Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Seelentreffer
Panik, Theater und Gänsehaut: Udo Lindenberg fasziniert bei den Konzerten in Erfurt
Dass ein Fanartikel-Stand vor einem Auftritt umlagert wird, ist nicht ungewöhnlich. Wenn dort jedoch auch nach dem letzten Lied großes Gedränge herrscht, dann spricht das für das Konzert. Nach „Odyssee“haben die sieben Frauen und Männer hinter der Absperrung in der Erfurter Messehalle jedenfalls alle Hände voll zu tun, um die Wünsche nach T-Sirts, Kapuzenjacken, Tassen oder Fahnen zu erfüllen.
20.000 Fans jubeln Udo Lindenberg am Freitag und Samstag live zu. Von der ersten Sekunde an bietet er mit seinem Panikorchester eine beeindruckende Vorstellung, die mehrfach Explosion, auch der Emotionen, bereithält. Begleitet wird Deutschlands coolste Socke in den zweieinhalb Stunden von den fabelhaften Sängerinnen Nathalie Dorra und Ina Bredehorn alias „Deine Cousine“sowie Tänzerinnen, Artisten, Blasmusikern und einem Kinderchor.
Die Show in der Halle mit einer riesigen 250 Quadratmeter-Leinwand ist perfekt, die Stimmung toll, die politische Haltung eindeutig. Mit Pyrotechnik, Nebelkanonen, Flammenwerfern und Lichteffekten leuchtet, zischt und knallt es, Akrobatinnen seilen sich bei „Cello“(leider ohne Clueso) von der Decke ab, Stelzenläufer stolzieren, Menschen in Flamingokostümen flanieren – eine Karnevalsparty zur heißen Sommerzeit in der Messehalle.
Und mittendrin wirbelt Panikpräsident Udo, der mit kreisendem Mikrofon, unverwechselbaren Tanzschritten und Küsschen für alle auf einer Tour durch sein Rockerleben ist. Natürlich mit Hut und Sonnenbrille, mit Röhrenjeans, grünen Socken, hüftlangen Jacketts und zwischenzeitlicher Stärkung durch einen Eierlikör. Udo Lindenberg ist auch mit 73 noch ein unfassbar cooler Typ, dem allerdings nichts zu uncool scheint.
Immer wieder stellt er in den Ansagen Bezüge zu Thüringen her, Erfurt wimmelt jeweils schon nachmittags von Fans. Von Doubles, von Damen und Herren mit Motivshirts und Kappen, von Jung und Alt, die Udo nach zweijähriger Tourneepause wieder glücklich nahekommen. Oft in Familie, generationenübergreifend.
Egal, ob laut oder leise, Udo sorgt beim Publikum für starke Gefühlsschwankungen mit viel Gänsehaut. Er spielt mehr als 30 Songs (von 800, die er geschrieben hat), darunter Klassiker wie „Hinterm Horizont“, „Bunte Republik Deutschland“, „Straßenfieber“und neuere Lieder wie „König von Scheißegalien“, „Durch die schweren Zeiten“und „Das Leben“.
Er dankt seinem Körper in „Mein Body“dafür, dass er nach mehreren riskanten Affären mit „Lady Whisky“auf dem Weg zum neu gegründeten Club der Hundertjährigen durchgehalten hat. Besonders mit den wunderbaren Balladen über Liebe, Freundschaft und Schmerz trifft Udo mitten in die Seele, bei der „Sternenreise“sorgt er für einen leuchtenden Handyteppich. Und er vermittelt gewichtige Botschaften, fragt „Wozu sind Kriege da?“und kündigt an: „Wir ziehen in den Frieden.“Die Menschheit muss die Kriege beenden, bevor die Kriege die Menschheit beenden, predigt er.
Schon im Vorfeld äußert Udo, dass alle gefordert sind, damit sich brauner Müll und Rechtsradikalismus nicht ausbreiten. Dazu ruft er auch in Erfurt auf. Er wendet sich gegen das strikte Zölibat, spricht sich für gleichgeschlechtliche Ehen aus, ruft zum Schutz des Klimas mit ergreifenden Bildern von Umweltsünden auf.
Die grandiose, bunte Show wirkt manchmal wie eine Theateraufführung, sie bietet im Schlussteil ein sprühendes Party-Medley mit „Johnny Controlletti“, „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“sowie „Candy Jane“. Das Panik-Gen vibriert, es kommt bei „Eldorado“und „Goodbye Sailor“aber wieder zur melancholischen Ruhe.
Berührt und zugleich freudetrunken gehen die Zuschauer nach Hause. Udo hat sie wieder mal fasziniert. Es ist einzigartig, zeitlos und manchmal auch ein wenig aus der Zeit gefallen, was der jung gebliebene Alt-Rocker leistet. Die Lust nach noch mehr Udopium ist ungebrochen.
Auf der Tournee finden bundesweit 23 Konzerte statt, insgesamt werden etwa 300.000 Menschen die Tour sehen – 20.000 waren es in Erfurt. Und viele von ihnen haben nun einen neuen Fanartikel.