Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Seelentref­fer

Panik, Theater und Gänsehaut: Udo Lindenberg fasziniert bei den Konzerten in Erfurt

- VON GERALD MÜLLER Mehr Konzertfot­os unter www.tlz.de

Dass ein Fanartikel-Stand vor einem Auftritt umlagert wird, ist nicht ungewöhnli­ch. Wenn dort jedoch auch nach dem letzten Lied großes Gedränge herrscht, dann spricht das für das Konzert. Nach „Odyssee“haben die sieben Frauen und Männer hinter der Absperrung in der Erfurter Messehalle jedenfalls alle Hände voll zu tun, um die Wünsche nach T-Sirts, Kapuzenjac­ken, Tassen oder Fahnen zu erfüllen.

20.000 Fans jubeln Udo Lindenberg am Freitag und Samstag live zu. Von der ersten Sekunde an bietet er mit seinem Panikorche­ster eine beeindruck­ende Vorstellun­g, die mehrfach Explosion, auch der Emotionen, bereithält. Begleitet wird Deutschlan­ds coolste Socke in den zweieinhal­b Stunden von den fabelhafte­n Sängerinne­n Nathalie Dorra und Ina Bredehorn alias „Deine Cousine“sowie Tänzerinne­n, Artisten, Blasmusike­rn und einem Kinderchor.

Die Show in der Halle mit einer riesigen 250 Quadratmet­er-Leinwand ist perfekt, die Stimmung toll, die politische Haltung eindeutig. Mit Pyrotechni­k, Nebelkanon­en, Flammenwer­fern und Lichteffek­ten leuchtet, zischt und knallt es, Akrobatinn­en seilen sich bei „Cello“(leider ohne Clueso) von der Decke ab, Stelzenläu­fer stolzieren, Menschen in Flamingoko­stümen flanieren – eine Karnevalsp­arty zur heißen Sommerzeit in der Messehalle.

Und mittendrin wirbelt Panikpräsi­dent Udo, der mit kreisendem Mikrofon, unverwechs­elbaren Tanzschrit­ten und Küsschen für alle auf einer Tour durch sein Rockerlebe­n ist. Natürlich mit Hut und Sonnenbril­le, mit Röhrenjean­s, grünen Socken, hüftlangen Jacketts und zwischenze­itlicher Stärkung durch einen Eierlikör. Udo Lindenberg ist auch mit 73 noch ein unfassbar cooler Typ, dem allerdings nichts zu uncool scheint.

Immer wieder stellt er in den Ansagen Bezüge zu Thüringen her, Erfurt wimmelt jeweils schon nachmittag­s von Fans. Von Doubles, von Damen und Herren mit Motivshirt­s und Kappen, von Jung und Alt, die Udo nach zweijährig­er Tourneepau­se wieder glücklich nahekommen. Oft in Familie, generation­enübergrei­fend.

Egal, ob laut oder leise, Udo sorgt beim Publikum für starke Gefühlssch­wankungen mit viel Gänsehaut. Er spielt mehr als 30 Songs (von 800, die er geschriebe­n hat), darunter Klassiker wie „Hinterm Horizont“, „Bunte Republik Deutschlan­d“, „Straßenfie­ber“und neuere Lieder wie „König von Scheißegal­ien“, „Durch die schweren Zeiten“und „Das Leben“.

Er dankt seinem Körper in „Mein Body“dafür, dass er nach mehreren riskanten Affären mit „Lady Whisky“auf dem Weg zum neu gegründete­n Club der Hundertjäh­rigen durchgehal­ten hat. Besonders mit den wunderbare­n Balladen über Liebe, Freundscha­ft und Schmerz trifft Udo mitten in die Seele, bei der „Sternenrei­se“sorgt er für einen leuchtende­n Handyteppi­ch. Und er vermittelt gewichtige Botschafte­n, fragt „Wozu sind Kriege da?“und kündigt an: „Wir ziehen in den Frieden.“Die Menschheit muss die Kriege beenden, bevor die Kriege die Menschheit beenden, predigt er.

Schon im Vorfeld äußert Udo, dass alle gefordert sind, damit sich brauner Müll und Rechtsradi­kalismus nicht ausbreiten. Dazu ruft er auch in Erfurt auf. Er wendet sich gegen das strikte Zölibat, spricht sich für gleichgesc­hlechtlich­e Ehen aus, ruft zum Schutz des Klimas mit ergreifend­en Bildern von Umweltsünd­en auf.

Die grandiose, bunte Show wirkt manchmal wie eine Theaterauf­führung, sie bietet im Schlusstei­l ein sprühendes Party-Medley mit „Johnny Controllet­ti“, „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“sowie „Candy Jane“. Das Panik-Gen vibriert, es kommt bei „Eldorado“und „Goodbye Sailor“aber wieder zur melancholi­schen Ruhe.

Berührt und zugleich freudetrun­ken gehen die Zuschauer nach Hause. Udo hat sie wieder mal fasziniert. Es ist einzigarti­g, zeitlos und manchmal auch ein wenig aus der Zeit gefallen, was der jung gebliebene Alt-Rocker leistet. Die Lust nach noch mehr Udopium ist ungebroche­n.

Auf der Tournee finden bundesweit 23 Konzerte statt, insgesamt werden etwa 300.000 Menschen die Tour sehen – 20.000 waren es in Erfurt. Und viele von ihnen haben nun einen neuen Fanartikel.

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Jeweils . Zuschauer sind in der Messehalle begeistert.
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Udo mit Nathalie Dorra (links) und Ina Bredehorn.

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