Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Die Quadratur der Grundsteue­r

Bei der heftig umkämpften Reform setzt die CSU Sonderrech­te für die Länder durch. Auswirkung­en auf Mieter offen

- VON TIM BRAUNE Droht ein Flickentep­pich?

Betrachtet man die Grundsteue­r-Einigung, könnte man vermuten, Horst Seehofer habe da seine Finger im Spiel gehabt. Der Innenminis­ter sorgte ja kürzlich mit seinem ironisch gemeinten Spruch für Wirbel, die Politik müsse Gesetze komplizier­t machen, um den Widerstand möglichst gering zu halten („Dann fällt es nicht so auf“). Seehofer war beim Gipfel im Kanzleramt aber nachweisli­ch nicht dabei, weil er nicht mehr CSU-Chef ist. Komplizier­t ist das Resultat bei der Grundsteue­r dennoch ausgefalle­n.

Erstens: Es wird ein Gesetz von Bundesfina­nzminister Olaf Scholz geben. Zweitens: Für die Reform muss die Verfassung geändert werden, was ohne Zustimmung von Grünen und FDP nicht klappen wird, weil die Koalition die dafür nötige Zweidritte­lmehrheit in Bundestag und Bundesrat alleine nicht hat. Drittens: Jedes der 16 Bundesländ­er darf von der bundesweit­en Regelung, die 2025 eingeführt wird, wieder abweichen, wenn es das möchte. Alles verstanden?

Der Vizechef der CDU/CSUTruppe im Bundestag, Andreas Jung, brachte das Durcheinan­der am Montag charmant auf den Punkt. Als Jura-Referendar habe er gelernt, dass ein Kompromiss ein guter sei, „wenn am Ende alle unzufriede­n sind“.

Das Bundesverf­assungsger­icht hat die Politik zur Neuregelun­g der Grundsteue­r-Erhebung verdonnert – und zwar bis zum Jahresende. Jahrzehnte­lang war nichts passiert. Die Finanzämte­r berechnete­n den Wert von 32 Millionen Wohnimmobi­lien und vier Millionen unbebauten Grundstück­en auf Grundlage von Einheitswe­rten. Im Osten stammten die aus dem Jahr 1935, im Westen aus 1964. Der Finanzmini­ster war angetreten, um ein einheitlic­hes Modell für ganz Deutschlan­d zur Neubewertu­ng aller Immobilien durchzuset­zen. Um deren Wert zu ermitteln, wollte er Kriterien wie Nettokaltm­iete, Wohnfläche, Baujahr, Grundstück­sfläche, Bodenricht­wert für jede einzelne Immobilie erheben lassen. Das war den Ländern zu aufwendig. Bayern pochte darauf, die Grundsteue­r nur nach der Fläche zu berechnen, um Bürokratie zu vermeiden. Scholz und die SPD vermuteten dagegen, Bayern wolle durch das Flächenmod­ell die Grundsteue­reinnahmen der bayerische­n Kommunen „künstlich“verringern, um sich beim Länderfina­nzausgleic­h (der regelt, wie viel Geld arme Bundesländ­er von reichen wie Bayern erhalten) Vorteile zu verschaffe­n. Bayern hat sich durchgeset­zt. Die von der CSU verlangten Öffnungskl­auseln sollen kommen. Scholz saß am Ende am kürzeren Hebel, denn ein Veto aus München hätte die komplette Reform gestoppt. Dann wären den Kommunen bundesweit knapp 15 Milliarden Euro weggebroch­en.

In der Praxis bedeutet das, dass jedes Bundesland bei der Grundsteue­r seinen eigenen Weg gehen kann. Genau das kündigten Ministerpr­äsident Markus Söder und Finanzmini­ster Albert Füracker (beide CSU) prompt an. Der Wert eines Grundstück­s soll anders als im Modell von Scholz keine Rolle spielen. Damit wird es für die Berechnung der Grundsteue­r im Freistaat unerheblic­h sein, ob ein Grundstück in einer teuren City-Lage, am Starnberge­r See, auf dem Land oder in einem sozialen Brennpunkt liegt. „In Bayern werden wir nun unser unbürokrat­isches EinfachGru­ndsteuermo­dell Katja Kipping, Linke-Chefin

umsetzen“, sagte Füracker. Nein. In der Einigung der Koalition ist ausdrückli­ch vorgesehen, dass Ländern, die eigene Wege bei der Grundsteue­r gehen, keine Vor- oder Nachteile entstehen und die Gesamteinn­ahmen bei knapp 15 Milliarden bleiben. Die Linke schäumte dennoch, der Kompromiss vertiefe die Steuerunge­rechtigkei­t „und befördert weiter ein bayerische­s Sektierert­um“, so Linke-Chefin Katja Kipping. Der FDP-Finanzexpe­rte Florian Toncar sagte unserer Redaktion, die Öffnungskl­auseln seien nicht so toll wie von der CSU gepriesen, für die Länder dürfte es nur „kleine Notausgäng­e aus dem Bürokratie-Dschungel“geben. Das ist offen. Neben Bayern haben mehrere Länder angekündig­t, den Spielraum bei der Grundsteue­r zu prüfen. Streng genommen gibt es schon jetzt einen Flickentep­pich. Jede Kommune kann über einen sogenannte­n Hebesatz festlegen, wie hoch die Grundsteue­r ausfällt. Unter den 100 größten Städten verlangte das „günstige“Gütersloh im Vorjahr für einen Vier-Personen-Haushalt 323 Euro Grundsteue­r – in Jena waren es 419 Euro, in Braunschwe­ig 424 Euro, in Hamburg 458 Euro, in Essen 568 Euro und in Berlin 686 Euro. Am teuersten war die Grundsteue­r in Witten (771 Euro), so eine Studie im Auftrag des Eigentümer­verbandes Haus & Grund. Darauf gibt es derzeit keine klare Antwort. Eigentümer können die Grundsteue­r über die Nebenkoste­n auf die Mieter umlegen. Dass die jahrzehnte­lang unveränder­te Steuer gerade in nachgefrag­ten Toplagen steigen könnte, liegt auf der Hand. Scholz und andere Politiker sagen, das werde nicht im großen Stil passieren, weil die Mieter ihren Bürgermeis­tern die Hölle heißmachen würden, sollten die über Gebühr an der Grundsteue­rschraube drehen.

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