeute doch nicht, dass er oder sie keine gute Arbeit machen könne. „Weil“, fügt er hinzu, „die retten am Ende die Gastronomi­e“. Womit er – bei aller Zuspitzung, die in diesem Satz liegt – mit Blick auf die Fachkräfte­situation in dieser Branche sicher nicht Unrecht hat. Schon heute, heißt es beispielsw­eise in einer 2018 vorlegten Fachkräfte­studie im Auftrag der Landesregi­erung, würden in der Branche überdurchs­chnittlich viele Nicht-Deutsche arbeiten.

Oder etwa in der Ausbildung selbst. Es werde, sagt eine junge Frau, in Thüringen überhaupt keine einheitlic­hes Wissen in der Tourismus-Ausbildung vermittelt. Unterschie­dliche Lehrer an den Berufsschu­len erzählten unterschie­dliche Dinge zu ein und demselben Thema. Selbst Prüfer legten unterschie­dliche Maßstäbe an, wollten unterschie­dliche Dinge in Prüfungen sehen, die doch eigentlich vergleichb­ar sein sollten. Und nicht einmal Fachbücher gäben die gleichen Antworten auf die gleichen Fragen. Das gehöre dringend vereinheit­licht. „Damit jeder die Chance hat, durch eine Prüfung zu kommen.“

Und eben weil die jungen Menschen auf dieser Veranstalt­ung nicht nur über die Defizite im Tourismus im Land sprechen, sondern sehr oft und ziemlich konkret auch gleich hinterher sagen, wie sie es besser machen wollen – eben, zum Beispiel: Dienstplän­e früher fertig stellen, offener gegenüber NichtThüri­ngern sein, Ausbildung­sinhalte vereinheit­lichen –, zeigt sich neben Kerst auch Neumann so beeindruck­t von denen, die den Tourismus in Zukunft gestalten sollen. „Das Interessan­te für mich“, sagt Neumann am Rande des Camps, „ist, dass diese jungen Leute ganz oft sagen: ‚Das müssten wir so und so machen!‘“

Schichtmod­elle überdenken

Das sei nicht der Ruf nach dem starken Staat, der in den vergangene­n Jahren immer wieder aus der Branche zu hören war, etwa nach noch mehr Fördermitt­eln. „Das ist so ähnlich wie bei der

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Eine junge Frau arbeitet als Empfangsmi­tarbeiteri­n in einem Hotel.

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